Von Computerspiel animiert: Fitness-Übungen vor dem Bildschirm
Der Avatar auf dem Bildschirm bewegt sich genau so, wie die Frau ohne Arme es will. Ihr Körper dehnt sich, ihr Kopf neigt sich – und genau damit steuert die Contergan-Geschädigte die Spielfigur. In Wirklichkeit sind das Fitness-Übungen, spielerisch gesteuert von einer Software, die Fraunhofer-Forscher mit Contergan-Geschädigten entwickelt haben.
Besonders Menschen, die aufgrund des Contergan-Skandals ein Leben mit körperlichen Einschränkungen führen, wissen was es bedeutet, sich unter schwierigen Bedingungen zu bewegen. Mit ihnen haben die Forscher am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (IIS) in Erlangen mit Partnern aus der Wirtschaft ein neuartiges Fitnesstool entwickelt, das anders ist als die bekannten Videospiele. Es soll Menschen mit Beweglichkeitsstörungen helfen, sich mehr zu bewegen.
Förderung von Motorik, Konzentration und körperlichen Fitness
Während die Betroffenen mit Hilfe einer ausgetüftelten Elektronik ein Videospiel spielen, machen sie ganz unbewusst Therapieübungen, die Motorik, Konzentration und Koordination fördern. Zudem verbessern sich Ausdauer und körperliche Fitness. Hinter dem Spiel steckt das Ziel die Menschen zu motivieren, bestimmte Bewegungen selbstständig immer wieder durchzuführen, die zu einem guten Spielergebnis führen.
„Geschafft: Neuer Rekord!“: Dieser Ausruf einer Probandin zeigt, welche Freude ihr das Spiel macht. Die Frau bestimmt das Spiel mit ihren Körperbewegungen, in dem sie ihren Oberkörper von einer Seite zur anderen wiegt und ihre Schultern kleine Kreise machen.
„Gesteuert hat sie ihren Avatar mit den Bewegungen ihres Oberkörpers und der Hilfe unseres intelligenten Schulterkissens“, beschreibt Andreas Huber, Wissenschaftler am IIS in Erlangen, das Spiel. Integrierte Sensoren im Schulterkissen erfassen jede mögliche Bewegung des Spielers. Egal, ob es sich dabei um rotierende, vertikale oder horizontale Bewegungen handelt. Jede Bewegung wird über Bluetooth auf ein Tablet oder einen Computer übertragen, der vor dem Spieler steht.
Spiel integriert von Therapeuten empfohlene Übungen
„Der Nutzer spielt und macht dabei unbewusst die von Therapeuten empfohlenen Übungen. Durch den spielerischen Ansatz soll man motiviert werden, die Bewegungen von selbst immer wieder zu wiederholen. Denn man will sich ja verbessern“, sagt Huber, während die Probandin neben ihm gerade rumpfkreisend durch ein Höhlenlabyrinth navigiert.
Neben dem Schulterkissen, das am Fraunhofer ISS entwickelt wurde, kann der Avatar auch über ein Sitzkissen durch Gewichtsverlagerungen beeinflusst werden. Zudem gibt es eine Sprachsteuerung sowie ein Videokommunikationssystem. Das Sitzkissen samt Steuerungsfunktion hat die Gesellschaft für Biomechanik Münster (GeBioM) entwickelt, die sich auf biomechanische Messtechnologie spezialisiert hat.
Das neuartige Fitness-System ist aber nicht nur für Contergan-Geschädigte geeignet, um die körperliche Gesundheit zu fördern. „Fast jeder zweite Erwachsene in Deutschland ist vorübergehend oder dauerhaft körperlich eingeschränkt. Sei es durch Unfälle, Verletzungen oder Krankheiten“, erklärt Huber. So könnten auch Erkrankte und ältere Menschen die Technik nutzen.Sensoren sollen nun in die Kleidung integriert werden
Die Entwicklung des Spiels, das die Berliner Agentur Exozet programmiert hat, ist ganz auf die besonderen Bedürfnisse der Contergan-Geschädigten abgestimmt. Sie haben den Forschern genau beschrieben, wie ihr Alltag aussieht und welche Bedürfnisse und Probleme sie dabei haben. Manchen Contergan-Geschädigten fehlen beispielsweise einzelne Gliedmaßen, andere leiden unter Hörschädigungen. Die Prototypen sind so ausgelegt, dass Menschen mit verschiedenen Handicaps die Fitness-Spiele nutzen und steuern können.
Im nächsten Schritt wollen die Forscher nun kommerzielle Spiele für Menschen mit Einschränkungen entwickeln. Dabei wollen sie auch versuchen, die Sensorik direkt in die Kleidung einzuarbeiten.
Die Arbeiten wurden im Rahmen des Forschungsprogramms akrobatik@home vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.
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