Hafenbrücke Neuss – Tragwerksplanung einer Stahlbogenbrücke unter Berücksichtigung dynamischer Fragestellungen
Baustahl als Werkstoff mit einer hohen Festigkeit und im Vergleich zu Stahlbeton geringen Masse erlaubt die Konstruktion kompakter und schlanker Bauwerke. Neben statischen Fragestellungen, zur Knick- und Beulsicherheit, rücken für diese Bauwerke aufgrund ihrer vergleichsweise geringen Masse häufig auch dynamische Fragestellungen zur Schwingungsanfälligkeit in den Fokus.
Für die Hafenbrücke Neuss, als schlanke Mittelträgerbogenbrücke aus Stahl mit einer Spannweite von 100 m, konnte bereits innerhalb der Entwurfsplanung eine Schwingungsanfälligkeit des Bauwerks gegenüber Wind- und Fußgängeranregung festgestellt werden. Eine dynamische Anregung des Bauwerks durch diese Belastungen wurde innerhalb der weiterführenden Planung detailliert untersucht. Hierauf aufbauend konnte durch verschiedene Gegenmaßnahmen, wie der Installation von Schwingungstilgern und der konstruktiven Verstärkung des Bogens, die Gebrauchstauglichkeit und Tragfähigkeit des Bauwerks für dynamische Einwirkungen sichergestellt werden. Dynamische Messungen am Bauwerk belegen die Wirksamkeit der durchgeführten Maßnahmen und gewährleisten den Nutzern des Bauwerks den nötigen Komfort. Im Neusser Hafen wurde durch das Bauwerk ein neues Wahrzeichen geschaffen, welches Hafen und Stadt näher aneinander rückenlässt sowie Passanten zum Überqueren der Hafenmole und zum Verweilen oberhalb des Wassers einlädt.
1 Einleitung
Der Neusser Hafen ist ein Industriehafen mit fünf Hafenbecken und stellt für die Stadt einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar. Seit dem Weggang des amerikanischen Traktorenherstellers Case International im Jahr 1997 lag im Neusser Hafen ein 70.000 m2 großes Areal auf der Hafenmole 1 brach. Diese Hafenmole wird zur Stadtseite im Westen durch das Hafenbecken 1 und östlich zu den bestehenden Industrieflächen durch das Hafenbecken 2 begrenzt.
Die Revitalisierung der Hafenmole 1 bietet für die Stadt Neuss städtebauliche Chancen und Impulse. So wird gemäß dem städtischem Masterplan der vorhandenen und künftigen Bebauungen entlang des Hafenbeckens 1 an der Batteriestraße und Rheintorstraße durch einen vorgelagerten Insel- und Uferpark auf der Hafenmole 1 entsprochen. Die sich dahinter angrenzenden industriellen Nutzflächen werden zur Stadtseite durch Verwaltungsgebäude abgegrenzt.
Im Juli 2012 wurde verkündet, dass die Firma Pierburg im Neusser Hafen neue Produktions- und Verwaltungsstätten auf dem ehemaligen Case-Gelände errichten wird. Somit ist zur öffentlichen Erschließung des Insel- und Uferparks und zur fußläufigen Anbindung der Industrieflächen eine Fußgängerbrücke über das Hafenbecken 1 zu planen.
Die neue Brücke stellt kurze, attraktive Verbindungen zwischen dem Neusser Stadtzentrum zu dem neuen Park sowie den angrenzendem Werksgelände her.
2 Entwurfsidee
Die Lage der Brücke folgt der Achse der Collingstraße. Unter Freihaltung und Überbrückung der Hafenpromenade und dem Hafenbecken 1 resultiert eine Spannweite von circa 100 m. Das Brückenbauwerk ist als reine Fußgängerbrücke ausgelegt und die Anbindungen behindertengerecht zu planen.
Das Hafenbecken 1 im Neusser Hafen ist Fluchthafen der Rheinschifffahrt. Hierdurch werden lichte Durchfahrtshöhen von 9,10 m über dem höchsten schiffbaren Wasserstand gefordert. Da Planungen zu beweglichen Brückenkonstruktionen infolge erhöhter Betriebskosten verworfen wurden, war die Höhenlage des feststehenden Brückendecks auf einer NN – Höhe von 43,41 mNN fixiert. Die Brücke quert das Hafenbecken in Hochlage und wird somit von weitem sichtbar.
Infolge der Hochlage wird das Brückenbauwerk das Stadtbild im Neusser Hafen nachhaltig verändern und neu prägen. Daher soll die Brücke die bisherige Trennung von Stadt- zum Hafengebiet mit einem filigranen und eleganten Brückenschlag aufheben.
