Kreislauf-Pass und Materiallisten machen Cradle-to-Cradle-Bauen konkreter
Das Cradle to Cradle-Prinzip ist nicht neu, aber viel mehr als einzelne Leuchtturmprojekte gibt es nicht. Das soll sich nun ändern, auch durch eine Software, die Building Information Modeling mit Computer-aided Design verbindet.
Erstmals lassen sich nun Immobilien-Ökobilanzen durch automatisierte Datenverarbeitung berechnen. Dazu entwickelt das IT-Unternehmen Die Werkbank IT GmbH zusammen mit der EPEA GmbH den BIM-basierten „Building Circularity Passport“. Der BCP soll Planern, Bauherren und Investoren unmittelbar Auskunft über den CO2-Fußabdruck, die Recyclingfähigkeit oder den verbauten Rohstoffrestwert des Gebäudes geben. Mit dem BCP lässt sich nach Angaben der Unternehmen bereits in der Planungsphase eines Gebäudes schnell herausfinden, wie sich die verwendeten Baustoffe auf die Ökobilanz auswirken. Bisher seien dafür aufwendige Berechnungen nötig gewesen.
Kreislauffähiges Design-Prinzip macht Materialwerte sichtbar
Der Building Circularity Passport dient als Planungs- und Dokumentationsinstrument, um gemeinsam mit Architekten, Fachplanern, ausführenden Firmen und Herstellern die Kreislauffähigkeit von Immobilien und damit den Ressourceneinsatz zu bewerten. Bei abgeschlossenen Bauprojekten liefert er zusätzlich detaillierte Informationen darüber, welche verwendeten Materialien sich einfach trennen lassen und welche chemische Zusammensetzung die verbauten Produkte besitzen. Auch die monetären Werte der verbauten Konstruktionen in den Gebäuden lassen sich damit ermitteln.
Die Daten und Algorithmen für den digitalen Abgleich in den CAD-Programmen stellt EPEA (Environmental Protection Encouragement Agency) bereit, die über langjährige Erfahrung in der Bewertung von Produkten nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip (C2C) und nach der Life Cycle Assessment-Methode (LCA) verfügt. Zudem hat das Unternehmen Wissen über die Kreislauffähigkeit von Baustoffen und -produkten und deren ökologischen Fußabdruck gesammelt.
Lebenszyklus einer Immobilie digital erfasst
Die Werkbank IT GmbH stellt mit ihrer BIM-Infrastruktur BIM & More die Technologie, durch die sich diese Produktinformationen in einen Digital Twin (digitalen Zwilling) übertragen und auswerten lassen. Durch die Kombination der beiden Kompetenzen können Architekten und Fachplaner sich nun per Mausklick in CAD-Software einen Building Circularity Passport ihres Digital Twins ausweisen lassen und die Produktstruktur anpassen, um das Ergebnis zu verbessern.
Die CO2-Emissionen aus der Betriebsphase machen bei heutigen Neubauten Schätzungen zufolge nur noch weniger als 60 Prozent der gesamten Ökobilanz eines Gebäudes aus. „Herstellung, Errichtung, Entsorgung beziehungsweise Recycling sind bisher im Energieausweis (GEG) unberücksichtigt. Diesen verengten Blick wollen wir aufbrechen, indem wir den gesamten Lebenszyklus der verwendeten Materialien in den Planungsprozess aufnehmen”, erklärt Dr. Peter Mösle, Geschäftsführer bei EPEA.
Bilanzwerte mit digitaler Planung durch Variantenvergleiche verbessern
Geringe CO2-Emissionen und kreislauffähige Materialverwendungen seien inzwischen wesentliche Faktoren für die Sicherheit von Investments – vor allem, weil der EU Green Deal dies an vielen Stellen einfordert. Um die Transparenz in Bezug auf den kompletten Lebenszyklus zu ermöglichen, sind valide Daten und einfache Tools essenziell. Mösle: „Je früher aufbereitete Umweltdaten in der Planung verfügbar sind, desto besser. Denn: In frühen Leistungsphasen können Architekten und Fachplaner noch Variantenvergleiche zur Bauweise und zum Materialeinsatz durchführen – dies muss für den Anwender jedoch sehr einfach sein.“ Damit könne der ökologische Fußabdruck mit LCA-Analysen immens reduziert werden.
