Warum der Mann aus dem Eis gefeiert werden muss
25 Jahre ist es jetzt her, dass Wanderer Ötzi entdeckten. Er ist der Star unter den Mumien, denn Ötzi stammt aus der Kupfersteinzeit. Sein extrem gut erhaltener Körper fasziniert Wissenschaftler auch heute noch. Und dank modernster Technik gibt er Stück für Stück Daten preis. Zum Ötzi-Jubiläum hier eine Rück- und Vorschau.
Wenn die Kupfer-Steinzeit auf modernste Technik trifft, kann es sich nur um eins handeln: die Gletschermumie Ötzi. Seitdem ein deutsches Ehepaar den tiefgefrorenen Körper am 19. September 1991 in einem besonders heißen Sommer in den Ötztaler Alpen gefunden hat, hält er Politik, Wissenschaft und Kriminologen in Atem. Denn der zu Lebzeiten vermutlich 1,60 m große, rund 50 kg schwere und mit etwas über 40 Jahre für damalige Verhältnisse relativ alte Mann starb wohl keines natürlichen Todes. Aber wer hat ihn warum umgebracht? Und was genau wollte Ötzi da oben auf dem auch damals unwirtlichen Bergpass in 3.200 m Höhe?
Ötzi birgt 5.300 Jahre alte Geheimnisse
Noch heute, 25 Jahre nach ihrer Entdeckung, gibt die Mumie ihre Geheimnisse nur sehr zögerlich und unvollständig preis. Doch die Forscher sind sich sicher, dass der Mann aus dem Eis noch eine Reihe von weiteren Puzzlesteinen birgt, die Licht ins 5.300 Jahre alte Dunkle bringen können. Eine wichtige Rolle spielen dabei auch moderne Technik und Diagnosemethoden, ebenso wie die Hoffnung auf den Fortschritt.
Nachdem klar war, dass der Tote unter dem Minigletscher kein jüngst verschollener Wanderer der Neuzeit war wie ursprünglich gedacht, wurden Forscher in aller Welt hellhörig. Die Leiche war durch die klimatischen Bedingungen extrem gut erhalten – schließlich war der bereits wenige Wochen nach seiner Entdeckung „Ötzi“ getaufte Mann direkt nach seinem Tod schockgefrostet worden: Verwesung und andere Zersetzungsprozesse hatten ihm nahezu nichts anhaben können. Lediglich der Wasserverlust über die Jahrhunderte hatte ihn auf etwa 1,53 m Körpergröße und etwa 13 kg Körpergewicht schrumpfen lassen.
Bestens erhaltener Zeitzeuge aus dem Neolithikum
Damit war und ist der Tote der besterhaltene Zeitzeuge aus dem europäischen Neolithikum – und allseits heiß begehrt. Während Österreich und Italien einen Grenzstreit vom Zaun brachen und sich über den genauen Fundort stritten – irgendwann stand fest, dass Ötzi wohl Italiener ist –, gaben sich die Forscher unterschiedlichster Fachrichtungen die Klinke in die Hand.
Die Ergebnisse zeichnen ein spannendes, wenn auch noch längst nicht vollständiges Bild von Ötzis letzten Tagen und Stunden sowie von seinem Leben vor seiner finalen Reise. Die Isotopenanalyse von Knochen und Haaren zum Beispiel hat gezeigt, dass seine hauptsächliche Nahrung und damit wohl auch er selbst aus dem Vinschgau im heutigen Südtirol stammten. Pollen auf Ötzis Körper wiederum geben relativ genaue Hinweise auf seine letzte Wanderroute, die von Süden nach Norden über den Pass führte, auf dem er schließlich zu Tode kam. Tiefe, ansatzweise verheilte Wunden an Armen und Händen geben Zeugnis von Kämpfen maximal einen Tag vor seinem Ende, und sein Mageninhalt zeigt, dass er rund eine Stunde vor seinem Tod eine üppige Mahlzeit mit Steinbockfleisch, Vollkornbrot und Gemüse zu sich nahm.
Jahrtausende alter Mordfall
Das alles wiederum wirft neue Fragen auf: Was genau wollte der Mann da, warum ging er in diese Richtung und warum sah er seinen Mörder nicht kommen, sondern nahm sich Zeit für eine schwere Mahlzeit? Und warum hatte er seine Waffen – Pfeile und einen 180 cm langen Bogen aus Eibenholz – wie ein heutiger Wanderer auch – scheinbar sorglos abgestellt? Lediglich seine zu damaligen Zeiten sehr seltene und wertvolle Kupfer-Axt hatte er direkt bei sich.
Und ermordet wurde der Mann aus dem Eis, da sind sich die Forscher ziemlich sicher. Im Jahr 2001 entdeckten sie eine Pfeilspitze in der linken Schulter der Mumie – der Schaft ist bereits damals umgehend entfernt worden. Direkt getötet hat ihn der Schuss nicht, wie Blutspuren im Schusskanal zeigen, ausser Gefecht gesetzt aber sehr wahrscheinlich schon: Offenbar wurde eine Arterie getroffen, sodass der Mann schnell verblutete. Als Todesursache kommt aber ebenso gut der Schädelbruch in Frage, den Wissenschaftler 2007 entdeckten.
Diverse Krankheiten plagten Ötzi zu Lebzeiten
Noch steckt die Pfeilspitze in Ötzis Schulter: Die Forscher wollen Verletzungen der Mumie beim Herausoperieren vermeiden. Der Grund dafür ist keine übertriebene Pietät, sondern eine klare Kosten-Nutzen-Rechnung: Der jetzige Zustand des Gewebes kann mehr erzählen als es die Pfeilspitze selbst vermutlich könnte. In einer Zukunft mit weiteren technischen und diagnostischen Möglichkeiten sieht das eventuell anders aus, und dann ist immer noch Zeit. Bis dahin können sich die Feuerstein-Spezialisten mit den Pfeilen beschäftigen, die Ötzi freundlicherweise selbst vor seinem Tod bereitgestellt hat.
Auch für Mediziner ist der Mann aus dem Eis ein historisches Fest. Bei eingehenden Untersuchungen stellten sie fest, dass der Tote zu Lebzeiten an allen möglichen Krankheiten und Verschleißerscheinungen gelitten haben dürfte – von einer Magenschleimhautentzündung über einen Darmparasiten bis hin zu Parodontose und Arteriosklerose war einiges dabei. Entsprechende Hinweise gaben unter anderem immer noch nachweisbare Bakterien. Ein einzelner Fingernagel weist zudem Wachstumsstörungen auf, die auf mehrere schwere Krankheitsphasen in Ötzis letzten Monaten hindeuten.
Wasserverlust lässt die Mumie weiter schrumpfen
Schon in den vergangenen Jahren wurden seine zahlreichen Tätowierungen untersucht, und zu Ausstellungszwecken wurden per 3D-Drucker gleich vier 1:1-Abbilder aus Harz gefertigt und handbemalt, damit sich möglichst viele Menschen ein Bild vom Mann aus dem Eis machen können.
Das Original liegt derweil bei -6 °C und 98 % Luftfeuchtigkeit in seiner Kühlkammer. Dennoch verliert er weiter an Wasser und schrumpft vor sich hin: Etwa zwei Gramm verdunsten pro Tag. Um das auszugleichen, wird Ötzi etwa alle zwei Monate mit einem feinen Schleier von destilliertem Wasser eingenebelt – ein Teil davon dringt in die Mumie ein und gleicht den Wasserverlust aus, so der Plan. Das erklärt auch die feine Glasur auf der Mumie, die Ötzi glänzen lässt.
Teil der Dauerausstellung in Bozen
Für eine weitere Ewigkeit taugt dieses Verfahren wegen drohender Verunreinigung mit schädlichen Mikroorganismen jedoch nicht, haben die Forscher eingesehen, und suchen fieberhaft nach einer besseren Lösung. Schließlich birgt die Eismumie noch eine Menge von Geheimnissen, die der Wissenschaft und der interessierten Öffentlichkeit gleichermaßen Einblicke ins private und gesellschaftliche Leben des Steinzeitmannes geben könnten.
Wer Ötzi selbst einmal mit eigenen Augen sehen möchte, hat dazu im Südtiroler Archäologiemuseum im italienischen Bozen Gelegenheit. Die Dauerausstellung zeigt neben der Mumie noch weitere Originalfunde und gibt Einblicke in Forschungsergebnisse wie die Rekunstruktion des kupfersteinzeitlichen Alltags. Ein zusätzliches Highlight: die lebensnahe Rekonstruktion, die zeigt, wie der Mann aus dem Eis zu Lebzeiten ausgesehen haben könnte.
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