Textilfasern aus Milcheiweiß
Fasern aus neuen Kunststoffen entwickeln, be- und verarbeiten – das ist Alltag am Bremer Faserinstitut. Doch Garn aus Milch? Auch das können die Wissenschaftler im Dienste der Mode.
Für „Qmilch“ ist heute „Spinntag“ im Technikum des Faserinstituts Bremen (Fibre). Das heißt für die drei jungen Leute des Startups, mittels einer großen Maschine – ähnlich einem Fleischwolf – sehr dünne Proteinfäden zu produzieren. Hauptsächlich Eiweißpulver und Wasser, aber auch eine Reihe geheimer Zutaten werden dafür verknetet, auf 80 °C erwärmt und durch eine Siebplatte gedrückt. Die farblose Faser, die dabei entsteht, ist dünner als ein Haar und erinnert an die feinen Fäden der Seidenraupe. Und sie hat womöglich das Potenzial, die gesamte Textilindustrie zu revolutionieren: Denn sie ist strapazierfähig, nachhaltig ökologisch produziert, antibakteriell und antiallergen.
Etwa 15 kg Fasern produziert das Team von „Qmilch“ auf diese Weise pro Arbeitstag im Faserinstitut. Hier steht der Prototyp einer eigens für die Herstellung der Milchfaser modifizierten Spinnanlage. Ihr Rohstoff: Biomilch, die von Molkereien aus verschiedenen Gründen aus dem Verkehr gezogen wurde. Normalerweise landet die im Ausguss.
„Rund 2 Mio. t Milch werden allein in Deutschland jährlich vernichtet“, sagt Anke Domaske. Sie ist der Kopf des Startups: Diplom-Biologin, Modeschöpferin und Erfinderin der Naturfaser „Qmilch“. Mit dem Fibre entwickelte sie ein neuartiges Verfahren zur Herstellung von Stoff aus Milch und hat in den letzten beiden Jahren mit dem Patent bereits ein halbes Dutzend nationale und internationale Innovationspreise abgeräumt.
„Bei uns werden jährlich zwei bis drei Anträge zur Thematik Faserentwicklung gestellt“, erklärt der wissenschaftliche Mitarbeiter am Fibre, Lars Bostan, der das junge Team aus Hannover betreut. „Üblicherweise erforschen und entwickeln wir neue Fasern in öffentlich geförderten Forschungsvorhaben.“
Die Entwicklung der Milchfaser aber unterscheide sich von der sonstigen Arbeit in zwei Punkten, sagt Bostan: „Es ist für uns das erste Mal, dass wir an der Entwicklung einer zu 100 % biobasierten Faser mitwirken.“ Auch unterscheide sich der Spinnprozess in mancher Hinsicht komplett vom Herkömmlichen.
Nicht zuletzt legen die Entwicklungen am Textilmarkt nahe, dass die Bremer mit der Milchfaser auf das richtige Pferd gesetzt haben könnten: „Aufgrund der steigenden Energie- und Rohstoffkosten und des wachsenden Bedarfs an Faserstoffen erleben Produkte auf biologischer Basis gerade eine starke Nachfrage“, erklärt Bostan. Allein auf dem deutschen Markt fehlten derzeit ca. 6 Mio. t Textilfasern etwa zur Verstärkung von Kunststoffbauteilen. Ein Grund dafür sei die Missernte des Baumwollexporteurs China im vergangenen Jahr.
Die Preise seien gewaltig gestiegen, so Domaske, die neben „Qmilch“ seit neun Jahren das Modelabel „Mademoiselle Chi Chi“ (MCC) betreibt und so direkt betroffen ist. Da kommt die nachhaltig produzierte Milchfaser gerade recht.
„Für die Produktion eines T-Shirts aus Milchfaser brauchen wir lediglich zwei Liter Wasser“, hält Domaske dagegen. „Zudem produzieren wir, momentan noch ausschließlich in Bremen, mit deutscher Biomilch und verwenden ausschließlich Ökostrom zur Produktion.“
Erste Kleidungsstücke aus der Faser lassen sich über Domaskes Modelabel bereits ordern, allerdings muss vorbestellt werden. Die Trageeigenschaften erinnern an Seide die Faser mit glatter Oberfläche fühlt sich weich auf der Haut an. Das verhindert Hautirritationen, was besonders für Allergiker oder Menschen mit Neurodermitis von Belang ist.
Dabei ist der Stoff weitaus günstiger als Seide und sogar bei 60 °C waschbar. Im Gegensatz zu Baumwolle oder Viskose ist Domaskes Produkt jedoch deutlich teurer. Sie berechnet für 1 kg Milchfasern 25 €, der Durchschnittspreis für ein Kilo Baumwollrohfasern an der Bremer Baumwollbörse liegt dagegen bei rund 2 €.
An der Faser sind noch ganz andere Branchen interessiert: 180 Anfragen von Firmen aus aller Welt liegen bereits auf Domaskes Schreibtisch. Sie kommen aus der Bekleidungs- bis hin zu Autoindustrie. „Wir prüfen derzeit das gesamte Eigenschaftsspektrum der Faser“, erklärt Bostan. sd/ber
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