„Mit der Transformation der Wirtschaft ändern sich auch die Perspektiven in klassischen Fächern“
Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Petra Olschowski über Folgen der Wirtschaftsflaute für die Wissenschaft, über Abhängigkeiten von Industrie und Hochschulen sowie über den Fachkräftemangel.
VDI nachrichten: Frau Olschowski, laut IHK scheint „die Aussicht auf eine wirtschaftliche Erholung für die Unternehmen in Baden-Württemberg … noch weit entfernt zu sein“. Seit dem Ausbruch der Coronapandemie zeige die Konjunktur … „nun einen deutlichen Abwärtstrend“. Den Unternehmen fehlten zurzeit die erforderlichen Impulse, um den Aufschwung einzuleiten. Von dieser Entwicklung können doch auch Wissenschaft bzw. Hochschulen im Land nicht verschont bleiben, oder?
Petra Olschowski: Einen direkten Effekt gibt es sicher bei Instituten mit vielen Industriepartnern und -projekten. Wir hören aktuell von außeruniversitären Forschungseinrichtungen, Universitäten und Hochschulen, dass die Nachfrage nach Auftragsforschung aus der Wirtschaft zurückgeht. Das heißt, dass die konjunkturelle Entwicklung mittelfristig auch Auswirkungen auf Wissenschaft und Forschung hat.
Gerade unsere Hochschulen für Angewandte Wissenschaften und die Duale Hochschule Baden-Württemberg stehen im ständigen Austausch mit der Industrie, der Wirtschaft und vor allem den KMU vor Ort. Das ist eine große Stärke: Ändern sich die Anforderungen an Studierende sowie Absolventinnen und Absolventen, können unsere Hochschulen schnell reagieren und beispielsweise Schwerpunkte eines Studiengangs anpassen. Umgekehrt gilt aber auch: Von unseren Landesuniversitäten, Hochschulen und von Zusammenschlüssen wie den fünf Innovationscampus-Modellen gehen wertvolle Impulse für die Wirtschaft aus.
Im Zuge der laufenden Verhandlungen zur Hochschulfinanzierungsvereinbarung III ist es umso wichtiger, eine ausreichende Grundfinanzierung der Hochschulen zu gewährleisten. Baden-Württemberg als Innovationsland Nummer eins muss gerade hier verlässlich bleiben und zielstrebig in die Zukunft investieren. Angesichts der angespannten Haushaltslage wird dies aber nicht einfach.
Auf dem Innovationscampus „Mobilität der Zukunft“ entwickeln Start-ups, KMU und internationale Konzerne Mobilitäts- und Produktionstechnologien der Zukunft
Wie eng verzahnt sind Wirtschaft und Wissenschaft in BW, wo speziell der Maschinenbau und die kriselnde Autoindustrie wirtschaftliche Schwerpunkte bilden?
Gerade in den Bereichen Maschinenbau und Automobilwirtschaft, aber auch in weiteren Innovationsfeldern hat sich eine enge Zusammenarbeit von Unternehmen und wissenschaftlichen Einrichtungen im Land etabliert. Für diese Verbindung steht insbesondere das Modell der Dualen Hochschule, die an neun Standorten in Baden-Württemberg Kooperationen mit über 9000 Unternehmen pflegt. Dazu kommen die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften im Land und die von uns als Wissenschaftsministerium initiierten Innovationscampus-Modelle.
Um ganz konkret die Transformation in der Automobilindustrie anzugehen, hat die Landesregierung bereits 2017 den Strategiedialog Automobilwirtschaft ins Leben gerufen. Hier gestalten Akteure aus Unternehmen, Verbänden und aus der Wissenschaft den Wandel gemeinsam. Und auch als Wissenschaftsministerium stärken wir die Verzahnung der universitären Forschung mit der Automobilwirtschaft. Seit 2019 haben wir insgesamt 65 Mio. € in den Aufbau des Innovationscampus „Mobilität der Zukunft“ an der Universität Stuttgart und am Karlsruher Institut für Technologie investiert. Zusammen mit Start-ups, KMU und internationalen Konzernen werden hier gemeinsam die Mobilitäts- und Produktionstechnologien der Zukunft entwickelt.
Eine enorme strategische Bedeutung für Wissenschaft und Wirtschaft in Baden-Württemberg haben auch unsere weiteren Innovationscampus-Modelle zu den Zukunftsthemen künstliche Intelligenz, Lebenswissenschaften, Quantentechnologie und Nachhaltigkeit. Nach einer erfolgreichen Aufbauphase werden diese Innovations-Ökosysteme nun dauerhaft vom Land gefördert.
Innovationen aus dem baden-württembergischen Mittelstand
Wie sehr ist die Wissenschaft abhängig von den Entwicklungen der Industrie und wie sehr ist es umgekehrt der Fall?
Natürlich besteht eine gegenseitige Abhängigkeit von Wissenschaft und Wirtschaft. Forschungsergebnisse und Erfindungen von heute sichern die Wertschöpfung von morgen; Start-ups aus Hochschulen schaffen Arbeitsplätze, und mit unserer Weiterbildungsoffensive WEITER. mit.BILDUNG@BW machen wir Fachkräfte fit für ihre berufliche Zukunft. Es ist mir zudem ein Anliegen, dass junge Menschen ihre Studien- und Berufswahl nicht maßgeblich von konjunkturellen Entwicklungen abhängig machen. Ohne genügend akademischen Nachwuchs aus den Ingenieurwissenschaften gerät die Innovation im Land ins Stocken und unsere Unternehmen sind im globalen Wettbewerb weniger erfolgreich. Und mit der Transformation der Wirtschaft ändern sich auch die Perspektiven in klassischen Fächern. Maschinenbau zum Beispiel ist heute nicht nur wichtig für die Automobilwirtschaft, sondern auch für Innovationen im Bereich Klima- und Energieforschung.
