Bauen mit nachhaltigem Stahl noch wenig nachgefragt
Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern hinkt Deutschland beim Einsatz von CO2-reduziertem Stahl noch hinterher. Ändern könnte sich das, wenn die Nachhaltigkeit in Vergabeverfahren für Bauprojekte eine größere Rolle spielen würde.
„Einmal hergestellter Stahl wird zu 99 Prozent in einem unendlichen Kreislauf geführt“, hob auf der Pressekonferenz von Bauforumstahl e.V. der Vorstandsvorsitzende Dr.-Ing. Jan Schmidt während der BAU 2023 unterschiedliche Nachhaltigkeitsaspekte des Baustoffs hervor. Dabei bleibe die Qualität erhalten oder werde sogar gesteigert.
Auch die bislang hohen CO2-Emissionen bei der Herstellung relativieren sich nach Angaben von Dr. Schmidt künftig: „In einigen Jahren wird der Eintritt in diesen unendlichen Kreislauf klimaneutral sein − ein Alleinstellungsmerkmal der Stahlbaubranche“, betonte er. Im Vergleich zum herkömmlichen, grauen Stahl sei dafür mit Preissteigerungen von nur etwa fünf Prozent zu rechnen, also mit einem zweistelligen Euro-Betrag bei einer Tonne.
Unterstützung der digitalen Transformation in der Bauwirtschaft
Ein weiteres Thema war die voranschreitende digitale Transformation der Bauwirtschaft, die der Bauforumstahl e.V. begleitet, indem der Verein als Unterstützer (sogenannter Kennedy) der Plattform für Baumaterial-Wiederverwendung Madaster auftritt. „Die Plattform Madaster ist der Zugangsschlüssel zum Baustofflager der Zukunft und macht den heute eingesetzten Baustahl grün“, so Dr. Jan Schmidt.
Ein mit Hilfe von Madaster erstellbarer Gebäuderessourcenpass ermöglicht alle im Gebäude enthaltene Produkte, Materialien und Werte digital zu hinterlegen. Auf Basis der erhobenen Daten erfolge der Rückbau, die Wiederverwendung und das Recycling. Stahl werde auf diese Weise aus ökonomischer und ökologischer Sicht noch attraktiver.
Wirtschaftliche Lage im Stahlbau
Gregor Machura, Geschäftsführer Bauforumstahl e.V. und Deutscher Stahlbau- Verband DSTV e.V, berichtete über aktuelle Wirtschaftszahlen in diesen herausfordernden Zeiten. Das Jahr 2022 hat mit einer Gesamttonnage der Stahlbauproduktion von 2,177 Mio. Tonnen abgeschlossen und liegt damit auf gleicher Höhe wie 2019 und wieder auf dem „aufsteigenden Ast“, nachdem während der Corona-Pandemiezeit die Zweimillionenmarke unterschritten wurde.
Die Produktion der Stahlkonstruktionen nahm 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 7,1 Prozent zu. Die gesamte Branche erwirtschaftete im Jahr 2021 einen Umsatz 14,3 Milliarden Euro.
Stabile Lieferketten
„Auch die Lieferkettenverbindlichkeit für Stahl in Deutschland ist stabil und verlässlich in turbulenten Zeiten“, so Christian Wurst, Präsident des Deutschen Stahlbau- Verbandes DSTV e.V. und stellvertretender Vorsitzender Bauforumstahl e.V.
Die große Verunsicherung auf dem Stahlmarkt bedingt durch den Ukrainekrieg im Februar 2022 konnte nach seinen Angaben durch sofortige Neusortierung und Ausrichtung der Lieferketten behoben werden. Gewünschte und bestellte Stahlbaukonstruktionen seien immer lieferbar gewesen.
Wohnungsmangel bekämpfen mit modularem Stahlbau
In Deutschland fehlen nach Schätzungen derzeit 700.000 Sozialwohnungen und kostengünstige Wohnungen – ein Problem, das sich aufgrund des Bevölkerungswachstums durch Zuwanderung noch zuspitzen dürfte. Hier könnte das modulare Bauen mit dem Baustoff Stahl ein Ansatz sein, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Die vorgefertigten Module werden auf den Baustellen montiert, was Material-, Energie- und Personalressourcen sparen kann.
Neben dem modularen Wohnungsbau gehört das Bauen im Bestand zu den weiteren Stahlbau-Tätigkeitsfeldern. Auch in Zukunft müsse es das Ziel sein, vorhandene Bausubstanz mit dem Zweck der Erhaltung zu nutzen, die Verdichtung in Städten zu ermöglichen und dennoch Rohstoffe und Energieressourcen zu schonen.
Stahl biete hier als Baustoff viele Vorteile und punkte vor allem durch sein geringes Gewicht im Verhältnis zur Belastungsfähigkeit. Wohn- und Arbeitsräume in Stahlbauweise sind anpassungs- und erweiterungsfähig, ohne die vorhandenen Bauwerke zu stark zu strapazieren.
Wenig Nachfrage nach CO2-reduziertem Bauen
In dem Pressegespräch wurde allerdings auch deutlich, dass Nachhaltigkeit bei Bauprojekten derzeit noch selten eingefordert wird. „Übergeordnet besteht Konsens darüber, dass nachhaltiges Bauen und CO2-reduziertes Bauen der Anspruch sein muss, um unseren Beitrag zur Klimaneutralität zu leisten“, stelle Dr. Schmidt fest. „Stand heute ist es aber so, dass es nur vereinzelt eine konkrete Nachfrage nach diesen Produkten gibt.“
Neben Investoren und Endkunden, für die eine nachhaltige Bauweise mit Mehrwert verbunden sei, sieht der Bauforumstahl e.V. da vor allem die öffentliche Hand in der Pflicht, die politischen Vorgaben umzusetzen. So appellierte Christian Wurst an die Politik: „Nachhaltigkeitsaspekte müssen in die Vergabeverfahren für Bauprojekte, um einen Beitrag zur Klimaneutralität zu leisten.“
Denn anders als in den Niederlanden oder Skandinavien werden Nachhaltigkeitsaspekte in Deutschland noch viel zu selten in Ausschreibungen eingefordert, beklagte Dr. Schmidt. Bei der zur Salzgitter AG gehörenden Peiner Träger GmbH, deren Geschäftsführer er ist, tauchen solche Anforderungen am ehesten noch bei Projekten der Automobilindustrie auf, die eher bereit sei, den Mehrwert von CO2-Reduzierung einzupreisen. „Da ist die Baubranche noch einen Schritt hinterher“.
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