Der Bogen als Tragelement entsprach den Ideen. Zudem bevorzugt die Symmetrie der Bogenkonstruktion keines der beiden Ufer und löst somit den bisherigen, bestehenden Konflikt in einer eleganten Form auf. Das Tragwerk ist durch die Mittelträgerbrücke bei einer Spannweite von circa 98,5 m minimiert und besticht durch die Filigranität und Transparenz der Konstruktion. Die neue Brücke soll als zentraler Solitär der Anziehungspunkt im Hafen werden.
3 Bauwerk
3.1 Allgemeine Beschreibung
Die Tragkonstruktion des Brückenüberbaus stellt eine einfeldrige als Stabbogenbrücke konzipierte Mittelträgerkonstruktion in Stahlbauweise mit einer Spannweite von circa 98,5 m dar. Infolge der freizuhaltenden schiffbaren, lichten Durchfahrtshöhe von 9,10 m über dem höchsten schiffbaren Wasserstand ist die in Hochlage angeordnet. Die Brücke lagert auf sogenannten Auflagertischen, welche in die tiefgegründeten Unterbauten einbinden.
Die Erschließung am westlichen Brückenende erfolgt über eine Rampenkonstruktion, die in die zukünftige Hochbebauung auf der in Richtung Stadt gelegenen Hafenseite integriert wird. Der Zugang zum Brückendeck erfolgt hier über eine freitragende Treppenkonstruktion aus Stahl in S 355 und über einen zusätzlichen Aufzugsturm, der die Barrierefreiheit sicherstellt.
Am östlichen Brückenende werden die Anbindungen über Treppenkonstruktionen und einer behindertengerechten Rampe, die über eine Krümmung im Grundriss mit einem Radius R = 15,67 m nahezu parallel zum Hafenbecken geführt wird, realisiert.
Ein Befahren der Brücke ist weder planmäßig vorgesehen noch unplanmäßig möglich.
3.2 Auflagertische
Die Bogenbrücke lagert auf beiden Seiten des Hafenbeckens auf Auflagertischen mit Außenabmessungen von 5,70 m2 x 4,78 m² auf.
Im Westen besteht die Tragkonstruktion im Zentrum aus vier Stahlstützen in den Abmessungen 20 cm x 40 cm und einer nicht tragenden Betonummantelung in einer Stärke von 15 cm. Am Anschluss zur Deckenkonstruktion wird eine 2 cm dicke Fuge zwischen der Betonummantelung und den Randträgern ausgeführt. Diese wird mit einem dauerelastischen Fugenverguss geschlossen. Der Anschluss der Stahlstützen in die Unterbauten erfolgt über Ankerbolzen.
Die Deckenkonstruktion wird biegesteif an die Stahlstützen angeschlossen. Längs zur Brücke erfolgt der Anschluss über zwei torsionssteife, luftdicht verschweißte Stahlträger in S 355, die über Kopfbolzendübel mit der Betondecke einen Verbund herstellen. Quer zur Brücke sind Randträger in Beton ausgebildet. Der biegesteife Anschluss erfolgt in dieser Richtung über mit Kopfbolzendübeln versehenden Stahl-Einbauteilen.
Der vollständige Beitrag ist erschienen in:
Bauingenieur 3.2016, Seite 95-102
Literatur
[1] DIN e. V. (Hrsg.): Normen-Handbuch Eurocode 1 – Einwirkungen. Band 1: Grundlagen, Nutz und Eigenlasten, Brandeinwirkungen, Schnee-, Wind-, Temperaturlasten. Beuth Verlag, Berlin, 2013.
[2] DIN e. V. (Hrsg.): Normen-Handbuch Eurocode 3: Stahlbau. Band 3: Brücken. Beuth Verlag, Berlin, 2013.
[3] HIVOSS – Human induced Vibrations of Steel Structures: Leitfaden für die Bemessung von Fußgängerbrücken, Research Fund for Coal & Steel, 2008.
[4] Bachmann, H. et al.: Vibration Problems in Structures. Birkhäuser Verlag, Zürich, 1997.
[5] Nagel, T.; Bösinger, R.: Fachgutachten Windbetrachtungen/Durchlüftungen und Besonnung/Beleuchtung und Bebauungsplan Nr. 5477/123 – KÖ-Bogen (1. Bauabschnitt) der Landeshauptstadt Düsseldorf, Ingenieurbüro Lohmeyer, 2006.
Dipl.-Ing. Andreas Bach
Dipl.-Ing. Peter Sprinke, Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft Sankt-Franziskusstraße 148, 40470 Düsseldorf
abach@schuessler-plan.de
psprinke@schuessler-plan.de
Dr.-Ing. Alexandra Wehnert-Brigdar, Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft Hauert 12, 44227 Dortmund
AWehnert-Brigdar@schuessler-plan.de