Eine textile Membran gegen die Flut
Wenn wie in diesem nassen Frühling Bäche zu Wassermonstern mutieren, sind Konzepte gefragt, diese Monster einzudämmen. Es gilt, im Ernstfall schnell reagieren zu können und den bestehenden Hochwasserschutz vorübergehend zu ergänzen. Wissenschaftler der TU Chemnitz haben jetzt eine textile Membran entwickelt, die das Wasser wirksam aufhält und die Kräfte ableitet.
Was da Ende Mai 2016 über weite Teile Baden-Württemberg an Regen runterkam, galt unter Wetterexperten wie Roland Roth von der Wetterwarte Süd in Bad Schussenried als „Jahrhundertereignis“. 100 Liter Regen pro Quadratmeter innerhalb weniger Stunden machte aus eher kleinen Bächen und Flüssen plötzlich reißende Wassermassen. Das „Jahrhundertereignis“ zerstörte nicht nur Häuser, es gab auch mehrere Tote. So konnte sich in Weißbach bei Heilbronn ein 62-jähriger Mann nicht mehr aus dem rasch voll laufenden Keller eines Mehrfamilienhauses retten.
Jahrhundertereignisse werden zunehmen
Es kann als recht gesichert gelten, dass solche Jahrhundertereignisse in naher und in ferner Zukunft häufiger vorkommen. Denn eine durch den Klimawandel wärmere Erdatmosphäre kann eine größere Menge an Feuchtigkeit aufnehmen. Und diese kann dann bei Unwettern extrem schnell als Starkregen niederprasseln. Die als Hochwasserschutz angelegten permanenten Dammanlagen sind mit diesen extremen Wassermassen oft vollkommen überfordert.
Wissenschaftler des Forschungsbereiches Leichtbau im Bauwesen der Professur Strukturleichtbau und Kunststoffverarbeitung der Technischen Universität Chemnitz haben auf die Herausforderung reagiert. Gemeinsam mit Partnern haben sie ein temporäres System entwickelt, das schnell und mit geringem Personalaufwand installiert werden kann. Zudem kostet das System nicht viel Geld, ist leicht zu lagern und beinahe unverwüstlich.
Zwei Personen reichen für Aufbau aus
Das System besteht aus einem Fundament, welches am Ufer der zu schützenden stehenden oder fließenden Gewässer am Boden installiert wird. Dazu kommen Stützen und eine textile Membran. Das Fundament hat die Form einer Rinne, in der die Membran eingelagert ist. Die Stützen decken das Ganze ab.
“Die leichtbaugerechte Ausführung lässt den Aufbau selbst mehrerer hundert Meter Hochwasserschutz problemlos durch zwei Personen zu“, betont Dr. Sandra Gelbrich, die den Forschungsbereich Leichtbau im Bauwesen leitet. Das Besondere an dem temporären Hochwasserschutz der Chemnitzer Forscher: Die flexible, aber wenig dehnbare Membran aus mit Textilien verstärktem PVC formt sich unter dem anstehenden Wasserdruck ziemlich definiert aus.
System vermeidet Biegemomente
Die Membran ist so ausgestaltet, dass sie ausschließlich mit Zugspannungen reagiert. „Bei vielen bekannten temporären Stauwandsystemen resultieren aus dem Wasserdruck hohe Biegemomente, die insbesondere auf Stützen und Fundamente einwirken. Entsprechend groß ist der konstruktive und materielle Aufwand dieser Anlagen. Der konstruktive Vorteil des neuen Systems liegt in der Vermeidung dieser Biegemomente“ sagt Gelbrich. Die einwirkenden Kräfte werden über die Membranverankerung im Fundament und über die Membranverstärkungen in den Stützen abgeleitet.
Membran trotzt Stauhöhen bis 1,5 Meter
Selbst wenn Treibgut gegen das Schutzsystem prallt, wirken nahezu ausschließlich Normalkräfte in den Stützen. „Diese können somit extrem schlank und leicht ausgeführt werden“, erklärt Gelbrich. Trotzdem hält die Konstruktion Stauhöhen bis 1,5 m aus. Sie trotzt Treibgut bis zu einem Anprallgewicht von 400 kg. Das haben die Chemnitzer Forscher bei einem Aufprallwinkel von 90 Grad zur Fließrichtung und einer Geschwindigkeit von vier Metern pro Sekunde getestet.
Das in Chemnitz entwickelte und gründlich getestete Hochwasserschutz-System genügt den Anforderungen, die der Bund der Ingenieure für Wasserwirtschaft und Kulturbau (BWK) in seinem „Merkblatt – Mobile Hochwasserschutzsysteme“ festhält. Partner der Forscher waren die Berliner Spezialisten für textile Architektur 3dtex GmbH, der Planen- und Folienprofi Karsten Daedler aus Trittau bei Hamburg und das Chemnitzer Ingenieurbüro Schulze & Rank.
Und Siemens hat in Amsterdam ein Überwachungs- und Frühwarnsystem für Deiche getestet. Es liefert permanent Informationen über den Zustand des Deichs – auch auf das Tablet oder Smartphone des Verantwortlichen vor Ort.
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