Baustoff-Kostenfalle mit Gleitklauseln vermeiden
Die aktuelle Rohstoffknappheit führt dazu, dass bei Auftragsvergaben besondere Vorsicht nötig ist. Denn in öffentlichen Vergaben ist es üblich, Pauschalpreise von den Bietern zu verlangen.
Die rasante Preisentwicklung, die sich in täglichen Preisänderungen niederschlägt, benachteiligt bei einem Pauschalpreisvertrag derzeit nur den Auftragnehmer: „Steigende Preise hat er allein zu tragen“, sagt Sven Häberer, Rechtsanwalt bei der Berliner Kanzlei Müller Radack Schultz. Und: „Öffentliche Auftraggeber sind sich ihrer Marktmacht regelmäßig bewusst.“
Möglichst Material- oder Stoffpreisgleitklauseln vereinbaren
Letztendlich können aber beide Seiten verlieren: Der Auftraggeber profitiert zwar von einem Festpreis – aber nur theoretisch. „Um überhaupt Angebote zu bekommen und eine Überschuldung des Auftragnehmers zu vermeiden, die zu einem Ausfall der Leistung führen kann, muss auch der Auftraggeber bereit sein, zweckmäßige Ausschreibungsbedingungen zu vereinbaren“, appelliert Häberer an die Vernunft der Öffentlichen Hand.
„In öffentlichen Ausschreibungen sollten Material- beziehungsweise Stoffpreisgleitklauseln vereinbart werden, die nach Zuschlag Vertragsbestandteil werden“, rät Häberer daher. „Sie ermöglichen dem Auftragnehmer, Marktentwicklungen an den öffentlichen Auftraggeber weiterzugeben.“ Allerdings habe man den Eindruck, dass Zeit für die öffentlichen Auftraggeber nicht die gleich wichtige Rolle spielt, wie in der freien Wirtschaft. Sie seien deshalb eher geneigt, „normale“ Ausschreibungen vorzubereiten und Stoffpreisgleitklauseln auszusparen.
Bundesbehörden müssen entgegenkommender sein
Ein Erlass des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat aus dem Mai 2021 richtet sich an öffentliche Auftraggeber des Bundes und weist (nur) diese an zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Vereinbarung einer Stoffpreisgleitklausel vorliegen. Bundesauftraggeber sind danach gehalten, vor Ausschreibungen zu prüfen, ob für bestimmte für den Auftrag benötigte „Stoffe“ Eintragungen im Güterverzeichnis des Statistischen Bundesamtes enthalten sind und ob diese starken Schwankungen unterliegen. Sodann soll die im Formblatt 225 des VHB (Vergabe- und Vertragshandbuch des Bundes) aufgenommene Stoffpreisgleitklausel vereinbart werden.
Stoffpreisgleitklausel rechtzeitig ins Spiel bringen
Bei den Landes- und kommunalen Auftraggebern gilt diese Aufforderung jedoch nicht. Sie sollten deshalb zur Vermeidung unnötiger Ausschreibungen mit Festpreisen rechtzeitig, in jedem Fall aber rechtzeitig vor Angebotsabgabe, von den Auftragnehmern auf Engpässe in Bezug auf konkrete Stoffe hingewiesen und an die Möglichkeit der Stoffpreisgleitklausel erinnert werden. „Von Kommunen habe ich erfahren, dass dort oftmals Unsicherheit darüber besteht, welche ‚neuralgischen‘ Stoffe aus Bauaufträgen im Einzelfall hervorgehen können“, erläutert Häberer.
Die Stoffpreisgleitklauseln sollen aber zielgerichtet auf die Stoffe mit den größten Schwankungen ausgerichtet werden. „Hilfreich wäre aus meiner Sicht deshalb nach Kenntnis einer Ausschreibungsabsicht sogleich den potenziellen Auftraggeber auf die Problembereiche bei der Auftragsdurchführung hinzuweisen“, rät er. „Ungeachtet der Preisentwicklung sollte darüber hinaus auf die mitunter sehr ausgedehnten Liefer- und Produktionszeiten für bestimmte Stoffe hingewiesen werden, um realistische Auftragsdurchführungszeiten zu erhalten und Vertragsstrafen zu vermeiden.“
Keine übertrieben harten Bedingungen akzeptieren
Ist abzusehen, dass der Auftraggeber auf diese Anregungen nicht eingeht und an einem Pauschalfestpreis, engen Zeitvorgaben für die Leistungserbringung und womöglich hohen Vertragsstrafen für Verspätungen festhält, sollte intensiv überlegt werden, ob dieser Auftrag wirklich erstrebenswert ist. „Auch wenn ich feststelle, dass Kommunen inzwischen vermehrt bereit sind, auf Vertragsstrafen zu verzichten oder Bauzeitverlängerungen zu bewilligen, so gibt es hierzu keine vertragliche Pflicht für die Auftraggeber“, ist die Erfahrung des Berliner Rechtsanwalts.
Bei Landes- und kommunalen Auftraggebern vor Angebotsabgabe „Aufklärung“ einfordern
Konkrete Formulierungsvorschläge für Auftragnehmer im Verhältnis zu öffentlichen Auftraggebern empfehlen sich nicht. Die Auftragsbedingungen werden dort jeweils vom öffentlichen Auftraggeber vorgegeben. Änderungen an den Vergabeunterlagen sind unzulässig und führen regelmäßig zum Ausschluss aus dem Vergabeverfahren.
Auftragnehmer können und sollten aber im Rahmen der Ausschreibung – zwingend vor Angebotsabgabe – Aufklärung darüber verlangen, warum keine Stoffpreisgleitklausel in den Vertragsbedingungen aufgenommen ist, sofern sie fehlt. Der Auftraggeber ist dann gehalten, seine Beweggründe für alle Bewerber gleichermaßen zu erläutern.
„Wegfall der Geschäftsgrundlage“ taugt wohl nicht als juristische Begründung
Eine andere Möglichkeit, Nachteile aus Verträgen in der aktuellen wirtschaftlichen Situation mit ihren volatilen Baustoffpreisen zu vermeiden, sei kaum vorstellbar, so Häberer. Denn das Vergaberecht lässt die Bindung an Preise für nur wenige Tage oder ein sogenanntes „freibleibendes Angebot“ nicht zu.
„Auch das Rechtsinstitut des ‚Wegfalls der Geschäftsgrundlage‘, das als Weg für eine Vertragsanpassung herangezogen werden könnte, wird aller Voraussicht nach scheitern“, führt Häberer abschließend aus. Denn der Bundesgerichtshof hänge die Hürden für den Wegfall der Geschäftsgrundlage sehr hoch. „Preissteigerungen werden hier nur bei ganz gravierenden Größenordnungen zur Vertragsanpassung oder gar zur Vertragsaufhebung führen.“
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