11.01.2002, 17:32 Uhr

Konstrukteure enthüllen Geheimnisse des Klangs

Seit mehr als 130 Jahren sind Steinway-Flügel der Inbegriff für Konzertkultur. Bislang war der besonders klare Klang Ergebnis reiner Handwerkskunst. Seit kurzem greift der Computer den traditionsbewussten Klavierbauern des Hamburger Instrumentenherstellers unter die Arme.

Ein schalldichter Raum, 30 Quadratmeter groß. Darin stehen vier Konzertflügel. Gerd Fründ schlägt einige Akkorde an, lässt den Ton im Raum verhallen: „Nein, das ist es noch nicht“, sagt Fründ und lockert mit einer winzigen Dreispitznadel den Filz des Hammers, der die Bass-Saite des Flügels anschlägt. Acht Stunden am Tag und an 1200 Instrumenten im Jahr sorgt der gelernte Klavierbauer in Hamburg für den guten Ton: „Ein echter Steinway klingt brillant, klar und offen.“

40 Jahre Erfahrung als Intoneur in der deutschen Produktionsstätte von Steinway & Sons haben Fründ gelehrt, dieses Klangbild zu bestimmen: „Das kann keine Maschine.“ Auch der Instrumentenbau aus über 12 000 Einzelteilen galt bislang als reine Handwerkskunst. Nun soll der Computer jene Erfahrungen lernen, die die Klavierbauer von Generation zu Generation weiter gegeben haben. „Es gibt einfach Arbeiten, die der Computer präziser erledigen kann als der Mensch“, sagt Oliver Gube, der das Projekt leitet.

Solche Aufgaben in dem roten Fabrikgebäude am Rande der Hamburger City zu finden, scheint so aussichtslos wie die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Auf den ersten Blick wirkt die Produktionsstätte wie eine gigantische Tischlerei. Sägen kreischen, Hobel rotieren über Holzplatten, überall hängt feiner Staub in der Luft, es riecht nach Holz. In der Tat ist der natürlichste aller Werkstoffe das A und O eines guten Flügels.

Steinway verwendet nur das Beste vom Besten: Buche, Mahagoni und Ahorn für das Gehäuse und den Stimmstock, Whitewood für den Deckel, Nadelhölzer für den Resonanzboden. Ein Flügel aus Plexiglas – bei Steinway rümpft man über derartige Modeerscheinungen dezent die Nase. Selbst der Einsatz von Metall ist auf die aus einer speziellen Legierung hergestellte Gussplatte – sie trägt die Saiten – und einige wenige Dübel beschränkt.

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Die ausgesuchte Sorgfalt, mit der bei Steinway Holz behandelt wird, mag für den Laien nicht so recht zu der rohen Gewalt passen, mit der ausgerechnet das wichtigste Stück eines Flügels hergestellt wird. 19 Lagen Hartholz, jedes Furnier knapp 3 m lang und nur wenige mm dick, bilden den so genannten Rim, das Gehäuse eines Flügels.

Seit 15 Jahren arbeitet Dennis Otto in der Rim-Biegerei von Steinway. Zusammen mit drei Kollegen packt er die maschinell verleimten Furniere, legt sie mit schnellem Griff seitlich an eine Form, die den charakteristischen Schwüngen eines Flügels entspricht.

Von der Seite drücken gewaltige Zargen, pressen das Holz hydraulisch mit 120 bar an die Form. Es knirscht gewaltig: „Gebrochen ist hier noch nie etwas“, beruhigt Otto. Mit einer Knarre zieht er die Stellschrauben an der Seite nach: „Einen Drehmomentschlüssel brauchen wir nicht, das hat man im Gefühl.“ Sechs Stunden bleibt der Rim-Rohling in der Presse, bis der Leim getrocknet ist.

Die Spannung, unter der der Rim jetzt steht, gehört bei Steinway buchstäblich zum guten Ton. Nur so ist es möglich, dass die Schwingungen der Saiten ohne Verzerrungen auf das gesamte Instrument übertragen werden und so ein perfekter Klangkörper entsteht. Seit dem Heinrich Steinweg 1836 in der Küche seines Wohnhauses in Seesen/Harz den ersten Flügel baute, gilt dieses Prinzip.

Dass „die Steinways“ besonders stolz darauf sind, ist nicht zu überhören. Über Mitbewerber auf dem Musikinstrumentenmarkt äußert man sich mit hanseatischer Zurückhaltung grundsätzlich nicht.

