Bis Jahresende auf dem Markt 09.08.2013, 09:38 Uhr

Smartphone kann einen Herzinfarkt erkennen

Mit einem EKG-Kabel und einer App können Herzkranke künftig ihren Zustand selbst überprüfen. Die Messung lässt sich schnell und an jedem Ort durchführen. Das Gerät gibt dann sofort eine Handlungsempfehlung. Das Jungunternehmen Personal MedSystems will, dass möglichst viele Patienten in der ersten Stunde nach einem Infarkt ärztliche Hilfe bekommen.

Ein Smartphone, ausgestattet mit speziellen EKG-Kabeln und einer App, kann im Fall von Unwohlsein überprüfen, ob ein Infarkt vorliegt. Das gibt auch den Patienten die Chance, früher einen Notarzt zu rufen.

Ein Smartphone, ausgestattet mit speziellen EKG-Kabeln und einer App, kann im Fall von Unwohlsein überprüfen, ob ein Infarkt vorliegt. Das gibt auch den Patienten die Chance, früher einen Notarzt zu rufen.

Foto: Personal MedSystems

Im Handumdrehen hat sich Felix Brand verkabelt: Zwei Elektroden kommen über oder unter das Brustbein, zwei weitere werden links oder rechts am Brustkorb festgemacht. Das andere Kabelende steckt im iPhone. Schon läuft das EKG-Gerät im Taschenformat. Nach einer Minute zeigt es an: alles normal.

Smartphone übermittelt auf Wunsch EKG-Daten an den Arzt

Die Technik, die Brand als Mitgründer und Geschäftsführer von Personal MedSystems so routiniert demonstriert, besteht aus einem leichten, aber leistungsfähigen EKG-Kabel und einer App. Gedacht ist sie für Schwerkranke, die bereits einen Infarkt oder eine Bypass-OP hinter sich haben. Fühlen sie sich irgendwie anders, können sie gleich messen. Die Daten werden nicht an ein medizinisches Call-Center übermittelt, sondern direkt im iPhone ausgewertet. Zum Abgleich ist ein Referenz-EKG des Nutzers gespeichert.

„Damit grenzen wir uns von der klassischen Telemedizin ab“, so Brand: „Der Nutzer ist völlig unabhängig von irgendeiner Infrastruktur.“ Abonnenten einer Integrierten Service-Plattform (ISP) können die Daten aber ihrem behandelnden Arzt elektronisch übermitteln. Dieser muss nicht sofort reagieren. Aber er erhält laut Brand „fundierte Informationen – und das ist später für die Indikation sehr wichtig“. Bei Herzrhythmusstörungen ist es z. B. von Bedeutung herauszufinden, wann und wie die Aussetzer auftreten.

Das System mit dem Namen CardioSecur ist keine automatische Notrufanlage. Der Nutzer muss selbst handeln. Wenn es Gelb anzeigt: einen Arztbesuch planen. Bei Rot: den Krankenwagen rufen. Beim Infarkt zählt jede Minute. Aber nicht jeder hat die typischen starken Brustschmerzen, Angst und Atemnot – oder nimmt seinen Zustand ernst genug. Nur 11 % der Patienten erhalten eine Intervention innerhalb der ersten „goldenen Stunde“, so die Statistiken. „Wo lässt sich dabei am meisten Zeit sparen?“, fragten sich Brand und sein Mitgründer, der Elektroingenieur Markus Riemenschneider. Die Antwort lautet: im privaten Umfeld, zwischen den ersten Symptomen und dem Kontakt zur professionellen Hilfe.

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Gerät kann 3D-Bild des Herzens errechnen

Dafür braucht es jedoch eine einfache Lösung, die selbst ein medizinischer Laie in einer Stresssituation bedienen kann. Deren Herzstück ist das Kabel. Mit nur vier Elektroden ermöglicht es ein EKG, welches in dieser Qualität sonst nur von einem Zwölf-Kanal-Gerät erreicht wird. Das reduzierte Verfahren beruht auf dem seit Jahrzehnten bekannten und geprüften EASI-Standard. „Im Prinzip handelt es sich um ein mathematisches Modell“, erklärt Brand. „Unsere Positionen sind wie ein Tetraeder aufgebaut. Wir können ein 3-D-Bild des Herzens erzeugen und alle Kanäle errechnen.“

Personal MedSystems hat den Standard weiterentwickelt. Das System funktioniert nun sogar, wenn in der Aufregung die Plätze der farblich gekennzeichneten Elektroden vertauscht wurden. Es genügt, wenn die Positionierung auf dem Körper ungefähr stimmt. „Das System erkennt die Misallokation, rechnet rückwärts und gibt immer das korrekte Ergebnis heraus, was in mehreren Untersuchungen bestätigt wurde.“ Auf diese Methode hält das Berliner Start-up ein Patent.

