Wie kam es zum Großbrand in Essen?
Eine – wie oft angenommen – Dämmung aus Polystyrol kann als Ursache für die rasche Ausbreitung des Brands nicht verantwortlich sein, da das Gebäude in der Bargmannstrasse mit unbrennbarer Mineralwolle gedämmt war. Außer dem zu dieser Zeit dort wütenden Sturmtief „Antonia“ scheinen die an und auf den Balkonen verwendeten Baustoffe eine Rolle gespielt zu haben.
Bei dem Essener Großbrand vom 21. Februar 2022 an einem 4-geschossigen Mehrfamilienhaus mit in der Bargmannstrasse gibt es wieder Mutmaßungen über eine Brandbeteiligung von Fassadendämmstoffen. Dies war schon einmal beim Grenfell-Tower in London so, wo in Deutschland Polystyroldämmung verantwortlich gemacht wurde, obwohl keines an der Fassade verbaut war. So auch hier in Essen, wo die Fassade mit unbrennbarer Mineralwolle gedämmt war, wie Dipl.-Ing. Werner Eicke-Hennig vom Energieinstitut Hessen betont. Das Frankfurter Unternehmen setzt sich für Maßnahmen zum Energiesparen ein.
Der Brand zeigt nach Angaben von Eicke-Hennig, dass es bei Bränden auf viele Faktoren ankommt, man könne den Brandverlauf nicht auf die Bedeutung eines einzigen Baumaterials reduzieren. Anhand der in den sozialen und öffentlichen Medien kursierenden Filmen und Fotos zeige sich „eindrücklich, mit welcher Intensität sich das Brandgeschehen ‚vor‘ der Fassade auf den Balkonen“ abgespielt habe. Man sehe auf den Bildern, dass alle hinter den Balkonen liegenden Wohnungen brennen und alle Fensteröffnungen zerstört sind. So seien beispielsweise links im Bild Reste der weißen PVC-Balkonbekleidung zu erkennen, deren brennbare Masse laut Eicke-Hennig der Sturm verspritzte und die auch flüssig vor dem Haus brannte.
Wichtige Faktoren bei der Suche nach der Brandursache
Eine Woche nach dem Löscheinsatz der Feuerwehr zeichnen sich nach Angaben des Energiefachmanns folgende Fakten ab:
- Youtube-Filme und Zeitungsberichte zeigen, dass die Gebäudefassade nicht mit Polystyrol, sondern mit unbrennbarer Steinwolle gedämmt war; der Dämmstoff sei erhalten.
- Die wichtigste Ursache für den heftigen infernoartigen Brandverlauf sei der morgendliche Sturm gewesen. Am Morgen des Brandes herrschten Sturmbedingungen, Wind sorgte für Sauerstoff und riss die Flammen in alle Richtungen.
- Das Dämmsystem sei überwiegend ein Wärmedämmverbundsystem.
- Die Balkonbrüstungen seien waagerecht mit PVC-Platten umlaufend bekleidet gewesen, hinzu kamen Balkontrennwände und senkrecht angeordneter PVC-Fassadenschmuckelemente, die sich stark am Brand beteiligten. Die Platten seien nahezu komplett verbrannt. Herumspritzende brennendes Material und die brennende Masse vor dem Haus stammen wahrscheinlich von dieser Verkleidung.
- Der Fußboden der umlaufenden Südbalkone brannte nach dieser Einschätzung über drei Geschosse in voller Ausdehnung. Er bestand nach Angaben von Eicke-Hennig „wahrscheinlich“ aus Holz (eine Einschätzung, die die Feuerwehr Essen auf Nachfrage der Redaktion Bauingenieur allerdings nicht bestätigen wollte), „auf jeden Fall aus einem brennbaren Material“. Bei etwa 90 Meter Hauslänge und etwa 1,20 Meter Balkonbreite sowie drei Balkonetagen errechnet Eicke-Hennig mehr als 10 Kubikmeter Brennholz „in luftiger Anordnung, direkt vor den Fenstern“. Der Fußboden sei völlig abgebrannt. Möglicherweise haben sich auch private Einbauten, Balkonmöblierung und brennbare ausgelagerte Materialien am Brand auf den Balkonen beteiligt.
- Die Fassade bestehe im Wesentlichen aus Fenstern und raumhohen Fenstertüren. Der hohe Verglasungsanteil von rund 60 Prozent der Fassadenfläche sei eine der Ursachen dafür, dass die Flammen vom Balkon schnell über die zerborstenen Scheiben in die Wohnungen vordrangen, was wiederum die Brandausbreitung über alle Stockwerke und die gesamte Hauslänge beschleunigte.
Vorläufiges Resümee der Schwachpunkte: Auch an „unbrennbaren“ Fassaden gibt es Brandrisiken
Die komplette Zerstörung der Wohnanlage geht nach Einschätzung von Eicke-Hennig somit hauptsächlich auf folgende Schwachpunkte zurück:
- Brennbare Balkonfußböden und PVC-Bekleidungen,
- große Fensterflächen und
- alles verstärkend: der orkanartige Wind.
Sehr schnell nach dem Brand sei über brennendes Polystyrol spekuliert worden. „Auf den Begriff ‚Wärmedämmverbundsystem‘ erfolgt in Deutschland schon reflexhaft der Gedanke an brennendes Polystyrol“, merkt Eicke-Hennig an, „eine negative Konditionierung. Selbst die Feuerwehr Essen wurde bewusst falsch zitiert und stellte richtig, es handele sich um Mineralwolle auf der Fassade.“
Die richtige Lehre aus dem Brand ist nach seiner Ansicht: „Auch bei einer unbrennbaren Fassade sind die Brandrisiken nicht gleich Null, wenn vor Gebäuden große Brandlasten brennen.“ Dies habe sich auch 2019 beim Brand eines Mehrfamilienhauses in Kaiserslautern gezeigt. Der völlig ungedämmte Altbau sei durch einen Brand vor dem Haus zerstört worden. „Für den Brandverlauf trug allein der Brand des Gartenhauses samt Inventar die Verantwortung“, heißt es in dem Brandbericht des Energieinstitut Hessen zum „Referenzbrand Kaiserslautern“.
Bericht der Feuerwehr Essen
Im Bericht der Feuerwehr Essen zum Brand im Westviertel hatte es geheißen: „Das im Viertelkreis errichtete Gebäude (Fassadenlänge innen etwa 65 Meter) mit viereinhalb Geschossen ist mit einer Wärmedämmverbundfassade ausgestattet. Die Balkone haben eine vorgehängte Kunststoffbekleidung und ebensolche Abtrennungen untereinander. Das Feuer lief, durch den Wind beschleunigt, an der Fassade hoch und zur linken Seite weg, drang über geborstene Fensterscheiben in die Wohnungen ein, zerstörte dort alles und ließ auf der Außenfassade (Fassadenlänge rund 80 Meter) ebenfalls Scheiben bersten. Auch hier kam es zu erheblichen Schäden an der Fassade. Selbst an 15 Metern entfernt stehenden Gebäuden ließ die Wärmestrahlung Rollläden schmelzen und Scheiben bersten.“
Wann die offiziellen Ermittlungen abgeschlossen sein werden, konnte die Feuerwehr Essen auf Nachfrage am 28. Februar 2022 noch nicht sagen.
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