Das Seilnetzdach der Schierker Feuerstein Arena im Harz
Die offene Überdachung der Schierker Feuerstein Arena im Süden Sachsen- Anhalts bietet ihren Nutzern nicht nur Schutz vor Sonne, Schnee und Regen, sondern fügt dem von ursprünglicher Natur geprägten Ort auch einen besonderen Raum hinzu. Trotz der hohen Schneelasten der beliebten Wintersportregion kommt das leichte, seilnetzgestützte Membrandach mit nur zwei Auflagerpunkten aus und überspannt so die Grundrissfläche von über 2 300 m² in aufsehenerregendem Schwung. Ähnlich seinem Vorbild in Wolfsburg, der Überdachung der Ausfahrt vor dem KundenCenter der Autostadt, profitierte auch das hochoptimierte Dach in Schierke von der frühen Zusammenarbeit zwischen Architekten und Bauingenieuren.
1 Einleitung
Das neue Dach über der Sportfläche der Schierker Feuerstein Arena ist ein sattelförmiges Flächentragwerk, das von einem Stahlrandträger, einem Seilnetz und einer darüberliegenden Membran gebildet wird (Bild 1). Obwohl der Entwurf der in [1] beschriebenen Überdachung in der Autostadt Wolfsburg strukturell ähnelt, sind solitäre Dächer dieser Art immer Prototypen, deren Planung und Gestaltung deutlich an die örtlichen und architektonischen Randbedingungen angepasst und deren Ausführung sorgfältig vorgedacht und begleitet werden muss.
Gestalt, Gebrauchstauglichkeit und Baubarkeit hängen hier direkt von physikalischen Zusammenhängen der Globalstatik ab und müssen letztlich zu einem schlüssigen Ganzen zusammenfinden. Von doppelt gekrümmten Hohlkastenblechen, über den Zuschnitt der vorgespannten Sattelfläche aus Seilen und Membran bis hin zur exakten Montage der Seil- und Membranklemmung müssen sich spezialisierte Unternehmen den technischen Herausforderungen stellen und darüber hinaus komplexe Schnittstellen zum angrenzenden Gewerk aktiv betreuen.
Ohne den Vergleich zum Wolfsburger Vorbild außer Acht zu lassen, beleuchtet der folgende Aufsatz vorwiegend die planerische Seite der Überdachung und seine Weiterentwicklung struktureller Optimierungsschritte.
2 Entwurf und Grundlagen
Der Oberharz stellt nicht zuletzt wegen seines geologischen Alters ein attraktives Erholungsgebiet dar, das als Natursportregion zu allen Jahreszeiten und über deutsche Grenzen hinaus Touristen anzieht. Um das besondere Potenzial zu nutzen, soll das denkmalgeschützte Natureisstadion des verkehrstechnisch günstig gelegenen Ortes Schierke, in eine moderne Begegnungsstätte überführt werden. Zentrales Element des Wettbewerbes für die Gestaltung dieser Stätte war neben den Funktionsgebäuden und den Besuchertribünen vor allem die Überdachung der multifunktionalen Fläche.
Leitgedanke der Architekten von Graft für den Entwurf der offenen Sportflächenüberdachung war es ein Dach zum Schutz vor Regen, Schnee und Sonne zu entwickeln, das leicht und elegant wirkt, ohne den Blick auf die malerische Umgebung zu verdecken (Bild 2).
Die Arena wird an der südlichen Flanke von dem Flusslauf „Kalte Bode“ umflossen und schließt nördlich mit Natursteintribünen und dem bestehenden, holzverkleideten Wettkampfturm ab (Bild 3).
Durch das Öffnen der langen Dachflanken sollen Umgebung und Atmosphäre mitinszeniert und verstärkt werden. Die Reduktion der Konstruktion auf ein System mit wenigen Auflagerpunkten hält zudem den Gewässerschutzstreifen der Kalten Bode frei und aktiviert damit auch wertvollen, nicht direkt bebaubaren Raum.