Gleichzeitig werde der finanzielle Rohstoffrestwert durch das C2C-Designprinzip erhöht, indem zum Beispiel auf trennbare Fügetechniken oder Wiederverwertbarkeit von gewählten Bauprodukten geachtet wird. Hierbei sei entscheidend, dass sowohl generische Daten als auch produktspezifische Daten der Hersteller jederzeit verfügbar sind. Ein Vertrag zwischen Die Werkbank IT GmbH und der EPEA GmbH mache es nun mithilfe des Plug-ins BIM & More möglich, bereits 2015 von EPEA eingeführten Building Circularity Passport nun auch im BIM-Modell für alle Architekten und Planer bereitzustellen.
Verbindung zwischen der CAD- und BIM-Welt
„Bisher war noch keine Kalkulation in CAD-Planungsprogrammen möglich und der Berechnungsprozess hat viel Zeit in Anspruch genommen, da er nicht automatisiert war”, erklärt Matthias Uhl, Geschäftsführer des BIM-Unternehmens Die Werkbank IT GmbH, die mit der SaaS-Anwendung BIM & More Orchestra die BIM-Transformation in der Baustoffindustrie forcieren will.
Im Zuge der Kooperation mit EPEA werden die ökologisch relevanten Daten zusammen mit Produktinformationen der Datenbank BIM & More Harmony über ein Plug-in in der digitalen Planungsumgebung zugänglich gemacht.
Cradle-to-Cradle-Initiative von Cradle One, EPEA und 81fünf
Die Idee, alles so herzustellen und einzusetzen, dass dadurch ein positiver Fußabdruck entsteht, fasziniert auch besonders beim Bau mit Holz. Auch dort wurden bisher vor allem einzelne Cradle-to-Cradle-Leuchtturmprojekte umgesetzt. Ein umfassendes Konzept, das eine neue, kreislauffähige Bauweise definiert, fehlte bisher, meint die Cradle One GmbH aus Lüneburg. Daher haben nach Angaben des Unternehmens einige Architekten, Landschaftsplaner, Gebäudetechniker, Holzbauingenieure und Holzbau-Unternehmen nun gemeinsam ein ganzheitliches Konzept entwickelt, um ihre Bauvorhaben als Cradle-to-Cradle-Gebäude umsetzen zu können.
„Erstmals ist es gelungen, dass wir Anforderungen und Lösungen für alle wichtigen Bereiche in einem Konzept zusammengeführt haben. Jetzt haben wir einen Masterplan für jede Art von Projekten“, freut sich Klaus Zahn, der zum 7-köpfigen Kernteam von Cradle One gehört und Cradle-to-Cradle-Architekt der ersten Stunde ist.
Im Kernteam vertreten sind auch Prof. Michael Braungart, Landschaftsarchitekt Wolf Ahner, Ingenieur Marius Bohne sowie Partner aus dem Netzwerk der 81fünf, einem Netzwerk mit bundesweit über 80 Zimmereien und Holzbaubetrieben. Der verbindendende Gedanke: Zukunfts- und kreislauffähiges Bauen lässt sich nur mit einer interdisziplinären Herangehensweise und durch konsequentes Umdenken erreichen.
Bauwende durch richtige Bauweise mit vorhandenen Ressourcen
„Wir dürfen uns einfach nicht mehr länger damit abmühen, wie wir mit einer falschen Bauweise möglichst wenig Ressourcen verschwenden“, erklärt der Pionier des Cradle-to-Cradle-Prinzips Braungart. „Wir sollten unsere Kraft darauf lenken, wie wir mit der richtigen Bauweise vorhandene Ressourcen erhalten.“ Das von Braungart aufgebaute EPEA-Netzwerk hat Listen mit Baumaterialien für Cradle One zusammengestellt, die für Mensch und Umwelt grundsätzlich geeignet sind.
Doch die Materialwahl sei nur ein Aspekt. Zusammen mit Stadt- und Projektentwicklung, Architektur, Freiraumgestaltung, Gebäudetechnik und Fertigungsweisen entstehe eine Einheit, die vollständig auf den Cradle-to-Cradle-Gedanken ausgerichtet ist. „Cradle One ist in seiner Ganzheitlichkeit und Konsequenz einzigartig“, erklärt Thomas Elster Geschäftsführer von Cradle One und Vorstand des 81fünf-Netzwerks. Damit erhalte die Diskussion um eine nachhaltige Entwicklung im Baubereich einen starken inhaltlichen Schub, nachdem Ökologie und Nachhaltigkeit von immer mehr Akteuren als eher oberflächliches Werbeversprechen eingesetzt und die Begriffe immer profilloser wurden.
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