Wie ist es derzeit um den oft hochgelobten Leistungsstand der Wissenschaft in Baden-Württemberg, speziell in den Mint-Fächern, bestellt? Eine der größten Baustellen ist sicher der Mangel an Nachwuchswissenschaftlern.
In Baden-Württemberg sind die Studienanfängerzahlen zuletzt leicht gestiegen. Nach vorläufigen Angaben des Statistischen Bundesamts für Baden-Württemberg entschieden sich im Wintersemester 2023/2024 rund 45 % der männlichen Erstsemester für die Aufnahme eines ingenieurwissenschaftlichen Studiums. Auch der Frauenanteil in Mint-Studiengängen und -Berufen im Land nimmt zu. Dieser Anstieg reicht natürlich nicht aus, um den künftigen Fachkräftebedarf in Wissenschaft und Wirtschaft zu decken, er lässt aber hoffen.
Gerade in den ingenieurwissenschaftlichen Fächern hatten wir bisher die komfortable Situation, dass es einen großen Konkurrenzkampf um qualifizierte Absolventinnen und Absolventen gab. Von einem ausgesprochenen Mangel an Nachwuchswissenschaftlern würde ich immer noch nicht sprechen, eher von einem gesunden Wettbewerb um die klügsten Köpfe. So soll es doch sein.
„Ohne die jungen Frauen mit ihren immer besseren Bildungserfolgen wird es kaum gelingen, den Fachkräftebedarf im Mint-Bereich zu decken“
Wie sehr sind Forschungseinrichtungen und Hochschulen von den globalen Krisen betroffen?
Globale Krisen wie die Coronapandemie, die russische Invasion der Ukraine und der Klimawandel fordern auch die Forschungseinrichtungen und Hochschulen. Je nach Einrichtung wirken sich diese Entwicklungen unterschiedlich aus. Das ist in der Wissenschaft nicht anders als in der gesamten Gesellschaft. Die besondere Herausforderung liegt jedoch in der Doppelrolle unserer Hochschulen und Forschungseinrichtungen: Sie sind betroffen und können gleichzeitig der Schlüssel zur erfolgreichen Krisenbewältigung sein. Hier hat das Wissenschaftssystem schon in der Coronapandemie Hervorragendes geleistet und ich bin zuversichtlich, dass dies auch bei zukünftigen Herausforderungen gelingen wird.
Im Maschinenbau herrscht der Kampf um Köpfe
Mit der Initiative „The Nerd Länd“ geht das Land Baden-Württemberg gezielt auf die Generation Z zu, um die jungen Menschen als künftige Fachkräfte zu gewinnen. Sie werben mit dem Slogan „Bestes Studium. Bestes Leben. Beste Jobs“. Was bieten Sie diesen Menschen?
In Baden-Württemberg bieten wir genau das: bestes Studium, beste Jobs, bestes Leben. Schon immer war unser Land die Heimat von Tüftlerinnen, Erfindern und Marktführern in Sachen Innovation – von Bertha und Carl Benz bis hin zu Margarete Steiff. Heute ist Baden-Württemberg die Innovationsregion Nummer eins in der Europäischen Union und führender Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort. Wir sind in „The Länd“ manchmal ein wenig zu bescheiden, um selbstbewusst über unsere Stärken und Erfolge zu sprechen. Das ändern wir mit der Kampagne.
Wo sehen Sie beim Mint-Fachkräftemangel bislang vernachlässigtes Potenzial, das kurz- bis mittelfristig genutzt werden könnte?
Potenziale gibt es zum Glück überall. Da wären zuallererst die jungen Frauen, die zwar immer häufiger, aber noch viel zu selten ein Studium in Mint-Fächern anstreben. Ohne die jungen Frauen mit ihren immer besseren Bildungserfolgen wird es kaum gelingen, den Fachkräftebedarf im Mint-Bereich zu decken. In jeder Generation gibt es aber auch neue potenzielle Erstakademikerinnen und -akademiker, denen wir vermitteln müssen, wie lohnenswert ein Studium ist. Wer das Zeug zum Studieren hat, den wollen wir dazu ermutigen. Mit neuen Studienformaten, die digitales und präsentes Lernen kombinieren und mehr Flexibilität und Teilzeit zulassen, können wir darüber hinaus Gruppen erreichen, die sich zum Beispiel aufgrund von familiären Aufgaben wie Kinderbetreuung oder Pflegetätigkeiten bislang nicht für ein Studium entschieden haben.
Wichtig ist auch die akademische Weiterbildung, mit der wir dafür sorgen, dass Qualifikationen auf dem aktuellen Stand bleiben. Natürlich haben wir auch die internationalen Studierenden im Blick. Nach ihrem Studienabschluss wollen wir sie überzeugen, als Fachkräfte in Baden-Württemberg zu bleiben – ganz im Sinne: Bestes Studium. Bestes Leben. Beste Jobs!
Ein Beitrag von: