Tod durch Lärm?
Unter Wasser knallt und dröhnt es allerorten. Umweltschützer halten die zunehmende Lärmbelastung für die Ursache spektakulärer Walstrandungen.
Mitte Januar war es wieder so weit: Drei gestrandete Pottwale lagen bei Friedrichskoog tot im Watt, erstickt am eigenen Gewicht. Die riesigen Meeressäuger waren bei den Shetland-Inseln von ihrem Wanderweg abgekommen und hatten sich in die flache Nordsee verirrt, wo ihre natürliche Echo-Ortung versagt. Über 80 ähnliche Fälle hat Greenpeace-Walexperte Thilo Maack in den letzten zehn Jahren an deutschen Küsten gezählt. Schuld daran sei die Ölindustrie, deren etwa 400 Bohrinseln im Nordatlantik einen „Riesenkrach“ verursachten.
„Strandungen von Pottwalen hat es schon immer gegeben“, sagt Prof. Boris Culik vom Institut für Meereskunde in Kiel. Der Meeresbiologe hält deshalb auch natürliche Ursachen für denkbar. Doch die Häufung sei auffällig. Zudem sei es in den letzten Jahrzehnten unter Wasser immer lauter geworden – nicht zuletzt durch die intensive Suche nach Öl.
Vor allem englische und norwegische Firmen fahnden mit der so genannten Reflexionsseismik nach neuen Öl- und Gasquellen. Die deutsche RWE-DEA AG in Hamburg nutzte das Verfahren mit Billigung des Nationalparkamts im Frühjahr 2001 sogar im Wattenmeer, wo sich die in der Nordsee heimischen delfinähnlichen Schweinswale tummeln. Dabei verwenden die Unternehmen so genannte Luftpulser oder Airguns. Schiffe schleppen dabei Behälter hinter sich her, in denen Luft unter extrem hohem Druck steht. In Abständen von etwa zehn Sekunden wird sie freigesetzt, wobei starke Druckwellen entstehen, die sich in den Untergrund fortpflanzen. Hydrophone erfassen die reflektierten Signale, die verraten, wo es weitere Ölvorkommen geben könnte.
Luftpulser arbeiten nach einem ähnlichen Prinzip wie Sonar oder Radar. Ihre Wirkung im Wasser allerdings ist verheerend, denn sie erzeugen maximale Schalldruckpegel von 190 bis 260 Dezibel (dB). Zum Vergleich: Die menschliche Schmerzgrenze liegt bei 130 dB und eine Erhöhung um 6 dB entspricht bereits einer Verdoppelung des Schalldrucks.
Die Ölindustrie hält die Belastungen dennoch für vertretbar, zumal das Verfahren schonender sei als die in den 50er Jahren übliche Praxis: „Damals hat man das noch mit Sprengstoff gemacht und anschließend tauchten all die vielen toten Fische auf“, sagt Geophysiker Hans-Joachim Zoch, Explorationsexperte bei RWE-DEA in Hamburg. Der Einsatz von Luftpulsern sei die einzige Möglichkeit, die seismischen Untersuchungen „schonend und ohne Belastung für Meerestiere“ durchzuführen. Alternativen zu den Luftpulsern gebe es deshalb nicht.
Der Verband der britischen Offshore-Ölindustrie lässt auf seiner Homepage gar verbreiten, die Folgen für Fische seien nicht größer, „als wenn jemand an ein Aquarium klopft“. Wissenschaftler wie Culik sehen das anders: „Die meisten Fische haben eine Schwimmblase und die kann durch die Druckwellen beschädigt werden.“ Doch zumeist blieben diese Folgen unerkannt, da Fische mit geplatzter Schwimmblase nicht auftauchen. Doch auch für Wale könnten die Folgen fatal sein: „Schmerzhafte Gewebeschäden und in der Folge der Verlust der akustischen Orientierung.“
Für Meeressäuger, die auf ihr Biosonar angewiesen sind, gibt es aber noch andere akustische Gefahren. Immer mehr künstliche Sonargeräte erzeugen unter Wasser ein Dauergepiepse und erschweren damit die Echo-Ortung der Tiere: Navigationslote gehören zur Standardausrüstung von Schiffen, Fischer jagen ihre Beute mit dem Sonar und Seeämter suchen damit nach über Bord gegangenen Containern. „Diese Geräte stören die Wale, aber eine Schädigung fürs Gehör geht von ihnen nicht aus“, meint Culik, dessen Institut auf den Forschungsschiffen selbst Sonar einsetzt.
Gefährlicher seien Geräte, mit denen die Marine U-Boote aufspürt. Sie entwickeln einen Schalldruck von etwa 220 dB. Selbst in 10 km Entfernung ist das so laut wie neben einem startenden Düsenjet. Dabei nutze man immer tiefere Frequenzen, weil die eine größere Reichweite haben, erläutert Prof. Rolf Thiele, Leiter der Forschungsanstalt der Bundeswehr für Wasserschall und Geophysik in Kiel: „Waren im zweiten Weltkrieg noch Sonare mit 15 Kilohertz bis 30 Kilohertz üblich, liegen die heutigen Geräte zumeist im Bereich von 3 bis 10 Kilohertz“.
Für Überwachungszwecke erprobt die US-Marine das so genannte Low Frequency Active Sonar (LFAS) mit einer Schalldruck von 235 dB und besonders tiefen Frequenzen unter 1 kHz. Dass diese für viele Walarten besonders gefährlich sind und auch schon eine Massenstrandung vor den Bahamas verursacht haben, hat die US-Marine im vergangenen Dezember bestätigt, nachdem sie gestrandete Wale obduziert hatte. Auch die Bundeswehr ist an der LFAS-Entwicklung beteiligt. Das System, so die Antwort der Bundesregierung im November 2000 auf eine Anfrage der PDS, eignet sich „zur Ortung moderner U-Boote mit immer geringerer detektierbarer Geräuschabstrahlung“.
Thiele möchte „nicht ausschließen, dass Individuen durch Sonare oder Airguns zu Schaden kommen können“. Eine Bestandsgefährdung gehe davon jedoch nicht aus. GÜVEN PURTUL
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