„Die Energiewende muss beides beinhalten: Stromwende und Molekülwende“
en2x-Hauptgeschäftsführer Prof. Christian Küchen über die Notwendigkeit, erneuerbare Moleküle herzustellen und die Herausforderungen, die sich dabei ergeben.
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Foto: Wirtschaftsverband Fuels und Energie e. V.
Herr Küchen, die Politik hat in Deutschland zum Erreichen der Klimaziele in den vergangenen Jahren vor allem auf Elektrifizierung sowie Wind- und Sonnenstrom gesetzt. Sie sagen, dass das nicht ausreicht. Warum?
Dass die verstärkte Elektrifizierung einen wichtigen Beitrag zum Erreichen der Klimaziele leistet, ist unumstritten. Im Sinne der Klimaziele ist auch nachvollziehbar, die heimische Stromerzeugung auf eine erneuerbare Basis zu stellen. Jedoch decken wir hierzulande nur 20 % unseres heutigen Energiebedarfs mit Elektronen ab. Nahezu der gesamte Rest, also fast 80 %, sind feste, flüssige und gasförmige Energieträger, also Moleküle. Ein Großteil davon wird noch aus fossilen Rohstoffen wie Erdgas und Mineralöl gewonnen. Auch für diese Moleküle brauchen wir klimaschonende Alternativen – nicht nur zur Energieversorgung, sondern zusätzlich für Einsatzstoffe und chemische Rohstoffe, die von der Industrie weiterverarbeitet werden. Die Energiewende muss daher beides beinhalten: Stromwende und Molekülwende, diese stehen nicht in Konkurrenz.
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Foto: Wirtschaftsverband Fuels und Energie e. V.
Können die fossilen Moleküle nicht auch im Zuge einer weitergehenden Elektrifizierung ersetzt werden?
Durch höhere Effizienz sowie die zunehmende Elektrifizierung der Fahrzeugflotte und Wärmeversorgung wird der Bedarf an gasförmigen und flüssigen Energieträgern künftig zurückgehen, doch er wird sehr groß bleiben. Aus heutiger Sicht werden deutlich mehr als 40 % des heutigen Absatzes auch über 2045 hinaus noch benötigt. Moleküle werden unverzichtbar bleiben, wo elektrische Antriebe an ihre Grenzen stoßen, wie im Flug- und Schiffsverkehr. Hinzu kommt die Versorgung der Industrie mit Grundstoffen. Zudem sind sie notwendig für ein resilientes Energiesystem: Als Energiespeicher für Krisensituationen, aber auch als Ergänzung zur fluktuierenden Stromerzeugung durch Sonne und Wind.
Welche Bedeutung wird Wasserstoff im Hinblick auf die Molekülwende haben? Oft ist von einer „Dekarbonisierung“ die Rede…
Die Molekülwende darf nicht auf Wasserstoff reduziert werden. Für zahlreiche Anwendungen werden insbesondere Kohlenwasserstoffe benötigt. Wir müssen daher neben einer Wasserstoffstrategie unbedingt eine umfassende Kohlenstoffstrategie entwickeln und besser von „Defossilisierung“ statt von „Dekarbonisierung“ sprechen. Wir gehen davon aus, dass wir auch weiterhin einen großen Teil des Energiebedarfs importieren werden und da weisen gerade flüssige Kohlenwasserstoffe wie biobasierte Kraft- und Rohstoffe oder synthetisches Rohöl bzw. Methanol große Vorteile auf. Sie sind wegen ihrer Energiedichte einfach zu transportieren und es gibt heute schon einen globalen Markt für diese Produkte. Ähnlich wie bei Rohöl heute, ist zu erwarten, dass es – anders als z. B. bei Strom oder auch Gas – bei flüssigen Energieträgern global vergleichbare Preise geben wird. Ein wichtiger Aspekt für den Industriestandort Deutschland. Wir müssen uns also mit der gleichen Intensität, die wir beim Aufbau eines Wasserstoffmarktes an den Tag legen, mit der Frage nachhaltiger Kohlenstoffquellen beschäftigen, so dass wir zu in der Gesamtbilanz zu geschlossenen Kohlenstoffkreisläufen und zu CO2-neutralen Molekülen kommen.
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Foto: Wirtschaftsverband Fuels und Energie e.V.
Sie nannten bereits Luft- und Schifffahrt und Industrie als Einsatzgebiete. Gibt es weitere Bereiche?
Es gibt weitere Anwendungen, die nach heutigem Stand langfristig auf gut speicherbare und flexibel einsetzbare Energieträger angewiesen sind: Dazu gehören z. B. Landwirtschaft, Feuerwehr, Katastrophenschutz und Militär. Und natürlich müssen wir auch Moleküle für den großen Bestand an Fahrzeugen und Heizungen zur Verfügung stellen. Trotz Elektrifizierung wird es 2030 bundesweit voraussichtlich noch deutlich mehr als 40 Millionen Kraftfahrzeuge mit Verbrennungsmotor und mehrere Millionen Heizungen für flüssige oder gasförmige Brennstoffe geben. Auch dort sind Klimaschutzoptionen notwendig.
Wo sollen die grünen Moleküle produziert werden?
Das lässt sich nicht exakt prognostizieren. Derzeit importiert Deutschland rund 70 Prozent der hierzulande genutzten Energie, auch künftig werden wir Energieimportland bleiben. Umso wichtiger ist der Aufbau eines globalen Marktes für alternative Moleküle. Der hätte positive Wertschöpfungs- und Beschäftigungseffekte in Deutschland und in den Erzeugerländern. So können Wind- und Solarstrom wie auch Bioenergie aus weit entfernten Ländern für uns nutzbar gemacht werden.
Hersteller haben derzeit Schwierigkeiten, die Finanzierung für Projekte zur Herstellung grüner Moleküle sicherzustellen. Wo liegen die Probleme?
Die regulatorischen Bedingungen sind unzureichend. Jedes Gesetz, jede Regulierung muss sich daran messen lassen, ob sie Investitionen in den Klimaschutz auslöst. Insofern ist ein verlässlicher Pfad in Sachen CO2-Bepreisung sinnvoll. Ein Schlüssel dazu ist vor allem eine entsprechende Reform der Energiebesteuerung, die sich an der Klimawirkung der Kraftstoffe bemisst. Die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung muss zudem, wie erwähnt, um eine alle Kohlenstoffquellen umfassende Kohlenstoffstrategie ergänzt werden, und nicht zuletzt sollte darauf verzichtet werden, die Einsatzbereiche für klimaschonende Produkte politisch vorzuschreiben bzw. zu beschränken.
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