Absolventen werden immer jünger – aber auch immer besser?
Abitur in zwölf Jahren, Bologna-Prozess an den Hochschulen: Die deutschen Bildungsreformen mit zeitlicher Straffung geben regelmäßig Anlass zu leidenschaftlichen Debatten. Ein Ziel haben die Reformer in jedem Fall schon erreicht: Der Altersschnitt der Akademiker sinkt rapide.
So etwas hat Ansgar Speckmann in seinen 24 Jahren im Betrieb noch nicht erlebt. „Bei uns beginnt in Kürze eine 17-Jährige ihr duales Studium. So eine junge Studienanfängerin hatten wir noch nie, da mussten sogar die Eltern den Vertrag für sie mitunterschreiben“, erzählt Speckmann, der bei der Friwo Gerätebau GmbH als Personalreferent und Ausbildungsleiter beschäftigt ist.
Das Unternehmen produziert Netzteile und Ladegeräte, seinen Stammsitz hat es in der 10 000-Einwohner-Gemeinde Ostbevern im Münsterland. Über Bewerbermangel kann sich Speckmann bislang nicht beklagen, vor allem aus dem Kreis Warendorf, auch aus dem benachbarten Niedersachsen gebe es viele qualifizierte Interessenten für Akademiker- wie Azubi-Stellen. Was dem 43-Jährigen aber durch die Bank auffällt: „Die Bewerber werden immer jünger.“
Deutsche Studenten gehörten zu den ältesten in Europa
Tatsächlich dreht sich das Ausbildungskarussell in Deutschland schneller und schneller. Noch zur Jahrtausendwende waren deutsche Studenten die Methusalems Europas. Ihr Medianalter lag im Jahre 2000 bei 24,4 Jahren – die eine Hälfte aller Studierenden war also älter als 24,4, die andere Hälfte jünger.
Von den EU-Ländern überboten nur Schweden (24,9) und Dänemark (24,7) diesen Wert. Während aber das Medianalter in Deutschland in der ersten Dekade des neuen Jahrtausends im Rekordtempo sank und 2011 schon bei 23,3 Jahren angelangt war, stieg es im gleichen Zeitraum EU-weit von 21,8 auf 22,1 Jahre an. Damit sind die Deutschen zwar noch immer älter als ihre europäischen Kommilitonen, aber das Tempo des Rückgangs, wenngleich vorübergehend durch Studiengebühren begünstigt, ist bemerkenswert. In keinem der 26 untersuchten EU-Länder ging das mittlere Studentenalter so stark zurück wie in Deutschland, in 18 stieg es gar an.
Zeitgleich fällt auch das Durchschnittsalter der Absolventen hierzulande auf neue Tiefststände. Hielt ein Hochschulabsolvent sein Abschlusszeugnis im Jahr 2000 noch mit durchschnittlich 28,2 Jahren in Händen, war er 2009 nur 27,1 Jahre alt. Frauen machen ihre Abschlüsse mittlerweile sogar schon mit 26,8, Männer mit 27,5 Jahren.
Jüngere Absolventen haben kaum Zeit für Erfahrungen
Dass sich die Geschlechterlücke schließt, ist denkbar – die Abschaffung der Wehrpflicht macht das möglich. Klar ist, dass sich Deutschland angesichts einer alternden Gesellschaft kein Heer von Bummelstudenten leisten kann. Verkürzte Schul- und Ausbildungszeiten sorgen dafür, dass junge Leute schneller auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen, mithelfen, das demografische Dilemma zu entschärfen.
Doch die Zweifel wachsen, dass die jungen Absolventen an der Universität wirklich genügend gereift sind. Denn die straff geregelten Bachelor-Studiengänge, wie sie heute bundesweit Standard sind, erlauben kaum einen Blick nach rechts oder links. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Bachelor-Studiengänge den Studenten durch den sehr geregelten Zeitplan wenig Freiraum für Auslandserfahrungen und Praktika lassen“, sagt Sarah Ulmschneider-Renner, Leiterin Talent Resourcing bei BASF.
„Das Alter spielt eine eher untergeordnete Rolle“, meint Kevin Heidenreich, Leiter des Referats Hochschulpolitik beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) in Berlin. „Entscheidend ist, ob er oder sie gut ist und zur Tätigkeit im Unternehmen passt.“
Im Schnellverfahren wickeln viele Akademiker ihre Hochschul-Laufbahn ab. Rechnet man alle Studiengänge zusammen, dauert ein Studium in Deutschland heute noch 10,6 Semester. 2000 waren es mit 12,8 noch über zwei Semester mehr. Vor allem der Bachelor senkt erwartungsgemäß den Schnitt. Einen Bachelor-Abschluss haben die meisten nach 7,9 Semestern in der Umhängetasche, mit durchschnittlich 25,5 Lebensjahren.
Bachelor meist nach acht Semestern
Und sogar hier gibt es eine klare Tendenz zu mehr Tempo. Denn in den Anfangsjahren brauchten auch Bachelors noch mehr Zeit, um ihre Module zu absolvieren und Credit Points zu sammeln. Nach 11,8 Semestern (2000), 9,9 (2001) und 8,5 (2002) fiel ihre durchschnittliche Studiendauer 2009 erstmals unter die 8-Semester-Marke. Viele hängen einen Master dran, aber längst nicht alle.
„Die Verkürzung der Studienzeit ermöglicht prinzipiell einen schnelleren und direkten Eintritt ins Berufsleben“, sagt Sarah Ulmschneider-Renner von BASF, deren Arbeitgeber hinter dem Bologna-Prozess steht. Allerdings sei ein schnelles Studium kein entscheidendes Kriterium für BASF. „Wir begrüßen es, wenn Studenten Auslandssemester machen oder Urlaubssemester für Praktika nutzen, auch wenn sich dadurch die Studienzeit verlängert.“
Ansgar Speckmann betrachtet den Bologna-Prozess mit weitaus größerer Skepsis. „Innerhalb Deutschlands halte ich die Entwicklung der Qualifizierung für bedenklich. Früher hatten wir ein gutes System, das Qualität gewährleistet hat. Heute kann praktisch fast jeder einen Bachelor machen“, sagt er.
Die Qualifikationen sinken ab
Insgesamt habe sich das Niveau geändert. „Die Bewerber sind ganz anders drauf als früher. Sie sind sehr selbstbewusst“, sagt Speckmann. „Wenn ich früher etwas nicht gewusst hätte, wäre ich vermutlich im Boden versunken. Heute gehen die damit lockerer um.“ Was natürlich auch an einer guten Vorbereitung und dem Üben von Präsentationstechniken in den Schulen liege.
Wahrscheinlich wird Speckmann demnächst häufiger blutjungen Bewerbern gegenübersitzen. In NRW verabschiedet sich derzeit der erste doppelte Abitur-Jahrgang aus Gymnasien und Gesamtschulen.
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