Die vier wichtigsten Bautrends 2023
Sind das die wichtigsten Entwicklungen für 2023 in der Baubranche? Wir fassen einige Studien und Stimmen aus der Branche zusammen.
Der Trendreport des Software-Unternehmen Capmo für das Baujahr 2023 neun Trends auf (siehe unten), die uns allerdings nicht alle gleich substanziell erscheinen. Wir sehen – auch auf Basis anderer Quellen – zum Jahreswechsel vor allem vier wichtige Entwicklungen:
1. Aufschwung trotz Abschwung – falls die Politik wirksam gegensteuert
Felix Leiss, Fachreferent beim Ifo-Institut, macht im Capmo-Trendreport zur Baukonjunktur darauf aufmerksam, dass die rückläufige Nachfrage zur Herausforderung im Jahr 2023 werden wird. Um gegenzusteuern, müsste der Neubau attraktiver werden. Ein Mittel können Förderungen sein.
Tim-Oliver Müller, Geschäftsführer beim Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB), stimmt zu: „In Krisenzeiten braucht es vor allem ein eindeutiges politisches Bekenntnis für den Wohnungsneubau.“
Das hatten der HDB und 16 weitere Verbände und Kammern bereits Anfang Dezember in einem gemeinsamen Appell an die Bundesregierung zum Ausdruck gebracht. „Schnellere Projektrealisierungen und Innovationen am Bau dürfen nicht durch ein Zuviel an Regulierung und Formalismen ausgebremst werden“, forderte Dr.-Ing. Heinrich Bökamp, Präsident der Bundesingenieurkammer, in diesem Zusammenhang. „Eine gesunde Portion Pragmatismus und die Schaffung der notwendigen Rahmenbedingungen sind jetzt unerlässlich.“
Tatsächlich war zum Jahresende 2022 kein Rückenwind für den Bau zu spüren: „Insbesondere der Wohnungsbau ist fast zum Erliegen gekommen. Hier wird ein reales Umsatzminus von 12,1 Prozent gemeldet“, kommentierte Müller kurz vor Weihnachten die aktuellen Konjunkturindikatoren für die Bauwirtschaft. Für die ersten zehn Monate werde damit ein reales Minus von 5,3 Prozent ausgewiesen. „Unsere bisherige Umsatzprognose von minus 5 Prozent für das laufende Jahr könnte somit obsolet sein“, warnte er im Hinblick auf die für Januar angekündigte neue Einschätzung des Verbands für 2022.
Natürlich ist Wohnungsbau nicht alles – es wird ebenfalls interessant sein zu sehen, wie beispielsweise Infrastrukturbauprojekte sich entwickeln. Aber auch da spielt die öffentliche Hand eine gewichtige Rolle.
2. Nachhaltiges Bauen bleibt auf der Tagesordnung
Trotz der Bemühungen, günstiger zu bauen, steht das Thema Nachhaltigkeit weit oben auf der Trend-Liste für 2023. Ein Widerspruch? „Nein“, sagt Dr. Ing. Stephan Anders von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen DGNB. „Ich denke, dass sich der Fokus vom Neubau hin zur energetischen Sanierung verschiebt.“ Wenn neu gebaut werde, dann mit hohem Nachhaltigkeitsanspruch.
„Grüner Bauen“ wird künftig in der Bauwirtschaft wettbewerbsentscheidend sein, bekräftigt die aktuelle Verarbeiter-Studie der Strategieberatung Simon-Kucher & Partners diesen Trend. So finden 81 Prozent der über 200 im November 2022 in Deutschland, Österreich und der Schweiz befragten Verarbeiter (Gewerke wie Dachdecker, Maurer, Elektroinstallateure) Nachhaltigkeit wichtig oder sehr wichtig. 52 Prozent kaufen bereits regelmäßig nachhaltige Produkte ein. Hauptgründe dafür sind: Kundenwünsche zu erfüllen (35 Prozent), regulatorische Anforderungen nachzukommen (19 Prozent) sowie den Betrieb im Wettbewerb besser zu positionieren (18 Prozent).
„Die Kunden fordern Nachhaltigkeit ein und sind auch zunehmend bereit, mehr dafür zu bezahlen. Darauf reagieren die Verarbeiter entsprechend“, sagt Jan Haemer, Partner in der Construction Practice bei Simon-Kucher & Partners. „Unsere Studie zeigt: Trotz Inflation erwartet fast die Hälfte der Verarbeiter eine stabile oder sogar steigende Nachfrage nach nachhaltigen Bauprodukten. Und gesetzliche Rahmenbedingungen wie die EU-Offenlegungsverordnung für den Bausektor, die beispielsweise erfordert, dass dokumentiert werden muss, wie nachhaltig oder energieeffizient ein Gebäude entwickelt wird oder welche Materialien verwendet werden, verstärken diesen Trend zusätzlich.“
Nachhaltigkeit als neuer Produktwert verändert laut der Studie auch die Einkaufsentscheidung bei Baustoffen und Produkten der Gebäudetechnologie. So gehören eine „lange Lebensdauer“ (39 Prozent) und die „gesundheitliche Unbedenklichkeit“ (38 Prozent) neben der Qualität der Produkte (46%) zu den Top 3-Werttreibern, gefolgt von dem Aspekt „Umweltfreundlichkeit“ (31 Prozent).
Insgesamt scheinen die Verarbeiter überzeugt, dass „Grünes“ Bauen zukunftsweisend wird und schätzen, dass in fünf Jahren rund zwei Drittel der Bauprodukte nachhaltig sein werden.
„Für Hersteller heißt das ganz klar, dass sie jetzt die richtigen nachhaltigen Angebote entwickeln und erfolgreich vermarkten müssen, um nicht hinter den Wettbewerb zurückzufallen“, erklärt Sebastian Strasmann, Partner in der Construction Practice bei Simon-Kucher. „Sie müssen ein ‚Grünes‘ Produktportfolio anbieten und Vertrauen in Umweltsiegel stärken, um Kaufbarrieren abzubauen. Und nicht zuletzt kann die Bauwirtschaft, mit ihrem Einfluss auf Rohstoff- und Energiekonsum im Gebäudelebenszyklus, damit auch ihrer sozialen Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung gerecht werden.“
Dies wird auch international und von großen Unternehmen ähnlich gesehen: Höhere Energieeffizienz, bessere Luftqualität in Innenräumen und die Einhaltung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Richtlinien (ESG) sind drei Ziele, denen multinationale Unternehmen derzeit Priorität einräumen – als Antwort auf den steigenden Druck, Gebäudebetriebe in Nachhaltigkeitspläne einzubeziehen. So heißt es in einem Bericht, der im Dezember von Honeywell und Reuters veröffentlicht wurde.
Demnach gaben fast neun von zehn Befragten (87%) an, dass das Erreichen von CO2-Neutralität in ihrem Gebäudeportfolio im Rahmen ihrer ESG-Ziele entweder sehr (58%) oder etwas (29%) wichtig ist; nur 4% der Befragten nannten es unwichtig.
Manish Sharma, Vice President und General Manager of Sustainable Buildings bei Honeywell, bestätigte diese Einschätzung in seinen laufenden Gesprächen mit aktuellen und potenziellen Kunden. „Wenn wir in das Jahr 2025 vorspulen, glaube ich, dass CO2-Neutralität eine der obersten Prioritäten für Unternehmen sein wird, teilweise angetrieben durch neue CO2-Steuerpläne und Anreize zur Dekarbonisierung“, sagte er.
3. Modulares Bauen und Vorfertigung verspüren Rückenwind
Seit einigen Monaten erfährt das schon länger aufstrebende Segment Modulares Bauen und Vorfertigung auch von allerhöchster Stelle Unterstützung: Im Oktober verkündeten Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesbauministerin Klara Geywitz eine „Bau-, Investitions- und Innovationsoffensive“, die unter anderem auch die Ausweitung von seriellem und modularem Bauen vorsieht.
Auch von der wachsenden Klimasensibilität könnte dieses Branchensegment zunehmend profitieren. Denn das Bauen mit vorgefertigten Modulen zeichnet sich gegenüber dem konventionellen Bau nicht nur durch eine Zeitersparnis von 30 bis 50 Prozent aus, betont das nach eigenen Angaben größte Modulbauunternehmen Europas Daiwa House Modular Europe, sondern der Modulbau punkte zudem damit, dass sich der CO2-Ausstoß pro Gebäude halbiert. Da alle Materialien an die Werkshalle geliefert und dort zusammengebaut werden, entfallen viele der sonst üblichen Transportemissionen, was überdies eine geringere Stickstoffbelastung zur Folge hat.
Und nicht zuletzt versprechen modulares Bauen und Vorfertigung nicht nur eine hohe Termintreue und Zuverlässigkeit, also Bauen mit kalkulierbarem Risiko, sondern auch eine stärkere Industrialisierung des Bauens, die mit höherer Produktivität einhergehen sollte – ein Aspekt, bei dem die Baubranche seit Jahren nahezu auf der Stelle tritt und daher im Vergleich mit praktisch allen anderen Branchen schlecht abschneidet. Unterstützend kann dabei die digitale Transformation wirken – siehe nächster Punkt.
4. Der Dauerbrenner: Mehr Effizienz durch Digitalisierung
Dass Digitalisierung helfen kann, durch eine Steigerung der Produktivität Kosten zu sparen und insbesondere die Baubranche in dieser Beziehung noch großen Nachholbedarf hat, ist nicht neu. „Software kann die Zusammenarbeit aller an einem Bauprojekt beteiligten Parteien verbessern, sodass man in der Lage ist, pünktlich zu liefern und die Kosten einzuhalten“, ist das Credo von Yves Padrines, dem CEO des Bausoftware-Herstellers Nemetschek. „Digitale Lösungen können vor allem in der Entwurfs- und Planungsphase helfen und sicherstellen, dass Gebäude später weniger Energie verbrauchen“, nennt er ein weiteres Argument in einem Interview, das in der Januar-Ausgabe des Bauingenieur erscheint.
Auch Florian Biller, Gründer und Geschäftsführer von Capmo, ist überzeugt, dass 2023 bei den Arbeitsprozessen noch stärker auf die Kosten geachtet wird als in den Vorjahren. Besonders intern müssen seiner Meinung nach Prozesse verschlankt und digitalisiert werden. „Wenn ein Bauleiter am Tag zwei Stunden mit der Dokumentation in Excel verbringt, kann das wirtschaftlich nicht sinnvoll sein“, so Biller.
Insbesondere in der Planungsphase verspricht Building Information Modeling (BIM) Synergien, die inzwischen immer mehr Unternehmen der Branche auch heben wollen. Tatsächlich ist BIM aber nicht immer leicht in die Praxis umzusetzen, erklärte uns kürzlich Dr. Albert Dürr, Geschäftsführer von Wolff & Müller im Interview, das Sie hier im Volltext lesen können: BIM – kein Instrument wie jedes andere. Dennoch ist zu erwarten, dass die Methode 2023 eine spürbar wachsende Rolle einnehmen wird.
Noch mehr Trends
Natürlich gibt es eine Menge weiterer Felder , auf denen Fortschritte zu erwarten sind – vielleicht aber nicht auf so breiter Front wie bei den oben genannten Themen. Der Capmo-Trendbericht nennt zusätzlich noch
- 3D Beton-Druck
- Elektromobilität (bei Baumaschinen)
- Bauwerksbegrünung
- BIM 7D
- Lean Construction
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