Der unbekannte Erdbebendetektor unter unseren Füßen
Erdbeben vorherzusagen ist technisch aufwendig und vor allem ist es teuer. Doch nun haben amerikanische Forscher eine Methode vorgestellt, die auf eine bereits vorhandene Infrastruktur setzt.
Auf der Suche nach einem Erdbebenfrühwarnsystem kamen Forscher der Universität Stanford in Kalifornien zu einem überraschenden Ergebnis. Sie entdeckten das ungenutzte Potenzial einer Technologie, die schon vorhanden ist: Lichtwellenleiter, unter der Erde verlegt, bringen bisher HD-Fernsehen und High-Speed Internet zu den Konsumenten. Jetzt könnten neue Aufgaben auf die superschnellen Kabel zukommen.
Schwingungen der Lichtwellenkabel nutzen
Biondo Biondi ist Professor für Geophysik an der Stanford Universität. Und er hat einen Traum: Ein dichtes Netzwerk von Glasfaserkabeln soll eines Tages zu einem riesigen Sensor zur Beobachtung und Erforschung von Erdbeben verschmelzen, der zuverlässig und dabei extrem kostengünstig ist. Als erster Schritt hin zu dieser Zukunft konnte Biondi mit seinem Team in den letzten Jahren die Machbarkeit der technischen Umsetzung nachweisen: Durch Schwingung gestörte Glasfasern im Erdreich können Informationen über Ort und Stärke von geotektonischen Erschütterungen übermitteln.
Der Testsensor unter dem Uni-Campus von Stanford
Die britische Firma OptaSense, die sich an der Forschung Biondis beteiligt, stellte unter anderem spezielle Messgeräte zur Verfügung. Mit diesen sogenannten Laser-Interrogatoren lassen sich die Signale von erschütterten Glasfaserkabeln empfangen, übersetzen und auswerten.
Zum Test wurde eine fast fünf Kilometer lange Schleife an Glasfasern unter dem Campus der kalifornischen Universität Stanford verlegt. Biondi hofft, die Erfahrungen aus diesem kleinen Modell bald auf Tausende von Kilometern optischer Fasern übertragen zu können, die rund um die San Francisco Bay in der Erde liegen.
Glasfasern als preiswerte Alternative zu Seismographen
Die bisherige seismographische Überwachung wird mit sogenannten Seismographen gemacht. Dabei registriert eine an Federn aufgehängte Masse kleinste Erdbewegungen. Elektronische Auswertungen ergeben sehr genaue Aufschlüsse über Richtung, Stärke und Verlauf eines seismographischen Ereignisses. Der Nachteil: Die Technologie ist teuer, in der Wartung aufwendig und so nicht flächendeckend für einen realistischen Preis einsetzbar.
Auch wenn die Glasfasern nicht so empfindsam sind, gibt sich Biondi jetzt schon optimistisch: „Wenn wir alle bereits existierenden und verlegten Glasfaserkabel der Telekommunikation nutzen, können wir ständig die Erde fühlen, und wir fühlen sie gut.“
Wertvolle Informationen etwa für Bauingenieure
Das Argument, dass ein Meter Glasfaser ein US-Dollar kostet, ist vielleicht Professor Biondis stichhaltigstes Argument. „Es ist doch schon alles da an Sensoren in der Erde. Das schafft man mit Seismographen niemals.“ Doch auch qualitative Argumente haben der Forscher und sein Team in petto, etwa Biondis Mitarbeiterin Eileen Martin:
„Das, was wir bald flächendeckend messen können, sind wichtige Informationen für Bauingenieure. Wenn erfasst wird, wie Gebäude und Brücken auf Erschütterungen reagieren, dann können sie je nach Ort erdbebensichere Konstruktionen entwickeln. Das alles, obwohl man uns anfangs nicht geglaubt hat.“
Die seismographische Glasfasertechnologie in Stanford, seit September 2016 im Einsatz, hat jetzt bewiesen, was sie leistet. Das Beben in Mexiko am 8. September 2017, bei dem Mexiko-Stadt genau 20 Minuten Vorwarnzeit hatte, erreichte einen Wert von 8,2 auf der Richter-Skala. Es wurde von Biondis Team erfolgreich erfasst. Aber wie geht das genau?
