Recycling am Bau: In zehn Monaten vom Rückbau zum Re-Use
Das Bauen mit wiederverwendeten Materialien und Bauteilen stößt in der Bauwirtschaft heute noch immer auf Skepsis. Die Fertigstellung der Büroeinheit Sprint demonstriert jedoch, dass die Wiederverwendung sich als Alternative zum Bauen mit Neumaterial eignet und den Marktanforderungen an flexibles und schnelles Bauen gerecht wird.
Im Sprint zu kreislaufgerechtem Bauen: In nur zehn Monaten wurden flexible und Covid-19-konforme Büroräume im NEST, der Forschungs- und Innovationsplattform der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa und der Eawag (Wasserforschungsinstitut des ETH-Bereichs) in Dübendorf, Schweiz, aus größtenteils wiederverwendeten Materialien und Bauteilen gebaut und Ende August feierlich in Betrieb genommen.
Flexibel rückbaubare Trennwände aus Re-Use-Materialien teilen die Büroeinheit in zwölf Covid-19-konforme Einzelbüros auf und verleihen der Unit einen besonderen Charakter. Die gesamte Unit folgt dem „Design for Disassembly“-Ansatz, berücksichtigt also bereits den Rückbau mit, um zukünftige Änderungen und Demontagen zur Rückgewinnung von Systemen, Komponenten und Materialien zu erleichtern. So lassen sich bei Bedarf unter anderem die Trennwände rückbauen und so Einzelbüros als Mehrpersonenbüros nutzen.
Umdenken und Flexibilität erforderlich
Das Bauen mit wiederverwendeten Materialien ist ein iterativer Prozess, bei dem sich die Frage nach den verfügbaren Materialien durch den ganzen Bauprozess hindurchzieht. Damit ein solches Projekt schnell umgesetzt werden kann, benötigt es unter anderem ein Umdenken in der Planung und Ausführung sowie einen flexiblen Zeitplan.
„Der Faktor Zeit ist beim Re-Use immer eine große Herausforderung, da das wiederverwendete Material zeitgerecht gefunden werden und auch zur Verfügung stehen muss“, erklärt Kerstin Müller, Architektin und Mitglied der Geschäftsleitung bei der Baubüro in situ AG, Basel, die die Sprint-Unit geplant hat. Entgegen anfänglicher Bedenken waren die Re-Use-Materialien vor allem wegen der aktuellen Ressourcenknappheit sogar schneller als neues Material zu finden. Re-Use muss also keine negativen Auswirkungen auf die Bauzeit haben.
Umdenken sei auch im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit nötig. Holz zum Beispiel erweise sich als dankbarer Rohstoff. „Man kann es gut bearbeiten, was es wiederum gut wiederverwendbar macht“, sagt Hans Emmenegger, Spartenleiter Zimmerei bei Husner Holzbau. „Wenn Holz gesund, also trocken, eingebaut wird, verliert es nicht an Wert. Im Gegenteil, es gewinnt durch die charakteristische Ästhetik sogar an Wert.“
Re-Use-Materialien kreativ einsetzen
Weil das gefundene Material zum Teil auch das finale Design bestimmt, ist Kreativität gefordert. Ein Beispiel hierfür sind die unterschiedlichen Trennwände – gestalterische Elemente, auf die man ursprünglich so nicht gekommen wäre: „Einige haben wir aus Ausschussziegeln, andere aus alten Büchern und wieder andere aus altem Teppich gebaut“, zählt Oliver Seidel auf, Architekt und Mitglied der Geschäftsleitung von Baubüro in situ.
Die Teppichtrennwand etwa kann nach ihrer Verwendung vollständig rückgebaut werden. Forschende der Empa haben die Wand im Akustiklabor auf Luftschalldämmung geprüft. Bei optimaler Faltung der Teppichfliesen ergab sich eine Schalldämmung von 26 dB. Die Teppichwand als Raumtrenner erreicht also eine wesentlich bessere akustische Dämmung als zum Beispiel mobile Stellwände in Gruppenbüros. Nun kann sich die Teppichtrennwand in den Büroräumlichkeiten der neuen NEST-Unit im Praxistest bewähren.
Re-Use nicht unbedingt kostengünstiger
Sprint zeigt auch, dass Wiederverwendung in der heutigen Marktlage per se nicht kostengünstiger ist. Oliver Seidel ist jedoch überzeugt: „Sobald sich ein wettbewerbsfähiger Markt mit wiederverwendeten Materialien und Bauteilen etabliert hat, werden auch beim Re-Use Kostenvorteile anfallen.“
Re-Use bietet zudem neue Möglichkeiten. So werden gewisse wiederverwendete Materialien wie Naturstein oder automatisch schließende Brandschutztüren auf einmal erschwinglich, im Gegensatz zu denselben Bauteilen als Neumaterial. Zudem kann das Material hinsichtlich der CO2-Einsparung bewertet werden.
Bei anderen Materialien wie Pumpen, Ventilen und anderen technischen Komponenten stellt sich hinsichtlich der Garantie und Lebensdauer die Frage, ob sich das Wiederverwenden lohnt. Möglicherweise ist es sinnvoller, diese Komponente neu zu beschaffen. Die Überprüfung der Lebensdauer solcher technischen Komponenten ist zwar machbar, aber zeitintensiv und aufwendig. „Die Herausforderung beim Bauen mit wiederverwendeten Materialien ist es, eine Balance zwischen dem technisch Machbaren und dem technisch Sinnvollen zu finden“, so Maike Stroetmann, Abteilungsleiterin BIM CAD bei Bouygues Energies & Services.
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