Forscher Westhauser ist aus der Riesending-Schachthöhle gerettet
Es ist vollbracht: Nach einem über fünftägigen Rückweg haben die Höhlenretter mit dem verletzten Forscher Johann Westhauser das erlösende Tageslicht erreicht. Für die spektakuläre Rettungsaktion nötig waren Hunderte größtenteils ehrenamtliche Helfer, tonnenweise Material, zahlreiche Hubschrauber und eine ausgeklügelte Logistik.
254 Stunden nach dem verhängnisvollen Steinschlag in 1000 Metern Tiefe steht fest: Die beispiellose Rettungsaktion für den 52-jährigen Johann Westhauser war ein Erfolg. Insgesamt 728 Menschen aus fünf Nationen haben daran gearbeitet, den am Pfingstsonntag verunglückten Höhlenforscher, der am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) arbeitet, so heil wie möglich wieder an die Oberfläche zu bringen, damit seine schweren Kopfverletzungen in einer geeigneten Klinik behandelt werden können.
202 Höhlenretter waren im Einsatz
Die elf Tage, zehn Stunden und 14 Minuten vor dem erlösenden Moment um 11.44 Uhr an Fronleichnam, als die Helfer mit dem verletzten 52-Jährigen auf der rund 100 Kilo schweren Trage ans Tageslicht traten, strotzten vor Herausforderungen: Nach kürzester Zeit hatten sich die besten Höhlenretter Europas am Höhleneingang in 1800 Metern Höhe versammelt, 202 von ihnen waren abwechselnd in der Höhle unterwegs – der Rest hatte die unterschiedlichsten Aufgaben vor dem Loch im Gestein übernommen, das den Eingang zu dem 19 Kilometer langen Gänge- und Schachtgewirr darstellt.
Der Ort des Unfalls sowie die Hindernisse auf dem Weg dorthin hatten wenig mit den bisherigen Übungen der versammelten Höhlenretter zu tun: Der 6,5 Kilometer lange Weg zum Unfallort wartete mit unterirdischen Bachläufen, 180-Meter-Steilwänden, Engstellen von gerade einmal 30 Zentimetern Breite und wassergefüllten Canyons auf.
Einen Schwerverletzten dort möglichst erschütterungsfrei hindurchzutransportieren, benötigt schon außergewöhnliches alpines Fachwissen, Geschick, Übung und Glück – und das richtige Material, und zwar viel davon. „Bis zu 90 Prozent der Höhlenretter-Ausrüstung, über die die Bergwacht Bayern verfügt, war zwischenzeitlich in der Riesending-Schachthöhle verbaut“, gibt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann einen Eindruck von den Dimensionen, in denen sich die Materialschlacht bewegte – und das war nur ein Teil der am Ende tatsächlich benötigten Menge.
Für Schlecht-Wetter-Phasen standen sogar Maultiere bereit
Die Expeditionsausrüstung für die Retter lagerte in einem eilends eingerichteten Logistikzentrum in einer Gebirgsjägerkaserne in Bischofswiesen. Tausende Kletterkarabiner, kilometerweise Seil, medizinisches Material, Verpflegung und Kleidung für die Rettungstrupps wurden von hier aus mit Hubschraubern von Bundespolizei, Polizei und Bundeswehr zum Eingang der Höhle in einem unwegsamen felsigen Karstfeld transportiert – für Autos oder gar Lastwagen wäre der Weg nicht zu bewältigen gewesen. Wurden Menschen und Material zu Beginn noch per Seilwinde hinabgelassen, wurde später ein Landeplatz planiert. Doch auch für den Fall einer anhaltenden Schlecht-Wetter-Phase hatten die Helfer vorgesorgt: Im Tal standen Maultiere bereit, die das Nötigste hinaufgebracht hätten.
Rücktransport dauerte fünf Tage, 18 Stunden und 16 Minuten
Schon der Weg hin zum Verletzten hatte es in sich – Experten vergleichen den Schwierigkeitsgrad der Strecke mit einer Himalaya-Besteigung. Allein deshalb war der Erfolg des Unterfangens bis zur allerletzten Minute nicht sichergestellt: Ein Arzt zum Beispiel war erst drei Tage nach dem Unfall bei Johann Westhauser. Und auf dem Rückweg, den die Rettungskräfte etwa fünf Tage nach dem Steinschlag antreten konnten, fingen die Schwierigkeiten erst an: Die Trage musste durch unwegsame Gänge, durch Bachläufe und extrem enge Passagen gebracht werden, ohne den Verletzten zu erschüttern und die Kopfverletzungen dadurch noch schlimmer zu machen.