Dem Einbau des Resonanzbodens kommt besondere Bedeutung zu. Die Herausforderung: Der Boden muss spaltfrei in den Rim passen – ein Kunststück, denn jeder Rahmen weicht um Zehntelmillimeter vom nächsten ab; manches Mal macht nur eine mit dem Auge kaum sichtbare Verdickung im Holz den Unterschied aus. Über Jahrzehnte wurde die Präzisionsarbeit von einer schlichten Kopierfräse erledigt, die den Rim abtastete und gleichzeitig den zugehörigen Resonanzboden schnitt. Was die Maschine nicht schaffte, erledigte der zuständige Tischler mit Augenmaß und Fingerspitzengefühl.

Seit Sommer vergangenen Jahres fügt eine CNC-gesteuerte Fräsmaschine Rim und Resonanzboden zusammen. Das Steuerprogramm dafür zu entwickeln, war für Oliver Gube die große Herausforderung. Die Erfassung der Geometrie war das erste Problem: Die charakterische Flügelform des Rims ist ebenso wenig mit einer Formel zu greifen wie die asymmetrische Wölbung des Resonanzbodens. Steinweg hatte die Form aus dem Gefühl entwickelt. Und auch nachdem er 1853 in New York als Henry E. Steinway die Firma Steinway & Sons gründete, hielt er seine genialen Ideen nur selten in Konstruktionsskizzen und Plänen fest.

Bei der Entwicklung des CNC-Steuerprogramms blieb Gube nur die empirische Feldforschung: „Vieles ergab sich im Dialog mit den Mitarbeitern, die die Arbeit schon seit Jahren machen.“ Doch die größte Herausforderung schwebte ungreifbar durch den Raum: „Die klangliche Komponente sieht man nicht.“

Manches Mal machte erst die Arbeit am Computer sichtbar, was der Tüftler Steinway sich gedacht hatte: „Häufig hatten wir ein innerliches Aha-Erlebnis und sahen, dass viele Dinge gar nicht so zufällig waren, wie sie erschienen.“

Nach und nach enthüllen die Konstruktionsspezialisten das Geheimnis der Erfindung eines genialen Handwerkers, der zugleich ein begeisterter Musiker war. Teilweise demontierten die Spezialisten sogar über 100 Jahre alte Flügel, um erkennen zu können, was sich der Konstrukteur gedacht haben könnte und was er im Laufe der Zeit veränderte: „Bis Steinway unser heutiges Hauptmodell entwickelte, hat er schließlich fast 50 Jahre herumgetüftelt.“ Auch deshalb ist Gube klar, dass es noch ewig dauern wird, bis der Flügel in seinen ganzen Konstruktionsdetails digital erfasst ist.

Mit viel Glück und Geduld wird er in den kommenden Jahren zwar nach und nach sämtliche Komponenten und Bauweisen eines Flügels für den Konstruktionscomputer erfassen und auf dem Bildschirm dreidimensional darstellen können – in der Fertigung wird das gespeicherte Wissen aber kaum zur Anwendung kommen: Rund 80 % der Fertigung sind reine Handarbeit, für die Maschinen allenfalls Hilfsmittel sind.

Auch das Gehäuse zu lackieren und polieren, ist Erfahrungssache – diese und tausend weitere Handgriffe kann eine Maschine kaum ersetzen. Weil jeder Flügel zudem ein individuelles Meisterstück ist, brächte eine größerer Computereinsatz keine nennenswerten Rationalisierungseffekte. „Der Bau eines einziges Flügels dauert etwa sechs Monate“, weiß Marketingchefin Sabine Höpermann.

Nur wenn jede Taste der Klaviatur vor der Endabnahme 10 000 Mal angeschlagen wird, darf die Maschine wieder einmal zuschlagen. Ansonsten ist es allein der perfekten Organisation der Arbeitsabläufe zu verdanken, dass jährlich 1200 Instrumente das Hamburger Werk verlassen.

Obwohl nur 5 % der Jahresproduktion auf Bestellung gefertigt werden, bleiben die übrigen Instrumente allenfalls drei Wochen im Verkaufsraum des Hamburger Werkes oder in einem der zum Unternehmen gehörenden Geschäfte stehen. Viel Werbung müssen die Hamburger dabei gar nicht machen – die lange Liste renommierter Künstler, die auf Steinway vertrauen, spricht für sich: „Für viele Menschen ist es einfach ein Lebenstraum, einmal einen Flügel von uns im Haus stehen zu haben.“

Auch wenn Gerd Fründ in einigen Jahren in Ruhestand geht, wird garantiert sein, dass die Erfüllung dieses Lebenstraumes mit einem unvergleichlichen und vor allem typischen Klangerlebnis verbunden ist. Wie ein perfekter Steinway klingt, lernt Fründs Nachfolger bereits – seit 30 Jahren.

 

Ein Beitrag von:

  • ingenieur.de

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