Drahtlose Mikrofone könnten bald ausgefunkt haben
Die Einführung des digitalen terrestrischen Fernsehens vor gut zehn Jahren zeigt Nebenwirkungen. Die frei gewordenen Frequenzen werden für LTE-Mobilfunk genutzt – zum Nachteil für professionelle drahtlose Mikrofone. Schon heute werden Konzerte, Theateraufführungen und sogar klassisches TV empfindlich gestört. Besserung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Mobilfunker setzen zum Sprung auf weitere Frequenzbereiche an.
Reinhard Jansen vom Verband Deutscher Freilichtbühnen und dem Bund Deutscher Amateurtheater merkt man seine Wut an. „Viele Amateurtheater und Freilichtbühnen haben in den letzten Jahren ihre drahtlosen Mikrofonanlagen nicht nur umgerüstet oder umfrequentiert, sondern viele haben auch neue Anlagen angeschafft – und nicht selten dafür Kosten bis zu 60 000 € oder 70 000 € aufgebracht.“ Jetzt seien wieder neue Frequenzen in der Diskussion. Es wäre fatal, wenn die jetzt umgerüsteten Anlagen nicht langfristig nutzbar wären, wetterte er kürzlich während einer Konferenz im Bundeswirtschaftsministerium.
Jansen steht mit seiner Forderung nach Planungssicherheit nicht allein da. Die wichtigsten Frequenzbereiche für den sogenannten PMSE-Einsatz (Program Making and Special Events) im UHF-Band scheinen der Gier der Mobilfunker nach weiteren Frequenzen zum Opfer zu fallen.
Diese Bedenken teilt auch Bettina Milz vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugendliche und Sport in NRW. Mehr noch: Sie sieht inzwischen den gesamten Kultur-, Sport- und Bildungsbereich gefährdet. „Die Theater haben weitgehend ohne irgendeine Unterstützung umgestellt und für die Umrüstung ihrer PMSE-Technik zwischen 50 000 € und 350 000 € ausgegeben.“
LTE-Smartphones stören Bühnentechnik
Andere, die noch nicht umgestellt hätten, seien jetzt von Störungen betroffen, weiß Milz. So mussten in Hannover laut Kultusministerium bei mindestens zwei Theatern diverse Vorstellungen ausfallen – wegen nicht ausgeschalteter LTE-Smartphones, wie sich später herausstellte. Seitdem wird dort an die „lieben Zuschauerinnen und Zuschauer“ appelliert, „ihre Mobiltelefone komplett auszuschalten“. Ein Austausch der professionellen Funksysteme würde für alle Spielstätten des Staatstheaters über 650 000 € kosten.
Auch Professor Ulrich Reimers von der TU Braunschweig weiß von zahlreichen Störungen, sind doch selbst dort beim Einschalten einer kleinen Basisstation gleich vier Vorlesungen gesprengt worden. Iris Henseler-Unger, Vizepräsidentin der Bundesnetzagentur, dagegen will davon nichts wissen, spricht bagatellisierend von „anderen Ursachen“.
Jetzt sind guter Rat und neue Geräte teuer. Gelder für Altgeräte gab es nur für den Beschaffungszeitraum 2006 bis 2009.
Dabei rüsten die Mobilfunker noch immer heftig auf, errichten landes- und städteweit neue Basisstationen. Müssen sie auch, ist doch der Trend zur neuen LTE-Technik ungebrochen. Mit den neuen Smartphones, Tablets & Co. im 800-MHz-Bereich nehmen auch die Störquellen für die PMSE-Geräte zu.
Mit dieser durch die Bundesregierung verordneten Ausbaustrategie soll indes ein weiterer Baustein für die bundesweite Versorgung mit schnellem Internet gesetzt werden. Fest steht: Den Mobilfunkern reicht die Digitale Dividende 1 noch nicht, sie wollen eine Fortsetzung und hoffen für 2015 mit der Digitalen Dividende 2 auch auf die Zuteilung des 700-MHz-Bereichs. Damit stünden ihnen in einigen Jahren Frequenzressourcen von insgesamt 1200 MHz Bandbreite zur Verfügung, das Fünffache des dann noch verbliebenen DVB-T- und PMSE-Spektrums.
Bühnen kämpfen für Erhalt der PMSE-Frequenzen
Im Gegensatz zur Bundesregierung forderte der Bundesrat im November 2012 die weiteren Nutzungsmöglichkeiten des Bereichs von 470 MHz bis 790 MHz für „Regie- und Reportagefunk sowie für Veranstaltungstechnik – namentlich bei qualitativ anspruchsvolleren Mikrofonanlagen wie im Theater“. Auch die APWPT, die Association of Professional Wireless Production Technologies, vertritt diese Position. Der Verband mit seinen 25 000 Organisationen kämpft vehement für den Erhalt der PMSE-Frequenzen. Der Fachdienst Musik-Forum befürchtet gar, dass „über 700 000 hochwertige Mikrofone in den Müll geworfen werden“ müssen.
Norbert Hilbich von Sennheiser ist sich sicher, dass es durch die Digitale Dividende 2 zu einem „professionellen Verbrennen von Steuergeldern“ käme. Dann müssten sich vor allem viele Theater und öffentliche Einrichtungen erneut mit neuen Geräten ausstatten und in die tiefer gelegenen Frequenzbereiche umziehen.
Und er warnt: „Eine zweite digitale Dividende wird von den Anwendern der Drahtlostechnik nicht verkraftet, denn viele Produktionen können in dem verbleibenden knappen Spektrum nicht mehr stattfinden.“ Vor allem drängeln sich dann in diesem Bereich vermehrt DVB-T-Sender, und die haben nun einmal Vorrang.
Doch weder Bundeswirtschaftsministerium noch die EU scheinen von den Frequenzplänen lassen zu wollen. Auf vielen Veranstaltungen der letzten Monate wurde das postuliert, wirtschaftliche Wachstumspotenziale dank Mobilfunk müssen zur Begründung herhalten.
Noch gibt es Ausweichmöglichkeiten wie das L-Band von 1452 MHz bis 1492 MHz oder von 1785 MHz bis 1805 MHz. Doch, je höher die Frequenzen, desto schlechter die Ausbreitungsbedingungen. Daher ist der UHF-Bereich für die PMSEler so wichtig. Reimers hat auch andere digitale Dividenden ausgemacht: Da im Mobilfunk LTE wesentlich effizienter als GSM und UMTS ist, stellt er die Frage: „Warum geben die Mobilfunkunternehmen nicht endlich die Frequenzen her, die sie dadurch einsparen könnten?“
Für Andreas Schuseil, Leiter der Abteilung Kommunikations- und Postpolitik im Bundeswirtschaftsministerium hat die Diskussion um die Digitale Dividende 2 jetzt erst begonnen und soll dazu führen, „dass zum Schluss kein Verlierer übrig bleibt“. Schön wär’s ja. Die Gerätehersteller jedenfalls wollen keinen Schwarzen Peter. So bieten Beyerdynamic und Sennheiser z. B. neue Mikroport-Anlagen mit durchstimmbaren Frequenzbereichen von 470 MHz bis 790 MHz.
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