Stromkonzerne werkstofflich unter Druck
Energiekonzerne wollen den Wirkungsgrad von Kohlekraftwerken erhöhen. Dafür sind höhere Dampftemperaturen nötig und es werden Werkstoffe gebraucht, die unter hohem Druck mehr als 600
Der Mai war kein Wonnemonat für den Essener Energieerzeuger Steag. Denn bei einem Probelauf des Kessels im neuen Steinkohlekraftwerksblock 10 in Duisburg-Walsum trat Wasserdampf aus. Bei der Untersuchung der Kesselwände wurden rund 500 undichte Schweißnähte gefunden. Die Inbetriebnahme verzögert sich nach den Unternehmensangaben jetzt deutlich. Zu möglichen Kompensationsforderungen an den Kraftwerksbauer Hitachi Power Europe (HPE) schweigt Steag.
Bei einem Probelauf Ende März 2010 war bereits Wasserdampf aus rund 1500 Fehlstellen des Kessels ausgeströmt. HPE-Fachleute hatten die vermeintliche Ursache schnell gefunden: Beim Beizen bilden reaktive Wasserstoffatome nicht schnell genug stabile Wasserstoffmoleküle. Die Experten sprechen von „wasserstoffinduzierter Spannungsrisskorrosion“. HPE hatte die fehlerhaften Komponenten im Herbst vorigen Jahres ausgetauscht.
T24 für Kohlekraftwerke erfüllt Erwartungen nicht
„Wir können momentan noch nicht sagen, warum die Spannungsrisskorrosion erneut aufgetreten ist“, erklärte HPE-Sprecher Helge Schulz. Klar ist, der vom TÜV zertifizierte Werkstoff (7CrMoVTiB10–10) verhält sich im Bereich der Schweißnähte nicht wie erwartet. Mit diesem kurz „T24“ genannten Spezialstahl sollte es möglich sein, die Dampftemperaturen im Kessel deutlich zu erhöhen und so den elektrischen Wirkungsgrad auf über 45 % zu steigern.
„Für Energiekonzerne ist das eine Katastrophe“, glaubt Stephan Kohler, Vorsitzender der Geschäfstführung der Deutschen Energieagentur (Dena). Insgesamt könnten in Europa Kraftwerksneubauten mit mehr als 10 GW Leistung betroffen sein. Blieben diese effizienten Kraftwerke aufgrund des Werkstoffproblems länger vom Netz, drohten Versorgungsengpässe.
So weit wird es nicht kommen, hofft Schulz. Er verweist auf vielversprechende Erfahrungen mit T24 in Neurath. RWE baut dort zwei neue Kessel, um Braunkohle zu verstromen. Nach den Erfahrungen von Evonik im März vorigen Jahres hatte RWE einen Kessel im Herbst zwar gebeizt, den T24-Stahl dabei aber ausgespart. Um herstellungsbedingte Rückstände beim T24-Einbau zu beseitigen, wurde der Kessel dann zuerst gefahren, ohne den Dampf auf die Turbine zu leiten. In diesem Jahr hat RWE dann den Kessel rund 800 h unter Wärme getestet. „Wir können das Schadensbild aus anderen Kraftwerken in unserer Anlage nicht bestätigen“, betonte Manfred Lang. Der RWE-Pressesprecher ist verhalten optimistisch, dass auch künftig kein Wasserdampf durch undichte Nähten austreten wird.
„Unsere Ingenieure gehen deshalb davon aus, dass die noch im Bau befindlichen ungebeizten Kessel ohne große Änderungen in Betrieb gehen können“, so Schulz. Dabei handelt es sich um die Kessel in den Kraftwerken in Moorburg, Wilhelmshaven und in Rotterdam.
„Auf Baustellen herrschen keine Idealbedingungen“
Doch es ist fraglich, ob die wasserstoffinduzierte Spannungskorrosion die einzige Fehlerquelle ist. „Möglicherweise“, so vermutet Hans Christian Schröder, „wurde der Werkstoff nicht ganz richtig verarbeitet.“ Der Branchenmanager Kraftwerke des TÜV Süd, verwies auf die alte Ingenieursweisheit, dass Bauteile so zu konstruieren sind, dass sie betrieblichen Anforderungen unter Berücksichtigung von Fehlstellen, wie sie sich bei Anpass- und Richtarbeiten der Rohrwände ergeben können, standhalten. Dies sei mit bislang verwendeten Werkstoffen durchaus möglich, so Schröder. Sie sind gut verarbeitbar und beim Schweißen bilden sich keine härteren Stellen.
Anders beim T24-Stahl. Aufgrund der chemischen Zusammensetzung ist er laut den Informationen von Schröder spröder und im kalten Zustand könnten sich deshalb eher Risse bilden. Seit 1998 sei bekannt, dass T24 im Bereich von Schweißnähten höhere Härtewerte aufweist. Diese werden oft als unbedenklich eingestuft, da der Stahl unter Idealbedingungen etwa bei Biegeproben keine Risse zeigt. „Auf Baustellen herrschen aber keine Idealbedingungen“, betont Schröder. Aus seiner Erfahrung ergeben sich beim Schweißen im Betriebsalltag teilweise höhere Härtewerte. Dies kann dazu führen, dass beim Anfahrprozess im Probebetrieb schon erste Risse entstehen.
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