Auf Einfachheit legen die Gründer größten Wert, weil sie vor Jahren auf einer komplizierten Technologie sitzen blieben. Es handelte sich damals ebenfalls um ein mobiles EKG-Gerät: Es sollte die Patientendaten aus dem Krankenwagen oder dem Rettungshubschrauber direkt ans Krankenhaus übertragen. „Das Ganze war over-engineered, und die Akzeptanz in den Krankenhäusern gering“, erinnert sich Brand. 2008 gründeten der Jurist und der Elektroingenieur deswegen neu. „Durchhaltevermögen ist die allerwichtigste Eigenschaft, die ein Gründer haben muss.“

Für Ärzte: EKG-Technik für das iPad

Eine Lösung für Ärzte bietet CardioSecur auch: Sie läuft mit demselben reduzierten Elektroden-Verfahren und mit einer App für iPads. Hier werden die EKG-Kurven angezeigt. Man kann verschiedene Segmente heranzoomen oder anhalten. Daten lassen sich in einen Bericht exportieren sowie archivieren. CardioSecur Pro – ohne iPad – kostet rund 1000 €, deutlich weniger als konventionelle EKG-Apparaturen.

Das System ist seit Anfang des Jahres auf dem Markt und stoße, so Brand, auf großes Interesse bei Ärzten, die zwischen verschiedenen Klinik-Abteilungen, auf Hausbesuch, im Rettungswagen usw. viel unterwegs seien. Einige Fluggesellschaften wollten ebenfalls das System mit an Bord nehmen. Es könne helfen, die plötzlichen Brustschmerzen eines Passagiers als kritisch oder unkritisch einzuschätzen. Flugumleitungen aus Verdacht wären dann passé.

Mit 150 000 € von ihren Business Angels fingen Riemenschneider und Brand ihre aktuelle Unternehmung an. Dann beteiligte sich der Hightech-Gründerfonds mit 500 000 €. Vor Kurzem ist der französische Investor Seventure Partners mit 2,5 Mio. € bei den Berlinern eingestiegen. Das frische Geld wollen sie vor allem für Marketing und Vertrieb nutzen.

Patienten-Lösung kommt in den nächsten Monaten auf den Markt

Die Patienten-Lösung fürs iPhone kommt in den nächsten Monaten auf den Markt. Die Basis-Version kostet 500 €, die optionale Kommunikationsmöglichkeit über die ISP kann für zwei Jahre abonniert oder pro Tag der tatsächlichen Nutzung bezahlt werden. Die Klebeelektroden kommen noch dazu, denn diese sind Wegwerfartikel. Personal MedSystems redet zurzeit mit den Krankenkassen über die Kostenübernahme.

„Wir haben auch Partner-Kliniken, die die Geräte erwerben und an ihre Hochrisiko-Patienten kostenlos weitergeben. Dieses Modell läuft bisher im Ausland, ist aber auch hier denkbar“, sagt Brand. Das Unternehmen setze vor allem auf den Export. Die Nachfrage sei dort besonders groß, wo zum nächsten Katheterlabor eine weite Strecke zurückzulegen ist, etwa in Indien, Russland oder den Golfstaaten. „Bis Ende des Jahres werden wir auf jeden Fall einen sechsstelligen Umsatz erreichen und zehn Mitarbeiter haben.“

 

Ein Beitrag von:

  • Matilda Jordanova-Duda

    Matilda Jordanova-Duda ist freie Autorin für Print, Radio und Onlinemedien. Ihre Themenschwerpunkte sind Existenzgründung und Mittelstand, Energiewende und Industrie 4.0. sowie Bildung und Migration.

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