Bezahlbare Aerogele zum Verputzen und für transluzentes Mauerwerk
Das mineralische Material gilt als leichtester und effektivster Dämmstoff der Welt. In Anzügen für die Raumfahrt spielt sein Preis keine Rolle, aber zum Bauen waren Aerogele bisher eher zu teuer. Das könnte sich nun durch zwei attraktive und wettbewerbsfähige Anwendungsformen ändern.
Aerogele sind mit einem Luftanteil von 99,8 Prozent sowohl der leichteste als auch der effektivste Dämmstoff der Welt. Da sie aus dem unbedenklichen mineralischen Rohstoff Siliziumdioxid bestehen, sind sie zudem nachhaltig und lassen sich unabhängig von petrochemischen Quellen fertigen.
Aerogele: ein exklusives Dämmmaterial
Der Haken an der Sache: Als Dämmstoffe waren Aerogele bisher deutlich zu teuer, da ihre herkömmliche Herstellung aufwendig und langwierig ist. Aus diesem Grund kamen sie bisher vorwiegend in Nischenanwendungen wie in Raumanzügen zum Einsatz.
Zwei jüngst vorangetriebene Anwendungen lassen nun aber hoffen, dass Aerogele künftig auch beim Bauen öfter zum Einsatz kommen:
- Forschende des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (Umsicht) in Oberhausen haben in Zusammenarbeit mit der Proceram GmbH & Co. KG einen nachhaltigen und kostengünstigen mineralischen Dämmstoff entwickelt, der die Dämmleistung von Styropor und Co. bei Weitem übertrifft.
- Und ein Team der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa hat einen lichtdurchlässigen und dank Aerogel gut dämmenden Glasbaustein entwickelt, der sogar tragende Elemente ermöglicht.
Hier mehr Details zu beiden Anwendungen.
Fraunhofer Umsicht und Proceram: Kostengünstige, massentaugliche Aerogel-Produktion
Grundlage für eine Revolution im Bereich der Dämmung: ist ein günstiger mineralischer Dämmstoff, der besser isoliert als auf fossilen Energien basierende Alternativen und nicht brennbar ist. In dieser Herausforderung sah die Proceram eine Chance und machte es sich zum Ziel, Aerogele kostengünstig und massentauglich herzustellen.
Dazu kontaktierten die Unternehmer die Expertinnen und Experten des Fraunhofer Umsicht – und stellten innerhalb von sechs Jahren gemeinsam ein neuartiges Produktionsverfahren für Aerogele auf die Beine, das vom Labor bis in den vorindustriellen Maßstab vollständig ohne umweltgefährliche Chemikalien auskommt. Darüber hinaus konnten mit dem neuen Verfahren die Herstellungskosten der bis dato teuren Aerogele um 70 Prozent, die Produktionszeit von mehr als zehn auf 2,5 Stunden gesenkt werden.
Um Kosten und Produktionszeit des Aerogels in diesem Ausmaß senken zu können, setzte das Forscherteam beim Produktionsprozess an. Üblicherweise wird zur Aerogelherstellung ein Sol, eine feine Verteilung fester Stoffe in einem Medium, mittels Säure geliert – dazu braucht es für ein Kilogramm Aerogel sechs Kilogramm Säure – ätzende Substanzen also, die die Umwelt schädigen können. Anschließend wird das Gel gealtert, das Lösungsmittel getauscht und getrocknet.
Kohlenstoffdioxid als Ersatz für Säuren
„Wir haben den Stand der Technik konsequent in Frage gestellt“, erläutert Mölders das Vorgehen. „Während überkritisches Kohlenstoffdioxid, dessen Eigenschaften zwischen denen von Gas und Flüssigkeit liegen, bisher lediglich für die Trocknung genutzt wird, setzen wir es für alle Prozessschritte ein. So können wir auf die Säuren verzichten.“
Auch die Rohstoffe stehen im Zeichen der Nachhaltigkeit: Die Forschenden testeten über 20 verschiedene silikatische Sole, die gut verfügbar, kostengünstig und nicht toxisch sind – im Gegensatz zu etablierten, aber teuren und gesundheitsschädlichen Varianten.
