Ein digitaler Zwilling für den Gebäudebestand
Das Nemetschek Haus in München hat einen digitalen Zwilling bekommen. Entstanden ist dieser in dTwin, der neuen Cloud-basierten Plattform der Nemetschek Group für die Building Lifecycle Intelligence. Das digitale Abbild zeigt, wie sich diverse Daten von Bestandsgebäuden auf einer horizontalen und offenen Plattform sammeln und mit Echtzeit-Informationen anreichern lassen: für mehr Transparenz über den gesamten Gebäudelebenszyklus hinweg.
In den seltensten Fällen entspricht ein fertiges Gebäude zu 100 Prozent den Originalmodellen der verantwortlichen Architektinnen und Architekten. Dies muss nicht zwingend an der Qualität des Bauhandwerks liegen, sondern kann auch die Folge späterer Umbauten sein. Um eine verlässliche Entscheidungsbasis für den weiteren Verlauf der Bauarbeiten, den Gebäudebetrieb sowie die Sanierung zu schaffen, sollte idealerweise ein aktuelles, digitales Gebäudemodell aufgebaut, mit den ursprünglichen Plänen vergleichbar gemacht und mit Echtzeitdaten angereichert werden. So erhält man ein Abbild der gebauten Realität, einen Digitalen Zwilling. In anderen Branchen wie der Fertigungsindustrie oder im Automotive-Bereich verbessern digitale Zwillinge, also virtuelle Abbilder realer Systeme, schon seit einigen Jahren die Planung, Ausführung, Qualität und Sicherheit.
Fehlender Überblick dank Datensilos
Heterogene Daten erschweren bislang im Bausektor dieses lohnende Unterfangen. So fallen über den Gebäudelebenszyklus hinweg 2D- oder 3D-Skizzen, Bildaufnahmen, BIM-Modelle, Sensordaten und vieles mehr an – meist als isolierte Ergebnisse in den jeweiligen Projektphasen. Die nicht kongruenten Daten können hohe Kosten, schleppende Bauprojekte, Qualitätsmängel ja sogar Ineffizienzen im Gebäudebetrieb verursachen.
Alle Informationen über offene API-Schnittstellen austauschen
Mit der 2023 veröffentlichten Cloud-basierten SaaS-Plattform dTwin wird jetzt ein 360°-Blick auf Gebäude – über alle Lifecycle-Phasen und Datenquellen hinweg möglich. Hierzu stehen offene API-Schnittstellen, über die alle relevanten Informationen aus IWMS, CAD/BIM sowie Echtzeitdaten aus Gebäudeautomationssystemen importiert werden können, bereit. So schlägt dTwin eine Brücke zwischen der Planungsphase, der Bauphase und dem Gebäudebetrieb und sorgt für durchgängige Transparenz und datengesteuerte Entscheidungen, die sowohl ökonomisch wie ökologisch am sinnvollsten sind.
Lebendes Objekt: das Nemetschek Haus in München
Wie aus unterschiedlichen Daten-Inputs ein lebender digitaler Zwilling entsteht und wie dieser das Gebäudemanagement auf ein neues Niveau hebt, zeigt das Beispiel des Nemetschek Hauses in München.
Von der Punktwolke zum lebenden Modell
In Bezug auf heterogene Gebäudedaten ist der Unternehmenssitz der Nemetschek Group in München keine Ausnahme. Das im Jahr 2000 errichtete Nemetschek Haus am Konrad-Zuse-Platz beherbergt auf vier Stockwerken und 20.000 Quadratmetern neben der Firmenzentrale auch mehrere Marken der Nemetschek Group sowie externe Mietparteien.
Neben Plänen aus der ersten Bauphase lagen zu Beginn des Digitalisierungsprojekts Skizzen aus dem Umbau sowie vereinzelte BIM-Modelle aus der jüngsten Renovierung vor. Im ersten Schritt galt es, diese Datenvielfalt in den Kontext der gebauten Realität zu bringen.
