Tief im Westen entstehen Innovationen
Im industriestarken Nordrhein-Westfalen sind Tradition und Moderne dicht verzahnt. Stahlindustrie, Dax-Unternehmen, IT-Hochkaräter und Start-ups bieten technischen Fachkräften gute Möglichkeiten.
Dicke Schlagzeilen bundesweit machte das grün-schwarz-geführte NRW Anfang des Jahres durch die Räumung des Protestdorfes Lützerath im Braunkohleabbau Garzweiler II.
Oder die Sperrung der maroden Rahmede-Brücke auf der A5 im Märkischen Kreis in der Nähe von Lüdenscheid, einer Herzschlagader für die Mobilität und Sicherung von Lieferketten. Und auch das ist nicht gut fürs Image: Gelsenkirchen, einst die „Stadt der 1000 Feuer“ zur Hochzeit der Montanindustrie, ist mittlerweile im Ranking der ärmsten Städte in Deutschland auf der Topposition. Das Braunkohlekapitel wird im Jahr 2030 geschlossen, die letzte Steinkohle wurde im Ruhrgebiet, nicht nur von Eingeborenen auch „Pott“ oder „Revier“ genannt, bereits Ende 2018 aus dem Boden geholt. „Strukturwandel“ – das Wort kann im Revier fast niemand mehr hören. Das Land befindet sich in vielen Bereichen seit Jahrzehnten in der Transformation – mit Licht und Schatten.
NRW ist die Heimat von Dax-Konzernen und Hidden Champions
„Nordrhein-Westfalen ist ein fantastisches Land für Ingenieurinnen und Ingenieure.“ Friedhelm Schlößer, Vorsitzender des VDI-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen
Dabei ist NRW auch eine Region der Superlative: Mit rund 6000 km Streckenlänge gibt es hier eines der dichtesten Schienennetze in Europa, auch die Autobahndichte kann im europäischen Vergleich punkten (allerdings gilt NRW bundesweit auch als „Stauland“). Die topografische Vielfalt mit viel Natur, die ihresgleichen sucht und die Mischung aus E- und Hochkultur sowie Industriekultur, die oft auch überregional Furore macht, beispielsweise mit spektakulären Ausstellungen im Gasometer Oberhausen, charakterisiert das Bundesland. Und wenn das kein Kompliment für die Region ist: Der VDI hat hier seinen Sitz in der Landeshauptstadt Düsseldorf.
Rund 40 000 Mint-Absolventen verlassen jährlich die Unis und Hochschulen im bevölkerungsreichsten Bundesland
„Nordrhein-Westfalen ist ein fantastisches Land für Ingenieurinnen und Ingenieure“, sagt Friedhelm Schlößer, Vorsitzender des VDI-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen und Chef der Firma Schwank in Köln. Er nimmt Bezug auf die „herausragende Bildungslandschaft für Ingenieurinnen und Ingenieure, bestehend aus 14 Universitäten, davon zwei Exzellenzuniversitäten der Bundesrepublik Deutschland, 16 Hochschulen für Angewandte Wissenschaften sowie Deutschlands einziger und Europas erster Fernuniversität (Anm. d. Red: Fernuni Hagen)“. Das nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerium betont, dass pro Jahr aus den Hochschulen in NRW 40 000 Mint-Absolventinnen und -Absolventen hervorgehen, „die den Industriestandort für die Zukunft stärken und einen wichtigen Beitrag für den klimaneutralen Umbau leisten werden“. In technischen Kreisen ist sicher die RWTH Aachen als Ingenieurschmiede die bekannteste Institution.
Fachkräftemangel wird sich in den kommenden Jahren verschärfen
Die Fachkräfte haben gute Chancen, qualifizierte Arbeitsplätze in NRW zu finden. Nicht nur der öffentliche Dienst sucht Ingenieurinnen und Ingenieure.
„Neben den bekannten Größen des Dax verbergen sich in NRW 690 Hidden Champions. Das sind mittelständische Weltmarktführer mit hoher Wertschöpfung und extrem starker Forschung & Entwicklung“, betont VDI-Landesvorsitzender Schlößer. „NRW bietet also auch eine herausragende Arbeitswelt.“
Nicht in allen Bereichen herrscht direkt Ingenieurmangel, heißt es von der Bundesagentur für Arbeit in NRW, doch beispielsweise in der Baubranche und IT sei der Gap zwischen Angebot und Nachfrage besonders hoch. Der Fachkräftemangel wird sich allerdings weiter verstärken, denn in den kommenden Jahren gehen die geburtenstarken Jahrgänge in Rente und werden große Lücken in den Betrieben hinterlassen.
Laut NRW-Wirtschaftsministerium gibt es diverse Schwerpunkte: Maschinenbau in der Region Aachen, Metallverarbeitung im Bergischen Städtedreieck, Möbel- und Ernährungsindustrie in Ostwestfalen-Lippe, Dienstleistungsbranchen wie Handel, Mode, Kreativwirtschaft und Medien in der Wirtschaftsregion Düsseldorf, Automobil- und Maschinenbau, Chemie, Finanz- und Versicherungswirtschaft sowie Funk und Fernsehen in der Region Köln-Bonn, Energie, Logistik, Chemie und Gesundheitswirtschaft in der Rhein-Ruhr-Region. Im Münsterland Maschinenbau und die Lebensmittelherstellung, Südwestfalen Metall- und Kunststoffverarbeitung sowie die Licht- und Elektrotechnik, Region Niederrhein chemische Industrie und die Landwirtschaft.
Klimaneutralität, Energiewende, digitale Transformation: Die Aufgaben für Großindustrie und Mittelstand sind gewaltig. „Für die Zukunft gilt es, den Wissens- und Technologietransfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft zu intensivieren und die Vernetzung verschiedener Technologiefelder weiter auszubauen, um Innovationspotenziale über Branchengrenzen hinweg zu nutzen“, heißt es aus dem NRW-Wirtschaftsministerium.
Thyssenkrupp-Steel will in der geplanten Direktreduktionsanlage Wasserstoff einsetzen
Voran geht der Stahlkonzern Thyssenkrupp: Er will in Duisburg ein großes Dekarbonisierungsprojekt auf den Weg bringen. Mit einer neuen Direktreduktionsanlage und zwei Einschmelzern will Thyssenkrupp Steel jährlich 3,5 Mio. t CO2 einsparen. Ende 2026 soll die Anlage in Betrieb genommen werden. Die Direktreduktionsanlagen ersetzen die bestehenden Hochöfen, die Kohle als Wärmequelle einsetzen. Anstelle von Kokskohle setzt der Stahlhersteller zunächst Erdgas ein. Sobald es genügend Wasserstoff auf dem Markt gibt, solle dann die Umstellung der Direktreduktionsanlage erfolgen, heißt es aus dem Unternehmen.
Laut einer im Auftrag des Wirtschaftsministeriums erstellten Studie können durch den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft bis zu 130 000 neue Arbeitsplätze und zusätzliche Wertschöpfung in Nordrhein-Westfalen entstehen.
„Mit dem Ruhrgebiet verbinde ich Werte wie Bodenständigkeit, Ehrlichkeit und einen hohen Qualitätsanspruch an die eigene Arbeit. Diese Mentalität prägt auch unser Unternehmen. Das ist hier überall spürbar.“ Martin Brochhaus, Personalchef beim IT-Dienstleister Materna in Dortmund
Die IKT-Branche ist ein Wachstumsmotor in Nordrhein-Westfalen
Die Informations- und Kommunikationswirtschaft ist mit einem Anteil von knapp 27 % am Gesamtumsatz eine wichtige Säule der Wirtschaft in NRW. „Jeder fünfte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte der deutschen IKT-Branche ist in Nordrhein-Westfalen angestellt. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse in Nordrhein-Westfalen ist zuletzt auf mehr als 248 000 in insgesamt 23 580 Unternehmen gestiegen“, sagt Pressesprecher Sven Ebbing vom Landeswirtschaftsministerium. Die Ingenieurquote liegt laut BA NRW im IT-Bereich bei 3,5 %. Firmen wie die IT-Sicherheitsexperten G Data in Bochum und der IT-Dienstleister Materna in Dortmund haben international einen guten Ruf. Beide profitieren von der Nähe zu der dichten Hochschullandschaft und können dort Fachkräfte für sich gewinnen.
„Wir wachsen an allen vier Standorten in NRW, teilweise sogar sehr stark. NRW ist ein Gebiet, das uns ermöglicht, die Weiterentwicklung des Unternehmens voranzutreiben“, sagt Materna-HR-Chef Martin Brochhaus. Bei Materna ist es vor allem die Nähe zur TU Dortmund und der FH. „Mit dem Ruhrgebiet verbinde ich Werte wie Bodenständigkeit, Ehrlichkeit und einen hohen Qualitätsanspruch an die eigene Arbeit. Diese Mentalität prägt auch unser Unternehmen. Das ist hier überall spürbar“, erklärt Brochhaus.
Quelle: VDI-nachrichten von 23.03.2023
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