Ähnlich der Überdachung vor dem KundenCenter der Autostadt Wolfsburg (Bild 4) besteht das deutlich größere und stärker belastete Dach über der Eisportfläche in Schierke aus einer Sattelfläche, die den gesamten Platz vor den Zuschauertribünen in einem Schwung circa 75 m weit überspannt und dabei nur an zwei Punkten lagert. Die überdachte Kunsteisfläche misst etwa 55 m x 27 m. Aus der Geometrie der Fläche ergeben sich zwei Hochpunkte und zwei Tiefpunkte, wobei die Hochpunkte auf einer Höhe von etwa 11,5 m über den Tiefpunkten liegen und die Tiefpunkte ihrerseits etwa 4 m über dem Gelände auf schweren Betonsockeln lagern.
Um die kostspielige Kollision von Bohrgeräten mit Findlingen im Baugrund zu vermeiden, wurden die Sockel hier anders als in Wolfsburg auf einer starken Bodenplatte flach gegründet.
Das trotz seiner komplexen Globalform minimalistisch konstruierte Tragwerk überdacht einen ovalen Grundriss von etwa 2 300 m² mit einem Längen/Breiten-Verhältnis von 75 m/45 m und gewährleistet ein gutes Gefälle für die Wasserableitung über die Tiefpunkte (Bild 5).
Die gekrümmte Fläche besteht aus einem unteren Seilnetz und einer oberen Membran, welche nach dem separaten Vorspannen gegen den Rand miteinander verknüpft werden. Ein dynamisch geformter Stahlrandträger fasst die Ebenen ringartig ein und lagert an den beiden tiefsten Punkten (Bild 6).
Sämtliche äußeren Einwirkungen werden von der Membran über das Seilnetz in den Randträger eingeleitet, welcher die Lasten an den Tiefpunkten der Sattelfläche in die Fundamente und von dort über die Flachgründung weiter in den Baugrund leitet. Horizontale Lagerreaktionen in Richtung der Längsachse werden zudem von einem zentrisch vorgespannten Stahlbetonband kurzgeschlossen, das unter der Arenafläche verläuft.
Um die Maßstäblichkeit des Seilnetzrasters zu wahren, wurde die Maschenweite in Anlehnung an die circa 1,5-mal kleinere Überdachung in Wolfsburg hier von 1,5 m auf 2 m vergrößert. Dabei wurden die herstellbaren Bahnbreiten der PTFE/Glas-Membranen (über 4 m) im Hinblick auf ein wirtschaftliches Nahtlayout berücksichtigt, deren Nähte mittig zwischen den Seilachsen verlaufen sollen.
Anders als in Wolfsburg wurde die Globalform des Randträgers doppelt achsensymmetrisch entworfen, um Einsparpotenzial in der Herstellung zu schaffen. Im Zuge der Massenminimierung wurden für das Dach in Schierke spezielle Optimierungsalgorithmen angewendet und weiterentwickelt. Hierauf soll in den folgenden Abschnitten eingegangen werden.
Um Ingenieurtragwerke der vorliegenden Art realisieren zu können, sind umfangreiche Untersuchungen schon in der Entwurfsphase notwendig. Die Komplexität des Entwurfsprozesses ist hier vor allem der Formfindungs- und Optimierungsmethodik der Randträgerform und der Vorspannungsverhältnisse des Seilnetzes geschuldet. Allgemeine Hintergründe dazu und die Vor- sowie Nachteile verschiedener seilnetzgestützter Dächer wurden in [1] ausführlich erläutert. Der folgende Abschnitt fasst die entwurfsspezifischen Merkmale noch einmal projektbezogen zusammen.
Das Seilnetz
Gegensinnig doppelt gekrümmte Seilnetze wie die einer Sattelfläche können die Vorteile einer quasi lastaffinen Netzform (gegen Druck und Sog) mit denen der Vorspannung im wahrsten Sinne verbinden und so die Gebrauchstauglichkeit einer filigranen Fläche auf effiziente Weise sicherstellen. Bei zwei orthogonal zueinanderstehenden und gegensinnig gekrümmten Seilscharen wird die Krümmung der einen Seilschar durch die Umlenkkräfte der jeweils anderen Schar erzeugt, sodass eine räumliche Sattelfläche mit echtem Eigenspannungszustand auch ohne zusätzliches Eigengewicht (wie bei Hängedächern) möglich wird. Die Vorspannung sorgt dafür, dass sich immer sowohl die Trag- als auch die Spannseile beteiligen.
Neben der Vorspannung beeinflusst natürlich auch der Stich, das heißt der Durchhang der Seilscharen, die Steifigkeit des Netzes. Er muss mindestens so groß gewählt werden, dass auch bei maximaler Belastung das Regenwasser ablaufen kann und eine Schneesackbildung vermieden wird. Die Seile, deren Kraft unter Eigengewicht und Schnee zunimmt, werden hier als Tragseile bezeichnet, und die rechtwinklig dazu liegenden, deren Kraft sich bei Windsog erhöht, als Spannseile.
Der Randträger
Form und Steifigkeit des Randträgers, sowie der Kraftzustand des Seilnetzes beeinflussen sich gegenseitig. Ohne die architektonischen Randbedingungen aus den Augen zu verlieren, ist das Ziel die Kräfte im Seilnetz und die Randträgerform so einzustellen, dass mit möglichst kleinen Seilkräften und möglichst wenig Biegung im Randträger Tragsicherheit und Gebrauchstauglichkeit erreicht werden.
Für viele Grundrissformen des Randträgers lassen sich auch geometrieaffine Seilvorspannungen orthogonaler Netze finden, die in ihrem Eigenspannungszustand jeweils zu einem biegemomentfreien Druckring führen.
Sofern die Belastung einer der beiden Seilscharen der Sattelfläche unter einem bestimmten Lastfall klar dominiert (z. B. hohe Schneelasten hängen sich in die Tragseile), bieten sich parabelförmige Randträgerformen an, um die Biegemomente zu minieren (ebene Situation dargestellt in Bild 7).
Um eine räumliche Sattelfläche zu erzeugen, müssten die Bögen in Bogenmitte nun nur noch nach oben gefaltet werden. Das formgefundene Seilnetz bildet dann je nach Vorspannungsverhältnis und Vorspannungsniveau die entsprechende Sattelfläche. Ohne jedoch auch die Hochpunkte mit Lagern auszustatten, entstehen senkrecht zur Ebene schon im Vorspannungszustand des Seilnetzes hohe Biegemomente, die nur durch das Eigengewicht des Randträgers kompensiert werden können, sofern die Lagerung der Fläche – wie im vorliegenden Fall – auf die zwei Tiefpunkte reduziert werden soll (Bild 8).
3 Konstruktive Durchbildung
Die PTFE-beschichtete Glasfaser-Membran wird einlagig angeordnet und im Bereich der Klemmdetails durch zusätzliche Membranlagen verstärkt. Sie hat eine Festigkeit von etwa 133/114 kN/m Kett/Schuss und eine Lichtdurchlässigkeit von mehr als zwölf Prozent.
Das Augenmerk liegt auch auf einem ruhigen Zusammenspiel der Membrannähte mit dem darunterliegenden Seilnetz (Bild 9). Membran und Seilnetz ähneln sich grundsätzlich stark im Aufbau und Tragverhalten, da beide Ebenen aus Zuggliedern mit zwei orthogonal zueinander ausgerichteten Scharen verknüpft sowie gewebt sind. Dieser Umstand bringt mehrere Vorteile mit sich:
Membran und Seilnetz können bei entsprechendem Zuschnitt exakt parallel, aber berührungslos übereinander gegen den Rand gespannt werden. Dies erleichtert die Montage und reduziert vertikale geometrische Abweichungen, die bei der kraftschlüssigen Verbindung der Membran mit dem Seilnetz zu Zwängungen führen würden. Hieraus folgt, dass sich Membranzuschnitt und Nahtlayout für die räumliche Form automatisch am Verlauf des Seilnetzes orientieren müssen.
Neben dem ruhigen Erscheinungsbild der Nähte bedingt dies eine maximale Reduktion des Membranabfalls aus Verschnitt, da der Zuschnitt quasi parallel zur gewebten Ausrichtung der Membranbahnen verläuft.
Die Membranebene wird punktförmig in den circa 540 Knotenpunkten des Seilnetzes gehalten. Dafür wird die vierteilige Seilklemme um einen Teller zur Befestigung der Membran ergänzt (Bild 10 und Bild 11).
Das Seilnetz besteht aus zwei senkrecht zueinanderstehenden Seilscharen mit offenen, verzinkten Spiralseilen in einem Zwei-Meter-Raster. Es wurden einfache Seile an Stelle von Doppelseilen gewählt, um zum einen die Montage zu vereinfachen und zum anderen die Untersicht so homogen und ruhig wie möglich zu halten. Mit Tragseilen (D = 28 mm) und Spannseilen (D = 24 mm) werden insgesamt circa 2 250 m hochfeste Seile verbaut. Beide Seilscharen werden an Anfang und Ende über Gabel-Gewindefittinge mit dem Randträger verbolzt (Bild 12 und Bild 13).
Der Randträger hat eine Gesamtlänge von etwa 190 m und ist zur Längs- und Querachse symmetrisch. Um leicht und dynamisch zu wirken, wird ein geschweißter Stahlhohlkasten aus unterschiedlichen Querschnitten entwickelt, der seine Form über die Länge des Trägers stetig ändert. Es ergeben sich doppelsinnig gekrümmte Mantelbleche, die innen liegend ausgesteift werden müssen.
Die Höhe der Hohlkästen variiert zwischen 60 cm bis 1,4 m mit Blechdicken zwischen 15 mm und 55 mm (Bild 14).
Im Auflagerbereich ist der Randträger über Schotte mit einer 70 mm starken, waagerechten Stahlfußplatte verschweißt, die vertikal über im Beton verankerte Spannanker (je 22 Stück) gehoben werden kann und nach Vorspannung der Anker steif und kraftschlüssig mit dem massiven Stahlbetonsockel verbunden ist. Der pyramidenstumpfartige Sockel misst im Grundriss 9 m x 10 m mit einer Höhe von circa 3,7 m.
Die 1 m starke Bodenplatte des Stahlbetonsockels (C 30/37) wird so dimensioniert, dass sämtliche Lasten flachgegründet in den Baugrund abgetragen werden können (Bild 6).
Die Widerlager sind unter der Eisfläche über Spannbetonbänder miteinander verbunden. Um ausreichende horizontale Steifigkeit des Tragwerkes gegen den starken Bogenschub in Richtung der langen Achse gewährleisten zu können, werden diese 2 x 2 m² Zugbänder zentrisch vorgespannt.
3.1 Das Lagerdetail
Die 22 Spanglieder (d = 36 mm und d = 40 mm), die je Lager letztlich den Randträger mit dem Stahlbeton verspannen, müssen mittels Schablonen genau in der Schalung ausgerichtet und dann vergossen werden. Um das spätere Einheben sowie Absenken des entsprechenden Randträgerabschnitts zu erleichtern, wurden die Anker im Unterschied zum Dach in Wolfsburg lotrecht konstruiert. Zwar müssen so deutlich größere Kräfte über Schub in der Fuge übertragen werden, jedoch erleichtert es die Schalung der Fuge, erspart komplizierte Hubvorgänge und erfordert keine Langlöcher in der massiven Fußplatte des Randträgers (Bild 17).
Durch die Vorspannung der Anker wird die kraftschlüssige Schubverzahnung in der Lagerfuge sichergestellt. Sie überträgt sämtliche horizontalen Lasten des Bogenschubes aus dem Dach in den Stahlbeton. Im Gleichgewicht des entsprechenden Stabwerkmodells bekommen die Spannanker Zug, der zusätzlich zu den globalen Einspannmomenten einen ernstzunehmenden Anteil an der Auslastung der Anker hat.
3.2 Der Randträger
Anders als in Wolfsburg wird der Randträger pro Symmetriequartal in acht Abschnitte mit je vier Blechflanken eingeteilt und schrittweise optimiert (Bild 18).
Die automatisierte Ausgabe sämtlicher Eckspannungen eines Querschnitts wird systematisch in lokale Schnittgrößen der Einzelbleche überführt und in einem separaten FE-Modell für ein Einzelblech nachgewiesen (Bild 19). Dabei werden die spezifischen Biegeradien der Einzelbleche mitabgebildet und einschließlich anzusetzender Imperfektionen analysiert. Die Mischung von Beul-Effekten mit reinen Einflüssen Theorie 2. Ordnung macht eine FE-Analyse für wirtschaftliche Abmessungen unumgänglich.
Das Gesamtsystem wird dabei derart fein an die Auslastungsgrenzen gebracht, dass sich sämtliche lokalen Steifigkeitsänderungen optimierter Blechstärken sofort globalstatisch auswirken. Die optimierten Blechstärken und Steifenabstände müssen folglich unter angepasster Schnittgrößenverteilung in wiederholten Rechenläufen bestätigt oder neu angepasst werden.
Ob der konstruktive Aufwand einer derart feinen Einteilung durch die Masseneinsparung wirtschaftlich kompensiert werden kann, ist dabei schwer vorherzusehen. Im vorliegenden Fall wurde die Planung aber dankenswerterweise ohne wesentliche Abweichungen umgesetzt (Bild 20).
Anders als in Wolfsburg wurde die doppelte Krümmung der Bleche nicht von Schiffsbauern über plastische Verformung realisiert, sondern über einen linienförmigen Wärmeeintrag analog des Flammrichtens geformt. Bei dem verwendeten Baustahl S 355 liegt die Flammrichttemperatur sogenannter Wärmestriche zwischen 600 °C und 700 °C (Bild 21).
4 Besonderheiten
4.1 Lastansätze
Die Lastansätze für das Dach in Schierke unterscheiden sich zum Teil stark von denjenigen in Wolfsburg. Will man die beiden Dächer vergleichen, so kommt man um eine Betrachtung der Lasten nicht umhin. Hier spielen Schnee und Wind die maßgebende Rolle.
4.1.1 Wind
Mit ähnlichen Windgeschwindigkeiten, aber unterschiedlicher Dachform weichen die statischen Ersatzlasten aus Wind laut Gutachten spürbar voneinander ab. So wirken für die Überdachung in der Autostadt stellenweise etwa – 1,2 kN/m² (Sog) bis + 0,6 kN/m² (Druck), während in Schierke – 1,3 kN/m² bis + 1,0 kN/m² angesetzt werden müssen.
Diese Werte enthalten jeweils auch Effekte dynamischer Erhöhung, die in der Autostadt pauschal mit 5 % angesetzt und für das Dach in Schierke mit 10 % bis 40 % lokal ermittelt wurden.
Bei der Untersuchung dynamischer Effekte muss grundsätzlich unterschieden werden, ob die Bewegungen des Stahltragwerks die Luftströmungen maßgeblich beeinflussen können oder nicht. Dies ist hier glücklicherweise nicht der Fall, sodass die Erhöhungsfaktoren allein aus den lokalen Eigenfrequenzen und den Ergebnissen der am starren (maßstäblichen) Modell gemessenen Druck- und Sogwerte bestimmt werden können. Anderenfalls müssten aufwändigere, elastische Modelle direkt im Windkanal getestet werden (Bild 22).
4.1.2 Schnee
Der Ortsteil Schierke der Stadt Wernigerode liegt in der Schneelastzone 3 und südlich der norddeutschen Tiefebene. Dabei befindet sich der relevante Ortsteil knapp 600 m über dem Meeresspiegel und damit mehr als 350 m höher als die eigentliche Stadt Wernigerode (früher Landkreis Wernigerode). Es gehört also zu den Eigenheiten des Harzes, dass die charakteristischen Schneelasten innerhalb einer Stadt zwischen 1,1 kN/m² und mehr als 3 kN/m² variieren können (Bild 23).
Die anzusetzenden charakteristischen Lasten liegen damit circa 3,5-fach höher als im 70 km entfernten Wolfsburg (0,85 kN/m²).
4.2 Ausgangsgeometrie und Optimierung
Um möglichst hohe Kostensicherheit zu erreichen und potenzielle Einsparpotenziale auszuloten, wurden schon im Zuge der Vorplanung vertiefende Untersuchungen und Berechnungen am Dachtragwerk durchgeführt. Dabei ging es unter anderem um die Festlegung der später zu optimierenden Grundform des Randträgers und die Untersuchung der statischen Effizienz entwurfsverträglicher Lagerorte des Randträgers.
Ovale Grundrissformen können gegen den Eigenspannungszustand des Seilnetzes sehr gut eingestellt werden, haben aber Nachteile bei hohen äußeren Lasten, da sich das Kräfteverhältnis der Seilscharen stark ändert (Bild 24). Aufgrund der hohen Schneelasten und damit stark ausgelasteten Tragseilschar boten sich Parabelbögen als Ausgangsgeometrie an. Es sei aber angemerkt, dass diese Affinität durch die Steifigkeitseigenschaften des Seilnetzes und Randträgers teilweise aufgehoben wird.
Weiterhin muß das Verhalten unter asymmetrischen Lasten im Einzelnen untersucht werden, da jedes System hier unterschiedlich reagiert.
Als wirtschaftlichere Variante stellten sich letztlich die Parabelbögen heraus, die dann im Hinblick auf spätere Optimierung weiterverfolgt wurden.
Strukturoptimierung
Auf Grundlage der oben beschriebenen Voruntersuchungen wurde festgestellt, dass zum einen asymmetrische Lastfälle aus Schnee und Wind ernst zunehmenden Einfluss auf die Auslastung haben und zum anderen auch für symmetrische Lasten Optimierungspotenzial vorhanden ist.
Dies lässt vermuten, dass durch eine Formfindung der Randträgergeometrie noch leichtere und wirtschaftlichere Randträger als die Parabelbögen zu finden sind.
Die bislang reduziert beschriebenen Einflüsse auf die richtige Form des Daches in Schierke sind tatsächlich etwas vielfältiger, da die Variation der Randträgergeometrie allein nur Sinn macht, solange das Dach auch alle funktionalen Anforderungen erfüllt.
Beispielsweise beeinflussen Niveau und Verhältnis der Seilvorspannungen im Netz nicht nur den Randträger in seiner Form und Auslastung, sondern auch die Steifigkeit und Geometrie der Fläche selbst. Die Herstellung ausreichenden Gefälles, die Vermeidung von Wassermulden unter Schneelast oder des Druckausfalls in den Seilen und nicht zuletzt die Einhaltung des nötigen Lichtraumes unter dem Dach sind daher direkt vom physikalischen Gleichgewicht abhängig.
Um der Komplexität der Optimierungsaufgabe des Daches für verschiedene Lastfälle und Randbedingungen im Sinne maximaler Wirtschaftlichkeit gerecht zu werden, wurde im vorliegenden Projekt ein computergestützter Optimierungsalgorithmus angewendet, der ähnlich eines beschleunigten Evolutionsprozesses und unter Variation mehrerer Parameter viele verschiedene Systeme berechnet und sich über einen Vergleich der Bemessungsergebnisse automatisch dem Optimum minimaler Stahlmassen nähert.
Eine solche Vorgehensweise wird als Strukturoptimierung bezeichnet. Sie bedarf zwar gegenwärtig für die meisten Probleme noch deutlich längerer Rechenzeiten als für eine einfache Formfindung und Bemessung üblich ist, bringt jedoch zukünftig zahlreiche Vorteile mit sich. So stellen beispielsweise Formfindungsprobleme von Mischsystemen aus Druck- und Zugelementen oder Systemoptimierungen für stark komplementäre Lastszenarien, keine Einschränkung des Entwurfes mehr dar.
Das unverzichtbare Grundverständnis des Tragverhaltens und struktureller Abhängigkeiten fließt hierbei unter anderem in die Definition von Startwerten, Optimierungszielen, Abbruchkriterien und Effizienzkriterien ein. Diese genauer zu beschreiben würde den Umfang des Aufsatzes schnell sprengen. Daher sei nur kurz auf die entscheidenden Variationsparameter eingegangen.
Im Hinblick auf die eingebettete Bemessungssoftware (Sofistik AG) können die Strukturparameter beispielsweise wie in Tabelle 1 eingeteilt werden.
Im vorliegenden Fall werden hauptsächlich Variablen der Systemgeometrie (Randträgerspline, Seilnetz), das Eigengewicht des Randträgers, die Netzsteifigkeit und die Querschnittsabmessungen definierter Randträgerabschnitte variiert.
Wie weiter unten erläutert, wird die lokale Ausdünnung der Blechdicken dann im Anschluss an die globale Optimierung manuell nachgezogen.
Der Optimierungsalgorithmus wurde so programmiert, dass im automatisch ablaufenden Prozess ein neues Set an Parameterwerten erst nach Auswertung einer abgeschlossenen Bemessung über alle relevanten Lastfälle festlegt wird. Erst dann wird jeweils eine neue Berechnung mit neuen Strukturdaten angestoßen. Daher muss die finale Konfiguration der Randträgergeometrie ein Optimum für mehrere und teilweise sehr verschiedene Lastfälle darstellen. Die so gefundene Randträgerform entspräche (allgemeiner formuliert) nur noch in besonderen Ausnahmefällen dem Ergebnis der klassischen Formfindung für einen speziellen Lastfall.
Die Strukturoptimierung stellt also eine Erweiterung der Formfindung dar und kommt auch dann zu einem Ergebnis, wenn die perfekte Formfindung nicht zielführend oder sogar unmöglich ist.
Um den Einfluss eines einzelnen Parameters zu verdeutlichen, veranschaulicht Bild 25 den Einfluss einer Verdoppelung der Randträgerwichte auf dessen Geometrie. Obwohl hier das Gewicht drastisch erhöht wird, sinken die Vergleichsspannungen an maßgebender Stelle um etwa 15 %.
Optimiert man den Randträger für einzelne oder mehrere Lastfälle so zeigt sich der Effekt auf die Randträgergeometrie wie in Bild 26.
Bild 26a zeigt einfache, nicht-optimierte Parabelbögen. Das Seilnetz bildet hier eine Fläche gemäß dem gewählten Vorspannungszustand und führt so zu Biegung im Randträger. Die Randträgergeometrie in Bild 26b ist für das Eigengewicht und den entsprechenden Vorspannungszustand so eingestellt, dass quasi keine Biegung mehr existiert. In Bild 26c wurde eine Minimierung der Randträgermomente für verschiedene und teilweise gegensätzliche Lastszenarien durchgeführt, sodass ein Optimum im Sinne möglichst kleiner Biegemomente entsteht. Bild 26d fügt eine geometrische Randbedingung hinzu und zeigt den Einfluss einer Flächenbegrenzung der Sattelfläche für die gleichen Lasten wie in Bild 26c.
5 Fazit
Die Planung der Schierker Feuerstein Arena zeigt erneut, wie wichtig und entscheidend die frühen Planungsphasen für Tragwerke dieser Art werden können. Erfahrungswerte und tragwerksplanerisches Verständnis stellen eine unverzichtbare Grundlage in Vorplanung und Entwurf dar und ermöglichen einen fruchtbaren Dialog mit den Planungsbeteiligten. Umso mehr freut es, dass die große Überdachung auch aus wirtschaftlicher Sicht eine Punktlandung darstellt. Die Autoren bedanken sich bei den Architekten und beim Bauherrn für das Vertrauen und die gute Zusammenarbeit.
Am Projekt Beteiligte
Bauherr Stadt Wernigerode
Architektur GRAFT, Berlin
Tragwerksplanung schlaich bergermann partner
Bautechnische Prüfung Prof. Hartmut Pasternak, Braunschweig
Windkanal-Tests Wacker Ingenieure, Birkenfeld
Landschaftsplanung WES LandschaftsArchitektur
Bauüberwachung IGS Ingenieure GmbH & Co. KG
Ausführung Stahlbau Zeman & Co GmbH, Wien
Ausführung Membran Taiyo Europe GmbH, München
Ausführung Massivbau U&W GmbH mit STRATIE Bau GmbH
Literatur
[1] Schlaich, M.; Behnke, R. M.: Selbstverankerte Seilnetze – ein leichtes Dach in der Autostadt in Wolfsburg. In: Bauingenieur 89 (2014), Heft 6, S. 235–245.
Bild 1. Schierker Feuerstein Arena
Fig. 1. Schierker Feuerstein Arena
Dipl.-Ing. Ron Marten Behnke schlaich bergermann partner Brunnenstraße 110c, 13355 Berlin r.behnke@sbp.de
Prof. Dr. sc.techn. Mike Schlaich schlaich bergermann partner Brunnenstraße 110c, 13355 Berlin Technische Universität Berlin Fachgebiet Entwerfen und Konstruieren – Massivbau Gustav-Meyer-Allee 25, 13355 Berlin m.schlaich@sbp.de