Fünf Prozent mehr Windernte durch Haifischhaut-Lack
Die Energiewende ist das große politische Thema der Großen Koalition. Ein wichtiger Baustein dieser Energiewende ist der Windstrom. Der bekommt jetzt durch einen neuen Haifisch-Lack aus Bremen im Wortsinn Flügel.
Der Haifisch ist ein schneller und wendiger Raubfisch. Vor allem seine Schnelligkeit macht ihn zu einem gefürchteten und überlegenen Jäger im Ozean. Die Struktur der Schuppen in seiner Haut verleiht ihm diese Schnelligkeit. Denn diese ist so aufgebaut, dass sie den Strömungswiderstand im Wasser deutlich reduziert. Mikroskopisch kleine Rillen in den Schuppen, Riblets genannt, die in Längsrichtung orientiert sind, verhelfen dem Haifisch zu dieser enormen Schnelligkeit. Fluiddynamische Untersuchungen aus den 1990er Jahren am Berliner Ableger des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt haben den Mechanismus aufgeklärt: Bei turbulenter Strömung werden die Komponenten der Wirbel, die quer zur Strömungsrichtung verlaufen, durch diese mikroskopisch kleine Längsrillen behindert. Und das macht den Hai schneller als seine Beute – und interessant für die Forschung.
Gleitzahl um mehr als 30 Prozent gesteigert
Ein klarer Fall für die Bionik. Für Wissenschaftler des Fraunhofer Instituts für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM in Bremen war es eine sportlich-wissenschaftliche Herausforderung, die Eigenschaften der Haifisch-Schuppen in einen Lack zu übertragen: den Riblet-Lack. Auf Flugzeug-Rümpfe oder Schiffsbäuche gestrichen, verspricht ein solcher Lack eine große Treibstoffersparnis.
Jetzt haben die Bioniker aus Bremen ihren Riblet-Lack am Modell eines Windenergieanlagen-Rotorblattes erfolgreich auf dessen aerodynamischen Eigenschaften getestet. Dabei konnte die Gleitzahl – das ist das Verhältnis zwischen Auftrieb und Reibung – durch den Riblet-Lack um mehr als 30 Prozent gesteigert werden. Es ist also durch einen einfachen Anstrich möglich, die Leistung von Windenergieanlagen zu steigern. Und zwar ohne zusätzliche Lasten für die Konstruktion der Windenergieanlage, da die leistungssteigernde Funktion in das Lacksystem integriert ist.
Stromausbeute kann um gut fünf Prozent gesteigert werden
„Diese Ergebnisse führen uns zu der Annahme, dass die Leistungssteigerung durch unser Riblet-Lacksystem eine Erhöhung der jährlichen Stromausbeute zwischen fünf und sechs Prozent ermöglicht“, erläutert Dr. Volkmar Stenzel, Leiter des Bereichs Lacktechnik am Fraunhofer IFAM. Ein ganz praktischer Versuch im Windkanalzentrum der Firma Windguard in Bremerhaven im Rahmen einer IFAM-Kooperation mit der Muelhan AG aus Hamburg – einem über 130 Jahre alten, weltweit agierenden Anbieter für den Schutz von Oberflächen unter anderem für Schiffsbau und Windenergie – brachte die positiven Ergebnisse zu Tage. In Fragen der Aerodynamik wurde der Versuch von Professor Dr. Alois Schaffarcyk von der Fachhochschule Kiel begleitet, einem Experten für die Aerodynamik von Windenergieanlagen.
Rotorblatt-Modell im Windkanal getestet
Es wurde ein Modell mit dem Profil DU-W-300 gebaut, das zunächst mit einer konventionellen glatten Beschichtung gemessen wurde. Im Anschluss erfolgte die Messung mit demselben Modell, das nun aber mit der funktionellen Riblet-Beschichtung versehen wurde. Beide Beschichtungen wurden mit zwei unterschiedliche Windgeschwindigkeiten, nämlich 50 Meter pro Sekunde und 75 Meter pro Sekunde sowie verschiedenen Anstellwinkeln durchgeführt. „Vor dem Hintergrund dieser positiven Ergebnisse und Prognosen suchen wir aktuell Kooperationspartner, mit denen wir gemeinsam das Potential unserer Riblet-Beschichtung für die kommerzielle Nutzung praktisch nachweisen werden“, blickt Dr. Volkmar Stenzel hoffnungsvoll in die Zukunft.
Die Bremer Bioniker sind schon etwas länger in Sachen Haifischhaut-Lack unterwegs, der Test auf einem Rotorblatt einer Windkraftanlage eröffnet dem Lacksystem allerdings mit Blick auf die Energiewende ein völlig neues Anwendungsfeld genau zur richtigen Zeit. Gerade vor diesem Hintergrund kann es einen entscheidenden Vorteil bringen, wenn ein mit diesem Lack beschichtete Windrad fünf Prozent mehr Windertrag liefert.
Nanopartikel im Lack sorgen für Stabilität unter extremen Bedingungen
Die erste Idee war, mit einem solchen Lack den Strömungswiderstand von Schiffen und Flugzeugen zu reduzieren, denn die mikroskopisch kleinen Rillen behindern gleichermaßen im Wasser und in der Luft die Wirbel, die quer zur Strömungsrichtung verlaufen. „Die größte Herausforderung war, dieses Wissen in einen Lack zu übertragen, der den extremen Anforderungen in der Luftfahrt Stand hält“, sagt Volkmar Stenzel. „Denn die Flugzeughaut muss Temperaturschwankungen von minus 55 bis plus 70 Grad Celsius, intensive UV-Bestrahlung und hohe Geschwindigkeiten schadlos überstehen.“ Nanopartikel sind es jetzt, die dafür sorgen, dass der Lack UV-Strahlung, extreme Temperaturwechsel und mechanische Belastungen dauerhaft aushält.
Dieser Riblet-Lack hat enormes Potential: Hochgerechnet auf den Weltluftverkehr kann er mindestens ein Prozent des dafür verbrauchten Treibstoffes einsparen – das sind jährlich rund 4,48 Millionen Tonnen. Als Schiffsanstrich konnten die Bremer Bioniker in einem Test mit einer Schiffbau-Versuchsanstalt die Reibung um mehr als fünf Prozent reduzieren. Bei einem Containerschiff bedeutet dies, hochgerechnet auf ein Jahr, ein Einsparungspotential von 2000 Tonnen Treibstoff.
Haifischhaut-Lack mindert auch den Lärm der Rotoren
Gerade die Behinderung der turbulenten Strömungen verleiht dem Riblet-Lack einen Nebeneffekt, der weit über die verbesserte Energieausbeute hinausgeht. „Darüber hinaus erwarten wir einen zusätzlichen Nutzen durch unseren Haifischhautlack für die unmittelbare Umgebung. Die Beschichtung kann gleichzeitig in der Lage sein, die Lärmemission der Anlage zu reduzieren“, sagt Stenzel.
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