Nachfrage größer als Angebot 25.01.2013, 12:45 Uhr

Uni-Kitas platzen aus allen Nähten

Technische Hochschulen waren immer schon Männerdomänen. Eine familienfreundliche Technische Hochschule – das klingt daher zunächst wie ein Widerspruch, soll bald aber zur Selbstverständlichkeit werden. Von Braunschweig bis München, von Aachen bis Dresden stampfen die TU neue Familienbüros und Kitas aus dem Boden. Die Nachfrage aber bleibt größer als das Angebot.

Kitas klagen grundsätzlich über Engpässe beim Betreuungsangebot.

Kitas klagen grundsätzlich über Engpässe beim Betreuungsangebot.

Foto: dpa

Wolfgang Dachtera ist ein begehrter Mann. Frauen rufen ihn in Scharen an, oft auch Männer. Der Mittfünfziger erzählt dann, hört zu, betreibt beste Eigenwerbung – aber hinterlässt in der Regel trotzdem lange Gesichter am anderen Ende der Leitung.

Dachtera leitet die Kindertagesstätte Königshügel in Aachen. 2011 eröffnete die Kita, die als erste in Aachen vorrangig den Nachwuchs von Uni-Mitarbeitern betreut. Die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) nahm dafür viel Geld in die Hand, von 1,74 Mio. € für Bau und Einrichtung ist die Rede. 40 Betreuungsplätze für Kinder ab vier Monaten gibt es nun im Königshügel. Aber schon längst keine freien mehr. Die Warteliste erscheint endlos, Dachtera muss allen hoffnungsvollen Jungeltern absagen. Eine derartige Einrichtung in Deutschland, betont der Pädagoge, „hat nie freie Plätze“.

Familienfreundlichkeit an TU erst am Anfang

Während die Politik das Thema Familienfreundlichkeit in den letzten Jahren auf ihrer Agenda ganz nach oben hievte, befanden sich die Akademiker vielerorts noch im (Sch-)Lummerland. Das Centrum für Hochschulforschung (CHE) konstatierte 2010 in einer Studie: „Familienförderung besitzt an den deutschen Hochschulen trotz einer wachsenden Bedeutung und Wahrnehmung des Themas noch einen geringen Stellenwert.“

Vor allem die Technischen Universitäten glänzten durch Gleichgültigkeit. In nahezu allen Kategorien schnitten sie noch schlechter ab als die Volluniversitäten: schlechtere Rahmenbedingungen, schlechtere Beratung, schlechtere Kinderbetreuung. Den Stellenwert der Familienorientierung an TU bewertete das CHE mit mageren 25 Prozentpunkten.

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„Die Sensibilisierung von Führungskräften ist ein ganz wichtiger Aspekt“, meint Anne-Christin Eggers vom Familienbüro der TU Braunschweig. „Viele Führungskräfte wissen nicht, wie schwer es ist, einen Ganztags-Betreuungsplatz zu bekommen.“ Auch in Braunschweig ist das fast unmöglich. Die TU verfügt in zwei Kitas des Studentenwerks Ostniedersachsen über 60 Plätze, zehn weitere hat sie in einer überbetrieblichen Kindertagesstätte eingekauft. Eggers: „Die Plätze sind schnell ausgebucht.“

Wertvolles Bindungsinstrument

Und dennoch: Allmählich sickert bis in die Technischen Universitäten durch, dass Familienfreundlichkeit ein wertvolles Bindungsinstrument sein kann. Denn weniger Kinder heute bedeutet weniger Talente, weniger Fachkräfte und womöglich weniger Wohlstand morgen. Und gerade an den Hochschulen tummeln sich viele Zeugungsskeptiker, die sich durch bessere Rahmenbedingungen vielleicht umstimmen ließen.

Rund ein Viertel aller Frauen mit Uni-Abschluss bleibt in Deutschland kinderlos. „Es hat insgesamt an fast allen Hochschulen einen deutlichen Ruck in Richtung Familienorientierung gegeben“, bestätigt Maria Harde vom CHE, die das Projekt „Familie in der Hochschule“ leitet. Wichtig sei vor allem, das Thema nicht eindimensional zu betrachten. Eine Kita zu unterhalten, das allein sei noch längst nicht familienfreundlich.

Die Studenten der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover müssen daher ihr Familienleben nicht mehr komplett dem Prüfungsstress unterordnen. „Familienfreundliche Flexibilisierung der Prüfungszeiträume“ heißt das Projekt, das am 1. Dezember 2010 gestartet war. Zwei Drittel der Maschinenbauer machen davon Gebrauch – und verlegen ihre Klausuren nach vorne oder nach hinten, wenn der Kleine krank oder die Großmutter auf Hilfe angewiesen ist.

TU Dreden als Vorbild

Die TU Dresden hat eine Anlaufstelle für Eltern eingerichtet, das Campusbüro. Die Sachsen, die oft als Vorbild für andere Hochschulen herangezogen werden, informieren über Auslandssemester mit Kind, koordinieren Workshops, vermitteln Tagesmütter. Und suchen mittels Fundraising nach neuen Geldquellen. Eine bekannte deutsche Drogeriemarktkette sponsert jetzt Wickeltisch und Babypflegeartikel im Campusbüro.

Offiziell gerieren sich fast alle TU in Deutschland als kuschelige Kinder- und Elternparadiese. So schmückt das sogenannte audit-Zertifikat mittlerweile die Homepages sämtlicher T9-Universitäten, der neun führenden Technischen Universitäten des Landes, und weist sie als „familiengerechte Hochschulen“ aus.

Ursprünglich für Unternehmen der Privatwirtschaft entwickelt, adaptierte die berufundfamilie gGmbH, eine Tochter der gemeinnützigen Hertie-Stiftung, das Verfahren für die Welt der Elfenbeintürme. Ein Zertifikat erhält seitdem, wer einen vier- bis fünfstelligen Betrag hinlegt und familienfreundliche Ziele definiert – ob deren Umsetzung auch klappt, ist zunächst einmal zweitrangig. „Seht her, wir engagieren uns“, soll das Zertifikat vor allem deutlich sichtbar nach außen ausdrücken. Insgesamt 131 deutsche Hochschulen haben sich bislang schon zertifizieren lassen.

Oft Einzelfall-Lösungen

Im besten Fall bringt das Audit-Verfahren ein Bündel von familienfreundlichen Maßnahmen auf den Weg. Größtmögliche Vielfalt ist aber nicht immer ein Segen. „Viele Probleme werden mit Einzelfall-Lösungen bearbeitet, diese bieten aber keine Planungssicherheit für alle Betroffenen“, meint Eggers.

Zur Wahrheit gehört, dass Hochschulen vor großen familienpolitischen Herausforderungen stehen. Sie müssen es Studierenden, Professoren und Mitarbeitern gleichermaßen recht machen, verschiedenste Lebensentwürfe und Altersklassen und prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu berücksichtigen.

Die RWTH Aachen ist in den vergangen Jahren deutlich aktiver geworden. Seit 2008 zeichnet sie familienfreundliche Führungskräfte mit dem „Famos-Award“ aus. Es gibt ein internationales Familienfrühstück, Eltern-Kind-Räume und den Aachener Väterstammtisch.

Und eine deutlich verbesserte Öffentlichkeitsarbeit. Sehr zum Leidwesen von Wolfgang Dachtera. Über 100 Anmeldungen hat er auf dem Schreibtisch, aber keine freien Plätze in seiner Kita. Aber vielleicht entsteht in Aachen demnächst noch eine neue. Die ist gerade in der Diskussion. 

Ein Beitrag von:

  • Sebastian Wolking

    Sebastian Wolking ist freier Journalist in Hamburg und schreibt seit über 15 Jahren für die VDI Nachrichten. Er beschäftigt sich hauptsächlich mit den Themen Arbeitsmarkt und Karriere.

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