Zwischen Kultur und Formalie
Der Fachkräftemangel, Ressourcenknappheit und eine marode Infrastruktur stellen Gesellschaft und Bauwirtschaft zunehmend vor neue Herausforderungen. Letztere antwortet mit einer kooperativen Vertragskultur, mit einem Mehr an ökologischer Nachhaltigkeit und mit Building Information Modeling (BIM). Für die gewünschten Mehrwerte brauchen wir auch zukünftig die richtigen Rahmenbedingungen.
Der demografische Wandel, die Alterung unserer Infrastruktur sowie die Notwendigkeit eines nachhaltigen Umgangs mit unseren Rohstoffen fordern unsere Gesellschaft und die Bauwirtschaft zum Umdenken und Handeln auf. Prognosen gehen von einem Rückgang der erwerbstätigen Bevölkerung zwischen drei und acht Prozent pro Jahrzehnt aus. Zeitgleich steigt der Investitionsbedarf in Gebäude und Infrastruktur. Zeiten also, in denen es umso wichtiger ist, aus weniger mehr zu machen und mit unseren Ressourcen sorgsam umzugehen.
Dabei gilt:
- Infrastrukturmaßnahmen müssen schneller realisiert werden,
- Bürokratie und Formalismus sind auf das erforderliche Mindestmaß zu beschränken,
- Finanzierung ist dauerhaft zu sichern,
- Prozesse zu Planung, Bau, Unterhaltung und Erneuerung müssen effizienter werden,
- Nachhaltigkeit, Dauerhaftigkeit und Wiederverwertbarkeit von Rohstoffen müssen erhöht werden,
- Emissionen bestehender Gebäude sind durch energetische Sanierung zu senken.
Um den genannten Anforderungen gerecht zu werden, öffnet sich die Bauwirtschaft für Neuerungen: Wir verändern unsere Vertragskultur in Richtung Kooperation, wir bewerten unsere Projekte zunehmend unter Nachhaltigkeitsaspekten und wir setzen mit Building Information Modeling (BIM), Lean und Scrum innovative Methoden und Technologien ein. Verbunden mit dem Ziel, Effizienz und Qualität durch Zusammenarbeit, Transparenz und Digitalisierung zu steigern. Ob es uns gelingt, diese Mehrwerte zu realisieren, hängt von den Voraussetzungen und Rahmenbedingungen ab, die wir für die Neuerungen schaffen, aber auch von unserer Bereitschaft, diese immer wieder stetig zu hinterfragen.
Denkanstöße zu BIM
Seit der bundesweiten Positionierung vor nunmehr fast 10 Jahren durch den Stufenplan im Jahr 2015, wird BIM mittlerweile in einer Vielzahl von Projekten angewendet. Die grundlegende Idee hinter BIM ist denkbar einfach und attraktiv: Vergleichsweise abstrakte Pläne unseres Bauwerks treten in den Hintergrund. Wir erstellen dafür ein digitales, dreidimensionales Modell als Abbild unseres Bauvorhabens, das mit Informationen angereichert wird. Die Dreidimensionalität des Modells und die semantischen Informationen seiner Objekte helfen uns dabei, das, was wir planen, bauen und betreiben, einfacher und schneller zu verstehen und bewerten zu können. Die Objekte der Modelle können computergestützt aggregiert werden, um Listen, Mengen und Bilanzen abzuleiten, miteinander überlagert werden, um Kollisionen oder Übereinstimmungen zu identifizieren und durch Programmroutinen ausgewertet werden, um Regeln und Vorgaben zu prüfen und Zusammenhänge zu hinterfragen. Und dies ist nur ein Teil des Möglichen. Der Mehrwert der Methode gegenüber konventioneller Arbeit ist unbestreitbar, bietet sie doch so viele Möglichkeiten, die uns sonst verwehrt geblieben wären.
Die Anwendung von BIM alltäglich zu machen, ist daher allgemeines Ziel im Bausektor. Häufig wird eine Analogie zur Einführung des Computer Aided Designs (CAD) in den 1990er-Jahren des letzten Jahrhunderts gezogen. Jedoch gibt es hierbei einen zentralen Unterschied: Im Zuge der CAD-Einführung wurden Arbeitsweisen vom Zeichenbrett auf den Rechner übertragen und digitalisiert. Das war ein starker Umbruch in den Unternehmen, da dies auch den Umstieg und den Aufbau von Hardware, Software und IT bedeutete. Investitionen in PC-Systeme und Netzwerke begleiteten diese Zeit. Der Informationsaustausch zwischen den Organisationen konnte hier jedoch wie gewohnt meist in Papierform erfolgen. BIM hingegen geht darüber hinaus und erfordert nicht nur Innovation innerhalb der eigenen Organisation, sondern über Organisationsgrenzen hinweg. Modelle stehen im Mittelpunkt des Austausches, dienen der Kommunikation und werden zur Auswertung für Anwendungsfälle von mehreren Parteien genutzt. Damit rückt eine gemeinsame Anwendung in den Vordergrund. Wir brauchen eine abgestimmte Struktur und eine gemeinsame Sprache, um die Informationen in den Modellen nach übergeordneten Grundsätzen abzubilden und effizient zusammenarbeiten zu können.
Unterschiedliche Konstellationen…
Eine Forderung, die dadurch erschwert wird, dass Bauvorhaben einzigartig bleiben. Einzigartig, nicht nur vordergründig in Bezug auf Formgebung, die verwendeten Bauteile oder die Örtlichkeit, sondern vor allem in Bezug auf die Menschen und die Organisationen, die häufig in neuen Konstellationen Projekte realisieren. Dies macht das Planen und Bauen als solches im Vergleich zu vielen anderen Branchen einzigartig, im Miteinander komplex, in den technologischen Ansätzen bewährt und aus persönlicher Sicht liebenswert. Schließlich bilden stetig unterschiedliche Menschen und Organisation mit deren Eigenarten, Kulturen, Werten und Voraussetzungen eine Gemeinschaft auf Zeit. Der Einsatz von innovativen Methoden wie BIM, Lean oder auch Scrum wird daher nur gelingen, wenn die Gemeinschaft im Projekt sich der Methode annimmt. Die Innovation begegnet also stetig unterschiedlichen Voraussetzungen.