Die Technik nutzt die veränderte Rückstreuung als Signal
Glasfaserkabel transportieren Daten sehr schnell über lange Distanzen. Hierfür werden elektronische Impulse in Lichtquanten gewandelt. In Glasfasern sind jedoch winzige Partikel oder Verunreinigungen eingeschlossen. Trifft Licht darauf, streut dies dadurch in charakteristischer Art und Weise, die messbar ist. Wenn die Glasfasern sich in völliger Ruhe befinden, sind diese Abweichungen immer gleich. Wird das Kabel aber bewegt, verändert sich die Rückstreuung auch schon bei kleinsten Erschütterungen. Anfangs hielt man es für unmöglich, diese Schwankungen vom sogenannten „Grundrauschen“ der Kabel zu unterscheiden. Doch was Biondi nun unter großer Aufmerksamkeit gelingt, hat sich anderswo schon bewährt.
Distributed Acoustic Sensing (DAS) als Vorbild
Eine Überwachungstechnologie mit Glasfasern ist nicht völlig neu. Genutzt wird das Verfahren DAS bereits länger zur Überwachung von Brunnen, Pipelines, Flüssiggasanlagen, Bohrloch- und Lagerungsüberwachung. Auch Branddetektoren funktionieren nach diesem Prinzip. Hierbei war es aber notwendig, Glasfasern mit Zement fest an das zu kontrollierende Medium zu binden, etwa an eine Pipeline. Dann nehmen diese Fasern vor allem akustische Veränderungen wahr. Für Biondis Technologie spielt es hingegen keine Rolle, dass Glasfaserkabel gewöhnlich locker in Rohren aus Kunststoff verlegt werden. Weil die Interrogatoren hier auf Signale reagieren, die durch Bewegung erzeugt werden.
Stanfords Wissenschaftler registrierten bereits 800 Ereignisse
Das verheerende Erdbeben in Mexiko zeigt, wie effektiv die Technologie basierend auf Glasfaserkabel jetzt schon sein kann. Immerhin konnte Biondis Team mit den Messungen Ereignisse darstellen, die über 3.000 Kilometer von ihnen entfernt waren. Auch in der näheren Umgebung von Stanford konnten im Laufe der Zeit zwei kleine seismographische Ereignisse mit Stärken von 1,6 und 1,8 registriert und lokalisiert werden.
Die Feststellung von Ereignissen solch geringer Stärke lieferte einen weiteren Beweis für die Tauglichkeit der neuen Technologie, wie Biondi feststellt: „Beide Ereignisse hatten gleiche Muster und Wellenform, denn sie waren gleich lokalisiert. Die höhere Amplitude für das stärkere Beben zeigte uns, dass unsere seismographische Glasfasertechnologie auch zwischen unterschiedlichen Bebenstärken unterscheiden kann.“
Allerdings nutzt es dafür nur eine Form von Wellen. Bebenwellen laufen grundsätzlich in zwei Formen durch die Erde: Man unterscheidet primäre (P-) und sekundäre (S-) seismische Wellen. Die P-Wellen sind für Frühwarnsysteme besonders interessant. Sie sind nicht so stark, aber können deutlich früher als S-Wellen registriert werden. Diesen Nachweis brachte das Team in Stanford ebenfalls. Zunächst wird die neue Technik nun für das seismologisch brisante Gebiet rund um die San Francisco Bay angewendet. Sie könnte aber auch weltweit führend werden.
In Ermangelung wirklich hilfreicher, also frühzeitiger Frühwarnsysteme, ist Vorbereitung die beste Hilfe gegen Erdbeben. Welche Technik vor Erdbeben schützt und welche für die Nachversorgung zum Einsatz kommt, lesen Sie hier. Eine der neuesten Techniken aus der Bauwirtschaft haben kanadische Forscher kürzlich vorgestellt: ein Super-Beton, der Wände im Nachholverfahren erdbebensicher macht.
Außerdem haben Wissenschaftler schon auf unterschiedlichste Weise versucht, dieses Manko der Erdbebenwarnsysteme zu lindern und etwa eine Smartphone-App entwickelt, die mittels GPS vor Erderschütterungen warnen soll. In der Schweiz kommt dagegen ein System zum Einsatz, das zwar nicht viel Zeit zur Reaktion lässt, den Eidgenossen aber verlässlich genug ist, um damit ihr kommunales Gasnetz zu schützen. In Basel, der am stärksten von Erdbeben bedrohten Stadt Zentraleuropas, schlägt ein deutsches System Alarm, sobald ein kritischer Schwellenwert an Erdbewegung überschritten ist.
Ein Beitrag von: