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Betonbau 01.06.2017, 00:00 Uhr

Ermittlung der Materialkennwerte der Bewehrung für die Bemessung von textilbewehrten Bauteilen

Für die Bemessung von textilbewehrten Bauteilen sind Materialkennwerte für die Bewehrung erforderlich. Die bisherigen Untersuchungen erfolgten nicht einheitlich und waren sehr aufwendig. Aus diesem Grund wurde ein standardisierter Faserstrangzugversuch entwickelt, mit dem alle erforderlichen Materialkennwerte ermittelt werden können.

 

 

Foto: PantherMedia / bergamont

Hierbei sind lediglich Versuche an einem 160 mm langen Faserstrang notwendig, der aus der textilen Bewehrungsmatte herausgeschnitten wird. Ein Faserstrang besteht aus zusammengesetzten Rovings. Die Ergebnisse zeigen, dass die textile Bewehrung sich linear-elastisch verhält und die Werte der Bruchspannung näherungsweise normalverteilt sind. Diese Erkenntnisse werden genutzt, um die Bemessungsspannung und Bemessungsdehnung zu ermitteln sowie um den Teilsicherheitsbeiwert für die textile Bewehrung über eine Zuverlässigkeitsberechnung zu bestimmen.

1 Einführung

Die Nachfrage nach textilbewehrten Bauteilen ist in den letzten Jahren stark gestiegen [1]. Dies ist an den ausgeführten Bauwerken [2], [3] wie zum Beispiel der weltweit ersten Carbonbetonbrücke in Ebingen [4], erkennbar. Allerdings waren dafür aufwendige Tragfähigkeitsuntersuchungen notwendig, um von den Baubehörden die erforderlichen Zustimmungen im Einzelfall zu erhalten. Damit der innovative Werkstoff zukunftsfähig wird, werden Bemessungsmodelle benötigt, die für jeden Tragwerksplaner verständlich und anwendbar sind, sodass die aufwendigen experimentellen Tragfähigkeitsuntersuchungen entfallen können. Für die Biegebemessung wurde bereits ein vielversprechender Ansatz von Kulas und Rempel [5] vorgestellt, der sich von der herkömmlichen Berechnung eines Stahlbetonbauteils kaum unterscheidet. Der einzige Unterschied ist das Materialverhalten der Textilien. Im Gegensatz zum Stahl verhält sich die Carbon- oder AR-Glas-Bewehrung linear-elastisch ohne ein ausgeprägtes Fließplateau und hat eine 3-fach bis 7-fach höhere Bruchspannung. Für die Ermittlung der notwendigen Bemessungswerte der Bewehrung wurde ein standardisierter Versuch [6] entwickelt. Basierend auf diesem einfachen Faserstrangzugversuch können alle notwendigen Materialkennwerte ermittelt und dem Tragwerksplaner zur Verfügung gestellt werden. Neben der Bemessungsspannung und dem E-Modul lassen sich auch die erforderlichen statistischen Kennwerte zur Berechnung der Zuverlässigkeit der korrosionsbeständigen Bewehrung herausfinden. Erst damit kann die Versagenswahrscheinlichkeit errechnet und somit der notwendige Teilsicherheitsbeiwert angegeben werden.

In diesem Beitrag werden die Ergebnisse für ein epoxidharzgetränktes AR-Glas vorgestellt, die mit dem standardisierten Faserstrangzugversuch ermittelt wurden.

2 Versuchsdurchführung

2.1 Standardisierter Faserstrangzugversuch

Zur Ermittlung des Materialverhaltens wurde ein standardisierter Faserstrangzugversuch entwickelt. Bei der Konzipierung des Versuchsaufbaus, der in Bild 1 schematisch dargestellt ist, wurde auf die Reproduzierbarkeit und die Praxistauglichkeit geachtet.

Für den standardisierten Faserstrangzugversuch werden einzelne Faserstränge aus den getränkten und ausgehärteten Textilgelegen herausgeschnitten und geprüft (Bild 2). Das hat den Vorteil, dass die Einflüsse aus der Produktion der Gelege auf die Materialkennwerte bei der Prüfung berücksichtigt werden. Die Materialkennwerte eines einzelnen Filaments sind für die Bemessung nicht von Bedeutung. Der Faserstrang wird mit einer freien Prüflänge von 160 mm gezogen, dabei erfolgt die Lasteinleitung über Klemmbacken. Neben der Kraftmessung erfolgt die Aufnahme der Dehnung über eine Messlänge von 100 mm mit einem Dehnungsmessgerät. Während des Versuches kann es zu einem vorzeitigen Faserstrangbruch nahe der Lasteinleitung kommen. In solchen Fällen wird die Zugfestigkeit der Bewehrung nicht vollständig erreicht und der Einzelwert darf nicht bei der Auswertung berücksichtigt werden. Das Dehnungsmessgerät wird in den meisten Zugversuchen kurz vor dem Bruch entfernt, um Schäden an dem Aufnehmer zu vermeiden. Zur Bestimmung des E-Moduls ist es ausreichend die Dehnung bis circa 60 % der maximalen Bruchkraft zu messen, da die Bemessung nur in diesem Bereich stattfindet. Alternativ kann die Dehnungsmessung mit einem optischen Messgerät erfolgen. Allerdings ist die Auswertung in diesem Fall sehr aufwendig.

Dieser Versuchsaufbau darf nur für Faserstränge verwendet werden, bei denen die Kraftweiterleitung in den Filamenten durch die Tränkung erfolgt. Das ist bei epoxidharzgetränkten Textilien der Fall. Bei diesen vollständig getränkten Strängen werden die gleichen Bruchspannungen und E-Moduli sowohl im standardisierten Faserstrangzugversuch wie auch im Verbundbauteil erreicht (Abschnitt 3.3). Aus diesem Grund darf die Ermittlung der Materialkennwerte am reinen Strang mit einer Klemmvorrichtung erfolgen und anschließend auf ein Verbundbauteil übertragen werden. Bei ungetränkten oder nur teilweise getränkten Faserstränge erfolgt die Lastweitergabe durch die Reibung der inneren Filamente. Durch den Anpressdruck der Klemmbacken erhöht sich die Reibkraft, sodass mehr Filamente direkt am Lastabtrag beteiligt sind. Dadurch können im Faserstrangzugversuch im Vergleich zum Biegebauteil höhere Bruchspannungen im Textil erzielt werden.

Für die Ermittlung einer aussagekräftigen Verteilungsdichtefunktion der Textilspannungen wird eine hohe Anzahl an Faserstrangzugversuchen benötigt. Daher wurden zusätzlich weitere Ergebnisse von Industriepartnern verwendet. Dabei wurde darauf geachtet, dass die Versuchsdurchführung sich nicht unterschied. Die Ergebnisse können so in einer gemeinsamen Datenbank zusammengefasst werden.

2.2 Einfluss der Faserstranglänge

Um den Einfluss der Prüflänge des Faserstrangs zu untersuchen, wurde der standardisierte Faserstrangzugversuch verwendet. Dabei wurde die freie Prüflänge in vier Schritten vergrößert. Begonnen wurde mit 60 mm, gefolgt von den Längen 160 mm sowie 320 mm. Zum Schluss wurde die Bruchspannung für ein 640 mm langen Strang ermittelt.

 

Der vollständige Beitrag ist erschienen in:
Bauingenieur 6.2017, Seite 280-288

 

Literatur

[1] Hegger, J.; Voss, S.: Investigations on the bearing behaviour and application potential of textile reinforced concrete. In: Engineering Structures, Vol. 30 (2008), Iss. 7, pp. 2050-2056.

[2] Kromoser, B.; Ritt, M.: Optimierte Form aus Textilbeton am Beispiel der Grillmöbel „Donauwelle“. In: Bauingenieur 91 (2016), Heft 10, S. 425-433.

[3] Rempel, S. et al.: Filigrane Bauwerke aus Textilbeton – Leistungsfähigkeit und Anwendungspotenzial des innovativen Verbundwerkstoffs. Filigree Textile-Reinforced-Concrete constructions. In: Beton- und Stahlbetonbau, 110 (2015), Heft Supplement 1, S. 83–93.

[4] Helbig, T. et al.: Fuß- und Radwegbrücke aus Carbonbeton in Albstadt-Ebingen. Die weltweit erste ausschließlich carbonfaserbewehrte Betonbrücke. In: Beton- und Stahlbetonbau, 111 (2016), Heft 10, S. 676–685.

[5] Rempel, S.; Kulas, Ch.: Biegetragverhalten getränkter textiler Bewehrungselemente für Betonbauteile. In: Bauingenieur, 90 (2015), Heft 6, S. 248–251.

[6] Hinzen, M.: Prüfmethoden zur Ermittlung des Zugtragverhaltens von textiler Bewehrung für Beton. In: Bauingenieur 92 (2017), Heft 6, S. 289-291.

[7] Brameshuber, W.: Recommendation of RILEM TC 232-TDT: test methods and design of textile reinforced concrete. RILEM. März 2016.

[8] Plate, E.: Statistik und angewandte Wahrscheinlichkeitslehre für Bauingenieure. Ernst & Sohn Verlag. Bochum, 1993.

[9] Meyna, A.; Pauli, B.: Zuverlässigkeitstechnik. Quantitative Bewertungsverfahren. Hanser Verlag. März 2010.

[10] Rypl, R. et al.: A novel tensile test device for effective testing of high-modulus multi-filament yarns. In: Journal of Industrial Textiles, Vol. 44 (2015), Iss. 6, pp. 934–947

[11] Chudoba, R. et al.: Effect of Twist, Fineness, Loading Rate and Length on Tensile Behavior of Multifilament Yarns (A Multivariate Study). In: Textile Research Journal, Vol. 77 (2007), Iss. 11, pp. 880–891.

[12] JCSS: Probabilistic Model Code. ISBN 978–3–909386–79–6. 2001.

[13] DIN EN 1990: Grundlagen der Tragwerksplanung; Deutsche Fassung EN 1990:2002. Beuth Verlag. Berlin, 2010.

[14] Fischer, l.: Das neue Sicherheitskonzept im Bauwesen: Ein Leitfaden für Bauingenieur, Architekten und Studenten. In: Bautechnik 79 (2002), Heft 1, S. 61-62.

Von Dipl.-Ing. Sergej Rempel undProf. Dr.-Ing. Marcus Ricker

Dipl.-Ing. Sergej Rempel, Institut für Massivbau, RWTH Aachen Mies-van-der-Rohe-Str. 1, 52074 Aachen, srempel@imb.rwth-aachen.de

Prof. Dr.-Ing. Marcus Ricker M.Sc., Hochschule Biberach, Karlstraße 11, 88400 Biberach, ricker@hochschule-bc.de