Genau fünf Tage, 18 Stunden und 16 Minuten brauchten die Retter für den Rücktransport. Dass das erste Stück dabei nahezu waagerecht verlief und auch die letzte Etappe den Ruf hat, vergleichsweise einfach zu sein, war da kein Trost: Ein Spaziergang waren auch diese Abschnitte nicht.
Während der Trupp um Johann Westhauser sich Zentimeter für Zentimeter vorwärtskämpfte, bereiteten andere Höhlenspezialisten verschiedene Schlüsselstellen vor. So musste an einem Wasserfall die Gischt abgeschirmt werden, damit der Verletzte nicht durchnässt wird. Für den nahezu bewegungslos fixierten Westhauser wäre das fatal gewesen – in der Höhle herrscht eine Temperatur von etwa drei Grad Celsius. Um Unterkühlung zu verhindern, hatten die Retter eine mobile Heizung dabei, die Kohlestäbe verbrannte und die Wärme mittels eines Ventilators über Schläuche zum Körper leitete.
180 Meter Steilwand mit reiner Muskelkraft
Eine extreme Hürde stellte auch die rund 180 Meter hohe Steilwand in der vorletzten Etappe dar: Österreichische Bergretter hatten dieses Teilstück so präpariert, dass die 100-Kilo-Trage mit Johann Westhauser per Hand hochgezogen werden konnte – eine Unterstützung durch einen Motor wäre zu gefährlich gewesen, da es zu Erschütterungen mit schlimmen Folgen für den Verletzten hätte kommen können. Hilfe erhielten die ziehenden Retter von Kollegen, die sich per Pendelzug als Gegengewicht den Schacht herunterließen.
Unterbrochen wurde der Aufstieg von Ruhepausen in den unterirdischen Biwaks, die die Erforscher der Höhle schon vor dem Unfall eingerichtet hatten. In dieser Zeit wechselten sich die Helfer größtenteils ab, um stets die höchste Konzentration bieten zu können. Doch selbst die Wechsel mussten genau geplant werden: Teilweise sind die Gänge so schmal, dass die auf- und absteigenden Teams nicht aneinander vorbei gepasst hätten.
Diese Logistik setzte eine funktionierende Kommunikation voraus. Funk und Mobiltelefonie funktionieren in der Tiefe natürlich nicht. Deshalb hatten italienische Höhlenretter ein sogenanntes Cave-Link-System aufgebaut. Es ermöglicht eine auf Langwellen basierende, SMS-ähnliche Kommunikation. Die Übermittlung der Nachricht dauert mehrere Minuten. Bereits unmittelbar vorm Start des Transports am Freitag, 13. Juni, hatte Westhauser selbst das Höhlentelefon genutzt, um Grüße an seine Familie zu übermitteln.
Jubel an der Oberfläche
Auf der letzten Etappe hatten es die Retter noch einmal besonders langsam und sorgfältig angehen lassen, um nicht vor lauter Euphorie über den nahen Ausstieg doch noch einen Fehler zu machen. Als der Trupp dann aber um 11.44 Uhr am Donnerstag ans Tageslicht kam, konnten die Unterstützer ihre Freude nicht mehr zurückhalten und fielen sich in die Arme. Johann Westhauser, der die Tour nach Auskunft der Ärzte stabil überstanden hat, wurde unterdessen zum wartenden Hubschrauber gebracht, der ihn endlich in eine geeignete Klinik bringen sollte – der Weg dorthin führte durch ein Spalier erleichterter, erschöpfter und begeisterter Menschen.
So erfolgreich die Rettungsaktion auch war: So schnell wollen die Beteiligten sie nicht wiederholen müssen. Wenn es nach dem Willen des Bayerischen Innenministers Joachim Herrmann geht, wird die Höhle zunächst erst einmal wieder geschlossen – damit kein Hobby-Höhlenforscher „nur mal kurz gucken“ will und damit gleich den nächsten Einsatz auslöst.
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