…erfordern einheitliche Vorgaben
Um diesen Unterschieden entgegenzuwirken, bedarf es möglichst breit anwendbarer Vorgaben, die das allgemeine Grundverständnis beschreiben und als verbindlich für die Zusammenarbeit vereinbart werden können. Zu diesem Zweck haben Auftraggeber und Institutionen eine Vielzahl von Vorgaben und Dokumenten geschaffen, um die Anwendung von BIM zu vereinheitlichen: Auftraggeber-Informationsanforderungen (AIA), BIM-Abwicklungsplan (BAP), Level of Information Need (LOIN), Modellierungsrichtlinien und Steckbriefe zu Anwendungsfällen (AwF) – zusätzlich ergänzen neue Normen und Richtlinien die Verträge und begleiten den Alltag. Die Vielzahl an Dokumenten erscheint zunächst positiv. Vermitteln sie doch das Gefühl, dass viel geregelt und auch strukturiert wurde. Kritisch sollte hier jedoch hinterfragt werden, mit welchem Zweck und wofür? Wollen wir Innovation regulieren oder Möglichkeiten zur Anwendung schaffen? Zählt man alleine AIA, LOIN, Modellierungsrichtlinien und AwF-Steckbriefe zusammen, sind mehrere hundert Seiten zusätzliche Vertragsdokumente zu BIM keine Seltenheit. Die Anforderungen an die Methode dominiert teilweise jene der weiteren Vertragsinhalte im Projekt. Bei den Anwendern bleiben trotz des Umfangs bei der Durchsicht viele Fragen offen. In der Folge divergieren Erwartungshaltungen seitens der Auftraggeber und Auftragnehmer aufgrund eines umfangreichen Interpretationsspielraums zur Umsetzung.
Prozesse digital und effizient gestalten
Begleitend muss die Vereinbarkeit und Einbindung der Methode in bestehende Regelwerke wie zum Beispiel die VOB/C zur modellbasierten Abrechnung umgesetzt werden, obschon seit Jahren gefordert, lange Zeit nicht erfolgt. Genauso werden Genehmigungen im Infrastruktur- und Hochbau zwar zunehmend digital durchgeführt, erfolgen aber weiterhin plan- und nicht modellbasiert. Mit großem Aufwand werden Pläne aus den Modellen angeleitet, um die gewohnte Struktur und Form zu bieten. Dabei würde eine höherwertige Bereitstellung der Inhalte über Modelle zur Förderung der Transparenz und des Verständnisses beitragen und sollte somit per se Effizienzgewinne bringen.
Dies sind nur zwei Beispiele dafür, welche Hemmnisse es gilt zu erkennen und abzubauen. Dem Bund, den Ländern und der öffentlichen Verwaltung kommt dabei eine zentrale Rolle zu, da sie als größter Auftraggeber und Verordnungsgeber die zentralen Rahmenbedingungen setzen, die die Umsetzung erleichtern oder erschweren können. Veränderungen basieren auf Vertrauen, Transparenz und dem Mut, neue Wege zu gehen. Dies darf nicht nur auf Seiten der Unternehmen geschehen. Die öffentliche Hand sollte einfache und konsistente Vorgaben und Richtlinien forcieren und zeitgleich Ressourcen für den Kompetenzaufbau seiner Mitarbeitenden und die Anschaffung der notwendigen Technologie bereitstellen, um ein zeitgemäßes modellbasiertes Arbeiten zu ermöglichen. Wir benötigen reduzierte Vertragsunterlagen, einen öffentlich verfügbaren Objektkatalog für alle Bereiche des Bauens, allgemeine Modellierungsvorgaben und ein in Summe technologisch auf Augenhöhe agierendes Team. Auf dieser Basis kann zweckmäßig in Lösungen investiert werden, welche Automatisierung auf einer einheitlichen Modellgrundlage ermöglichen und die Anwendbarkeit durch den Nutzer erleichtern.
Veränderungen aktiv begegnen
Es gibt positive Beispiele hierzu. So entwickelt das Fernstraßenbundesamt (FBA) eine gemeinsame Datenumgebung zur Umsetzung von digitalen und modellbasierten Genehmigungsverfahren. In dem agilen Projekt wurden die Wünsche der Anwender des FBA bei der Entwicklung stetig berücksichtigt und modellbasierte Prozesse direkt integriert. Dies zeigt eine Innovationsmöglichkeit der öffentlichen Hand. Das Vorgehen schafft Vertrauen und Mut, Veränderungen aktiv zu begegnen. Eine Eigenschaft, die wir in Zeiten eines unabdingbaren technologischen, klimatischen und gesellschaftlichen Wandels mehr brauchen denn je. Schließlich steht mit der künstlichen Intelligenz und der Ära der Cloudtechnologie die nächste Revolution im Bau bevor, während andere Bereiche diese schon leben. Diese brauchen wie BIM praxisnahe Rahmenbedingungen und die richtige Kultur, um mehr mit weniger zu erreichen.
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Dr. Andreas Bach Geschäftsführender Gesellschafter Schüßler-Plan Digital GmbH Foto: Schüßler-Plan/Dawin Meckel Nina Baden-Wassmann Geschäftsführende Gesellschafterin Schüßler-Plan GmbHFoto: Schüßler-Plan