Starke Dämmleistung in mineralischem Putz
Um schließlich als Dämmmaterial von Gebäuden zum Einsatz zu kommen, wird das Aerogel auf eine Korngröße von zwei bis vier Millimetern gebracht und in einen rein mineralischen Putz integriert. Die Masse verfügt über gute Dämm- und bauphysikalische Eigenschaften, die diejenigen der klassischen Dämmstoffe wie Styropor oder Mineralwolle übertrifft.
„Integriert in den Putz können die Aerogele – verglichen mit Styropor – die Wärmeleitfähigkeit um den Faktor zwei senken; das ist wirklich enorm“, fasst Dworatzyk zusammen. Es ist also nur die Hälfte der Schichtdicke von Styropor nötig, um die gleiche Dämmleistung zu erreichen. „Wir haben damit ein stark dämmendes Material auf rein mineralischer Basis.“
Ein weiterer Pluspunkt: „Wir verwenden hier nur Materialien wie Sand oder Kalk, die sich wieder in die Stoffkreisläufe einbringen, also recyceln lassen“, ergänzt Sengespeick. Das Potenzial des neuartigen Produktionsverfahrens ist für Gebäudetechnik und Klimaschutz also gleichermaßen groß.
Ausgezeichnet mit dem Joseph-von-Fraunhofer-Preis 2023
Für diese Leistung erhalten Nils Mölders und Andreas Sengespeick vom Fraunhofer Umsicht sowie Christoph Dworatzyk von der Proceram den Joseph-von-Fraunhofer-Preis 2023, den die Fraunhofer-Gesellschaft jährlich seit 1978 für herausragende wissenschaftliche Leistungen ihrer Mitarbeitenden verleiht, die anwendungsnahe Probleme lösen. In diesem Jahr werden drei Preise mit jeweils 50.000 Euro an Forschergruppen aus unterschiedlichen Instituten vergeben.
Empa: Lichtes Mauerwerk mit hoher Dämmleistung
Glasbausteine sind in der Architektur schon seit langem beliebt, um mehr Licht in Gebäude zu bringen. Bisher eigneten sie sich jedoch nicht für tragende Wände und isolierten vergleichsweise schlecht. Ein Empa-Team hat nun einen lichtdurchlässigen und dank Aerogel gut dämmenden Glasbaustein entwickelt, der sogar tragende Elemente ermöglicht. Damit lassen sich ästhetische, transluzente Wände bauen, die im Gebäudeinneren den Bedarf an künstlicher Beleuchtung senken.
Verglaste Bauelemente sind in der Architektur eine beliebte Methode, um Licht in ein Gebäude zu lassen. So lässt sich das umweltfreundliche Tageslicht besser nutzen, und es wird weniger künstliche Beleuchtung benötigt. Um diesen Vorteil zu maximieren, sollten aus den Glaselementen jedoch möglichst ganze Wände für die Gebäudehülle gebaut werden, was voraussetzt, dass die Elemente über eine wirksame Wärmedämmung verfügen und eine gewisse Last tragen können – eine Kombination, die so auf dem Markt bislang nicht verfügbar war.
Aerogel-Glasbaustein: hochdämmend und lichtdurchlässig
Silikat-Aerogele sind thermische Hochleistungsdämmstoffe, die im Bausektor zunehmend Verbreitung finden. Am gebräuchlichsten sind undurchsichtige Dämmmatten und -putze. Empa-Forscher Jannis Wernery und seine Kollegen aus der Abteilung „Building Energy Materials and Components“ hatten bereits 2017 die Idee, den Dämmstoff direkt in einen Baustein zu integrieren. Sie stellten einen neuartigen, mit Aerogel gefüllten Ziegelstein vor, den sogenannten Aerobrick, der dank seiner hervorragenden Wärmedämmung Heizkosten sparen kann – ganz ohne zusätzlich auf das Mauerwerk aufgebrachte Dämmschicht.
