Prognose und Ausblick 2023: Verbände warnen vor Risiken für Bauwirtschaft
Mit ernster Miene, aber ohne „Krisenblick“ sieht die Bauindustrie auf die kommenden Monate und fordert einen Investitionsschub besonders im Hinblick auf den Verkehrssektor. Der BVMB warnt unterdessen vor Stillstand bei kommunalen Baumaßnahmen.
Die Lage ist ernst – aber nicht hoffnungslos: „Wir gehen von einem realen Rückgang des Umsatzes von sechs Prozent aus“, sagt Bauindustrie-Präsident Peter Hübner. Trotz hoher Materialpreise, steigender Hypothekenzinsen und gedämpfter gesamtwirtschaftlicher Konjunkturprognose für 2023 sieht die Bauindustrie nach eigenen Angaben ohne Krisenblick auf die kommenden Monate: „Die Stimmung im Augenblick ist jedoch noch gut, weil wir einen historisch hohen Auftragsbestand haben“, so Hübner.
Weiterhin offene Stellen in der Bauindustrie
Auch wolle man kein Personal abbauen, im Gegenteil: man habe offene Stellen, die man gerne besetzen würde. Als eine der wesentlichen Zukunftsbranchen in Deutschland mache man das Angebot: „Kommen Sie zur Bauindustrie.“
Sorgen bereitet indes die schleppende Lage im Wohnungsbau. „Realistisch ist, dass wir 2023 nur rund 250.000 Wohnungen fertigstellen. Damit sind wir weit weg von den 400.000 Wohnungen, die sich die die Bundesbauministerin vorgenommen hat.“ Dafür könne man ihr nicht die Schuld geben, aber die Politik könnte mehr tun: „Für die Neubauförderung bei Wohnungen brauchen wir beispielsweise jährlich rund 15 Milliarden Euro, um die ambitionierten Ziele – auch unter Klimagesichtspunkten – zu erreichen“, fordert Hübner.
Investitionsschub im Verkehrssektor notwendig
Auch der Verkehrsbereich braucht einen Investitionsschub, um die Mobilitäts- und Klimawende umzusetzen: „Für die Verkehrsinfrastruktur – Bahn, Wasserstraße und Straße – muss der Bund mittelfristig 25 Milliarden Euro jährlich investieren, um den Abbau des Sanierungsstaus, aber auch Zukunftsinvestitionen zu finanzieren. Ein solches Investitionspaket würde uns wirklich nach vorn bringen und wäre ein klares Zeichen für den Wirtschaftsstandort Deutschland.“
Zum Jahresbeginn 2023 stellten sich nach Angaben des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie e.V. die Rahmenbedingungen für die Produktion im Bauhauptgewerbe wie folgt dar:
- Im Dezember 2022 war die Stimmung im Bauhauptgewerbe weiterhin gespalten. Die aktuelle Geschäftslage wurde per Saldo noch als positiv eingestuft, die Geschäftserwartungen lagen dagegen deutlich im Minus. Verglichen mit den Dezemberwerten 2021 hat sich die Stimmung deutlich verschlechtert.
- Die Versorgungslage bei Baumaterial hat sich deutlich verbessert. Im Mai 2022 meldeten noch 52 Prozent der Firmen des Bauhauptgewerbes eine Behinderung ihrer Produktion durch Materialknappheit, bis Dezember ging der Wert auf 20 Prozent zurück. Auch bei den Preisen gibt es Entspannung. Bei den meisten Baumaterialien wurde der Höhepunkt bei den Erzeugerpreisindizes im Juni 2022 erreicht, seitdem waren die Preise – teilweise deutlich – rückläufig. Für 2023 rechnet der Verband mit einer weiteren Verbesserung.
- Der Anteil der Firmen, die eine Behinderung ihrer Produktion durch Auftragsmangel melden, lag im Dezember bei 23 Prozent, 12 Prozent meldeten eine Behinderung durch Stornierungen. Beides wird der Branche 2023 zu schaffen machen.
- Die Baugenehmigungen für neue Bauten im Nichtwohnungs(hoch-)bau stiegen von Januar bis Oktober nominal um 5,9 Prozent. Angesichts der Baupreissteigerungen ist dies ein zweistelliger Rückgang. Bei den Wohngebäuden lag der nominale Zuwachs nur bei 1 Prozent, der reale Rückgang fällt entsprechend größer aus (ca. minus 15 Prozent). Die Entwicklung bei den Baugenehmigungen deutet auf ein rückläufiges Interesse der Investoren in allen Bereichen hin.