Digitalen Zwilling mithilfe zweier kombinierter Scanverfahren erstellen
Gemeinsam mit dem Servicepartner BIM-Services galt es zunächst zwei Scanverfahren miteinander zu kombinieren: einen hochpräzisen terrestrischen Laserscanner und einen mobilen Scanner für 360°-Panoramaaufnahmen des Gebäudes. Auf diese Weise entstanden insgesamt rund 13.000 Aufnahmen und knapp 100 Gigabyte an Punktwolken-Daten – das Baumaterial des digitalen Zwillings in der Software dTwin. Für das Erfassen der Panoramaaufnahmen reicht in der Praxis auch ein Smartphone oder Tablet als mobiler Scanner aus.
Mit historischen BIM-Modellen matchen
Dieser Input wurde dann mit historischen BIM-Modellen gematcht, um ein aktuelles, virtuell begehbares 3D-Abbild des Nemetschek Hauses zu schaffen. Das 3D-Modell besteht aus mehreren Layern, zwischen denen User über die intuitive Oberfläche der dTwin-Software bequem wechseln können: einer 3D-Punktwolke, 360°-Panorama-Aufnahmen sowie dem aktuellen BIM-Modell. In dTwin lassen sich Points of Interest wie Aufzüge sowie Quellen von Echtzeit-Daten intuitiv platzieren und einzelnen Räumen zuordnen.
Asset Management der nächsten Generation
Sein volles Potenzial entfaltet ein digitaler Zwilling im Zusammentreffen von architektonischen Informationen und Echtzeit-Daten aus dem Gebäudebetrieb. Die Nemetschek Group analysiert an ihrem Headquarter etwa die Raumbelegung und erfasst mit IoT-Sensoren laufend Qualitätsparameter wie die Raumtemperatur, die Luftfeuchtigkeit und den CO₂-Gehalt. Alle diese Sensordaten werden kontextbezogen in den digitalen Zwilling integriert und ermöglichen Echtzeit-Analysen jedes einzelnen Raums. Mittels 3D-Geodaten von Google wird das Gebäude außerdem in den Kontext der Stadtumgebung gesetzt.
Die verschiedenen Modell-Layer sind nur ein Ausschnitt aus dem Funktionsumfang von dTwin. Mit wenigen Mausklicks gelangen Gebäudebetreibende an genau die Information, die sie als Entscheidungsgrundlage benötigen – ob als Visualisierung oder in Form von tabellarischen Objekt-Bibliotheken, die sich filtern, durchsuchen und exportieren lassen. Ist im Foyer wieder die Klimaanlage ausgefallen? Dies erkennen Asset Manager in einer Heatmap auf einen Blick. Dazu müssen sie nicht einmal vor Ort sein: In dTwin lassen sich personalisierte Benachrichtigungen programmieren, beispielsweise via E-Mail oder SMS.
Lückenlose Transparenz im gesamten AEC/O-Zyklus
Dank zahlreicher Schnittstellen zu verschiedenen ACE/O-Lösungen führt dTwin als Single Source of Truth die Informationen aus dem gesamten Gebäudelebenszyklus übersichtlich auf einer zentralen Plattform zusammen. Diese dynamische Datenbasis gewährleistet die Interoperabilität verschiedener Systeme und schafft Mehrwerte im gesamten Gebäudelebenszyklus.
In der Planungsphase sorgt der digitale Zwilling als gemeinsame Informationsquelle aller Beteiligten schließlich für reibungslose Workflows ohne Datenverluste. Während der Bauphase lassen sich alle relevanten Daten und Informationen lückenlos zusammenführen, um beispielsweise den Gebäudefortschritt nachzuverfolgen und das Gebäude mit vollständigen Daten an die Betreibenden zu übergeben. Im Gebäudebetrieb wiederum versetzt das interaktive Modell Asset Manager in die Lage, sich rasch im Gebäude zu orientieren und Entscheidungen auf realistischen Echtzeit-Daten zu begründen. Diese objektive, stets aktuelle Entscheidungsbasis kommt auch den Entscheiderinnen und Entscheidern bei der Sanierung oder beim Rückbau zugute. Sie wissen auf den Zentimeter genau, wo im Gebäude sich welcher Point of Interest befindet – noch lange keine Selbstverständlichkeit in der Bauindustrie.
Das Beispiel des digitalen Zwillings vom Nemetschek Haus hat gezeigt, dass digitale Zwillinge von Bestandsgebäuden mithilfe von dTWin nutzbar gemacht werden können.