Vulkanausbruch in Indonesien sorgte für Erfindung des Fahrrades
Eigentlich sind die Umstände der Erfindung des Fahrrades heute vor 200 Jahren unglaublich: Weil der schlimmste Vulkanausbruch des vergangenen Jahrtausends für den Ausfall des Sommers in Europa und eine Hungersnot sorgte, kam Freiherr Karl von Drais auf die Idee, ein Verkehrsmittel zu erfinden, das mit Menschenkraft auskam. Warum? Das wichtigste Verkehrsmittel der Zeit, das Pferd, wurde wegen der Hungersnot geschlachtet.
Der Ausbruch des Tambora auf der indonesischen Insel Sumbawa im Jahr 1815 hatte unvorstellbare Ausmaße. Die Eruption hatte die 170.000-fache Stärke der Hiroshima-Atombombe. Noch in 2.600 km Entfernung waren die Explosionen zu hören, die Druckwelle war noch in 15.000 km zu spüren. Unfassbar.
1816 – Das Jahr ohne Sommer
Es wurde so viel Staub und Asche in die Atmosphäre getragen, dass 1816 der Sommer in Nordamerika und Europa ausfiel. Die globalen Durchschnittstemperaturen sanken um 3 °C. Der Himmel blieb das ganze Jahr grau, die Ernten fielen aus. Vor Hunger wurden auch die Pferde geschlachtet, die nicht nur auf dem Acker eingesetzt wurden, sondern vor allem als Zugtiere für Kutschen und Karren. Der Waren- und Personentransport brach zusammen.
Das brachte den in Karlsruhe geborenen Freiherrn Karl von Drais auf die Idee, ein Fahrzeug zu entwickeln, mit dem sich ein Mensch auch ohne die Kraft eines Pferdes fortbewegen konnte. Er hatte schon nach der Missernte 1812 damit begonnen, an solch einem Gefährt zu arbeiten. Der Durchbruch war die Idee, zwei Räder hintereinander anzuordnen statt wie bei der Kutsche nebeneinander.
Drais’ Idee: Man montiere zwei Räder hintereinander
Er nahm einen Holzbalken, auf dem der Sitz montiert wurde, und befestigte vorne und hinten zwei Räder. Das vordere Rad war lenkbar. Angetrieben wurde das Gefährt, das Drais LODA nannte, aber als Draisine in die Geschichte einging, mit den Füßen. Mit seiner Laufmaschine hatte Drais den Vorläufer des Fahrrades erfunden.
Seine Jungfernfahrt von Mannheim nach Schwetzingen und zurück am 12. Juni 1817 war ein Medienereignis. Für die 14 km brauchte Drais mit seinem etwa 20 kg leichten Laufrad eine knappe Stunde. Seine Durchschnittgeschwindigkeit betrug 15 km/h. Die Begeisterung war groß. Die Draisine verbreitete sich nicht nur in Deutschland, sondern bald in ganz Europa.
Es wurde so viel Draisine gefahren, dass schon bald das Fahren auf befestigten Bürgersteigen verboten wurde. Die Straßen waren jedoch in schlimmem Zustand. Und auch dort gab es bald Verbote. So verschwand das Laufrad aus dem Straßenbild. Bis es als Sportgerät eine Renaissance erlebte.
Hochräder: Radfahrschulen in Velodromen
In den 1860er Jahren tauchten die ersten Räder auf, die am Vorderrad Pedale montiert hatten. Das Problem: Wer schneller fahren wollte, musste unheimlich schnell treten. Um das Tempo zu erhöhen, musste das Vorderrad vergrößert werden – die Hochräder entstanden.
Doch das Fahren auf dem Hochrad war ausgesprochen schwierig und musste in sogenannten Velodromen erst erlernt werden. So reiste Prinzessin Viktoria zu Schaumburg-Lippe, Schwester des deutschen Kaisers Wilhelm II., extra von Berlin nach Bonn, um im dortigen Velodrom von Johann Bachem das Hochradfahren zu erlernen. Bachem war der Erste gewesen, der vom Rüsselsheimer Fahrrad- und Nähmaschinenhersteller Opel das Privileg bekam, Opel-Räder zu verkaufen.
Dazu war Bachem persönlich zu Adam Opel nach Rüsselsheim gereist. So entstand 1886 das erste offizielle Opel-Fahrradgeschäft der Welt in Bonn, wie der örtliche ADFC in seinem Jubiläumsbuch zum 200. Geburtstag des Fahrrades berichtet.