- Der reale Auftragseingang im Bauhauptgewerbe stieg im ersten Quartal 2022 noch um 4,1 Prozent. Dann kamen die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine. Von Januar bis Oktober war ein realer Rückgang von 7,9 Prozent zu verzeichnen.
- Der Auftragsbestand lag Ende September mit 71 Milliarden Euro auf einem Rekordwert, der aber durch die Baupreisentwicklung überzeichnet war. Die Reichweite der Auftragsbestände lag im Dezember mit (saisonbereinigt) 4,4 Monaten noch auf einem hohen Niveau. Wenn die Zahl der Stornierungen nicht weiter ansteigt, sind die Auftragsbestände noch ein „Puffer“ für das erste Halbjahr 2023.
BVMB warnt vor Stillstand bei kommunalen Baumaßnahmen
Unterdessen fordert die Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmen e.V. (BVMB), dass die Kommunen ihrer Vorbildfunktion gerecht werden und warnt vor einem Stillstand bei kommunalen Baumaßnahmen. Denn für Städte und Gemeinden ist es derzeit besonders schwierig einen ausgeglichenen Jahreshaushalt vorzulegen, da ihre Gewerbesteuereinnahmen eingebrochen sind. In der Folge setzen viele Kommunen vor allem bei Baumaßnahmen den Rotstift an.
Beim Bauen zu sparen, sei jedoch ein Sparen am falschen Ende, warnt BVMB-Hauptgeschäftsführer Michael Gilka. Es brauche den „Mut der Entscheidungsträger“, trotz der knappen Finanzmittel Bauvorhaben nicht zu verschieben.
Unzählige Straßen und öffentliche Gebäude seien dringend sanierungsbedürftig. „Hier abzuwarten, ist fatal“, so Gilka. Auch für die Bauwirtschaft seien die Investitionen von entscheidender Bedeutung: „Gerade mittelständische Baufirmen sind überlebensnotwendig von kommunalen Aufträgen abhängig.“
Dringender Appell an die Vorbildfunktion
Zum einen beeinträchtige das Sparen den Zustand und die Haltbarkeit öffentlicher Bauwerke, und zum anderen leiden darunter vor allem die mittelständischen Baufirmen massiv, betont Gilka. „Wer nötige Sanierungen, Modernisierungen und Neubauten abbläst, um Geld zu sparen, kann genauso gut die Uhr anhalten, um Zeit zu sparen“, so Gilka.
Gerade das öffentliche Straßennetz sei auch auf kommunaler Ebene „zum Teil erheblich marode“, was auch die Wirtschaft massiv behindere und Unfallgefahren eröffne. Viele Schulen und andere öffentliche Einrichtungen seien ebenso dringend modernisierungsbedürftig. Je länger Kommunen Baumaßnahmen verschieben, desto schlechter werde der Zustand der Gebäude. „Je später man saniert, desto teurer wird es am Ende“, rechnet Michael Gilka vor.
Darüber hinaus müsse gerade die öffentliche Hand ihrer Vorbildfunktion gerecht werden: „Wenn nicht einmal die Gemeinde ihre Gebäude in Schuss hält und vor allem energetisch auf den neuen Stand bringt, kann man nicht vom privaten Hauseigentümer erwarten, dass der dämmt und modernisiert“, appelliert Gilka an die Verantwortung gerade der Kommunen.
„Taktisch falsche Sparsamkeit“ der Kommunen
Die „taktisch falsche Sparsamkeit“ der Kommunen durch das Verschieben oder Streichen von Baumaßnahmen bereitet Gilka auch in einer weiteren Hinsicht Kopfzerbrechen: „Gerade unsere mittelständischen Baufirmen sind vielfach auf kommunale Aufträge angewiesen, um überleben zu können“. Würden diese Aufträge wegbrechen, beeinträchtigt das die Unternehmen massiv und bedeutet für zahlreiche Betriebe sogar eine Bestandsgefahr.
„Das setzt einen Teufelskreis in Gang“, unterstreicht der BVMB-Vertreter: Kommunen würden vor Ort Betriebe, Arbeitsplätze und damit weitere Gewerbesteuereinnahmen verlieren. „Abgesehen davon, sollte es für die Kommunen Chefsache sein, mittelständische Betriebe als Rückgrat der Wirtschaft zu unterstützen. Das erfordere gerade in schwierigen Haushaltsjahren antizyklisches Verhalten und zumindest ein Weiterführen, wenn nicht sogar einen Ausbau der Bauinvestitionen“, so Gilka.
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