Aerogel kann jedoch auch nahezu transparent sein, was ein lichtdurchlässiges, isolierendes Bausystem ermöglicht. Um das auszunutzen und die Dämmleistung des Aerobrick noch weiter zu verbessern, entwickelten Wernery, Michal Ganobjak und andere ein neuartiges modulares Bauteil auf der Basis von Floatglas und Silikat-Aerogel-Granulat, das beide Eigenschaften vereint – es ist lichtdurchlässig und wärmedämmend: der Aerogel-Glasbaustein.
Bau ästhetisch ansprechender, tragender Fassadenelemente
Die mit lichtdurchlässigem Aerogel-Granulat gefüllten Glasbausteine lassen den Bau von ästhetisch ansprechenden und sogar tragenden Fassadenelementen zu, die einen grossflächigen Tageslichteintrag ermöglichen. Diese Kombination von Festigkeit, Dämmung und Lichtdurchlässigkeit erreichten die Empa-Forschenden durch versetzte Abstandshalter zwischen den Glasscheiben innerhalb des Glasbausteins, die die statische Stabilität bei minimalem Wärmedurchgang gewährleisten.
Der Glasbaustein hat eine gemessene Wärmeleitfähigkeit von 53 mW/(m∙K) und eine Druckfestigkeit von fast 45 MPa. Dies ist nach Angaben der Empa die höchste Dämmleistung eines Ziegels, die in der Fachliteratur, geschweige denn auf dem Markt zu finden ist – und dazu ist der Ziegel transluzent.
Vielfältige Anwendungen im Blick
Der Aerogel-Glasbaustein eignet sich für Anwendungen, in denen gleichzeitig Anforderungen an hohen Tageslichteintrag, Blendschutz und Schutz der Privatsphäre bestehen, etwa in Büros, Bibliotheken und Museen. Ein wichtiger Aspekt ist dabei, dass eine Gebäudehülle aus solchen Glassteinen das Gebäudeinnere in Sachen Tageslicht an den Außenraum koppelt. Dies kann sich positiv auf den Tagesrhythmus der Gebäudenutzer auswirken. Mögliche Anwendungen sind etwa
- Räume, die keine Sichtverbindung nach außen haben sollen, zum Beispiel aus Gründen der Privatsphäre, der Sicherheit oder der Vermeidung von Störungen, aber dennoch diffuses Tageslicht ins Innere lassen sollen, also etwa Bibliotheken, Galerien, Museen, Foyers, Büros, Treppenhauskerne, Turnhallen, Mehrzweckhallen, Wohnhäuser oder Kunstwerkstätten;
- Räume, in denen Tageslicht für einen gesunden zirkadianen Rhythmus notwendig ist, wie Wohnheime, Krankenhäuser und Sanatorien, aber auch Zoos, Ställe und Tierzuchten bis hin zu Gewächshäusern;
- Orte, an denen ein Maximum an Tageslicht eingebracht und Platz gespart werden soll, etwa in dicht bebauten Stadtquartieren mit Hochhäusern und vielen Stadtwohnungen sowie
- architektonische Elemente wie Trombe-Wände in der Solararchitektur, in Innenhöfen oder Atrien, die aus der Infrarotstrahlung des Sonnenlichts Wärme generieren.
Wettbewerbsfähige Anwendungen
Eine Analyse der Materialkosten zeigt, dass der Isolierglasbaustein in solchen Anwendungen durchaus wettbewerbsfähig sein kann. Der Glasbaustein bietet der Architektur nach Angaben der Empa somit neue Gestaltungsmöglichkeiten für mehr Tageslicht in Gebäuden – und zwar sowohl für Neubauten als auch bei Renovierungen. Die Forschenden haben den Aerogel-Glasbaustein inzwischen zum Patent angemeldet und sind auf der Suche nach Industriepartnern.
Das Projekt wird durch die Velux Stiftung, Projekt Nr. 1440 zur Entwicklung eines hochdämmenden, transluzenten Glassteins für diffusiven Tageslichteintrag unterstützt. Die Projektidee wurde mit Unterstützung durch das Horizon 2020 Research and Innovation Programm der Europäischen Union im Rahmen der Marie Skłodowska-Curie Actions erarbeitet (Vertragsnummer 746992).
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