Erfolg: Das Niederrad wird der Durchbruch
Mit der Erfindung des sogenannten Niederrades Ende des 19. Jahrhunderts sollte dann der Siegeszug des Fahrrades einsetzen. Denn nun waren keine Velodrome mehr notwendig, um das Radfahren zu lernen. Auch Arbeiter konnten sich ein Fahrrad leisten und in Wohnungen ziehen, die etwas weiter entfernt von der Fabrik lagen.
Zugleich entstanden Arbeitersportvereine, in denen nicht nur Sport getrieben wurde, sondern auch Radtouren und Radurlaube unternommen wurden. Die Post begann, mit dem Rad die Briefe zuzustellen, Bäcker fuhren das Brot mit Lastenrädern aus.
Emanzipation der Frauen: Rückenwind durch das Rad
Für die Emanzipation der Frauen war das Fahrrad ebenfalls elementar: Erstmals konnten auch Frauen ihren Bewegungsradius erweitern – im Beruf und in der Freizeit. Die österreichische Frauenrechtlerin Rosa Mayreder sagte zu Beginn des 20. Jahrhunderts: „Das Bicycle hat zur Emanzipation der Frauen aus den höheren Gesellschaftsschichten mehr beigetragen als alle Bestrebungen der Frauenbewegung zusammen.“
Selbst die Mode lockerte sich durch das Rad. Mit langen Kleidern war das Radfahren beschwerlich. Und so gab es kürzere Röcke, die ersten Frauen wagten sogar – anfangs noch ein Skandal – mit Hosen auf dem Rad zu fahren. Die französische Radrennfahrerin Hélène Dutrieu war 1897 die erste Frau, die bei ihrer Titelverteidigung als inoffizielle Weltmeisterin im Radrennen Hosen trug. Sie löste unglaubliches Aufsehen damit aus und landete auf den Titelblättern der damaligen Illustrierten.
Saudi-Arabien erlaubte erst 2013 Frauen das Radfahren
Doch in manchen Gegenden der Welt sollte es bis zur heutigen Zeit dauern, bis Frauen mit dem Rad fahren dürfen. So ist Frauen das Radfahren in Saudi-Arabien erst seit 2013 erlaubt. Und die Frauen-Nationalmannschaft Afghanistans trainiert im Radsport nicht nur mit Kopftuch, sondern unter Lebensgefahr.
Interessant aus heutiger Sicht: Die meistverbreitete Rahmenform des Diamantrahmens wurde schon früh mit dem Niederrad erfunden und hat sich im Grunde bis heute erhalten. Die Erfindung des Niederrades und des Kettenantriebes waren der Durchbruch, um aus dem Laufrad ein Verkehrsmittel werden zu lassen, auf das heute Großstädte wie Paris, London und Kopenhagen ihre größten Hoffnungen legen, um den Verkehrsinfarkt zu vermeiden. In Deutschland, vor allem im Ruhrgebiet, sollen kreuzungsfreie Radschnellwege nach dem Vorbild von Autobahnen für schnelles Pendeln der Radfahrer sorgen.
Der Luftreifen wurde schon 1895 von Dunlop erfunden
Natürlich gab es auch andere Meilensteine. So stellte 1895 Seard Thomas Johnson in den USA ein Fahrrad mit zwei Gängen vor, 1888 erfand John Boyd Dunlop den Luftreifen, 1902 erhielt das Chemnitzer Unternehmen Wanderer das erste Patent für eine Nabenschaltung. Fichtel & Sachs folgte 1907 mit der Torpedo-Schaltung. Die Freilaufnabe hatte Fichtel & Sachs ein Jahr zuvor auf den Markt gebracht.
Aber es gab auch Rückschläge: Vor allem das Aufkommen des Autos in den 1950er Jahren sorgte dafür, dass das Fahrrad allenfalls noch als Klapprad im Kofferraum landete. Erst Ende der 1970er Jahre setzte die Rückbesinnung ein. Doch der Umbau der autogerechten Stadt, der dauert bis heute. Wie man das allerdings in kurzer Zeit bewältigen kann, zeigt Kopenhagen. Ein Vorbild, das dem Erfinder des Fahrrads, Karl von Drais, sicher gut gefallen würde.
Herzlichen Glückwunsch zum 200. Geburtstag des Fahrrades.
Sie wollen mehr zur 200-jährigen Geschichte des Fahrrades wissen? Dass Mannheimer Technikmuseum Technoseum hat die hervorragende Ausstellung „2 Räder – 200 Jahre“ über das Fahrrad entwickelt.
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