Als Tandem forschen: Digitale Technologien und Bauen für eine inklusivere Gesellschaft
Durch ein Zusammenspiel von Assistenzsystemen und baulicher Umgebung versucht das KIT, behinderten Menschen mehr Teilhabe zu ermöglichen. Bei der Erforschung und Entwicklung solcher Technologien spielen Reallabore eine besondere Rolle.
Eine unabhängige Lebensführung und die volle Teilhabe in allen Lebensbereichen sind klare Ziele des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Darin haben sich die Vertragsstaaten zu Maßnahmen verpflichtet, die den gleichberechtigten Zugang etwa zur physischen Umwelt sowie zu Information und Kommunikation sicherstellen. Im Reallabor „Digitale Barrierefreiheit und Assistenzsysteme für Menschen mit Einschränkungen“ am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) wird erforscht, wie das Zusammenspiel digitaler Technologien und der Gestaltung der räumlichen Umgebung in Gebäuden und Städten allen Menschen eine gleichberechtigte und selbstbestimmte gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen kann.
Brücke zwischen Menschen, Technologien und räumlicher Umgebung schlagen
Dazu startet die erste von vier neuartigen Tandem-Professuren, die Geistes- und Technikwissenschaften verbinden, mit einem Reallabor (siehe unten) am KIT. „Unser Ziel ist es, eine Brücke zwischen Menschen, Technologien und der räumlichen Umgebung zu schlagen. Hierzu verbinden wir Forschung in Informatik und Architektur“, sagt Professorin Kathrin Gerling, die zur Mensch-Maschine-Interaktion forscht. Gemeinsam mit der Architektin Professorin Caroline Karmann bildet sie das erste mehrerer neuartiger Professuren-Tandems am KIT.
In diesen Tandems betreiben je zwei Personen – eine aus den Geistes- und Sozialwissenschaften sowie eine aus den Technik- und Naturwissenschaften – zusammen Wissenschaft. „Wir untersuchen gemeinsam die Schnittstellen zwischen Technologie, der gebauten Umwelt und den Menschen, die darin leben. So loten wir das Potenzial neuartiger Technologien aus, um Barrieren für behinderte Menschen abzubauen“, erläutert Karmann. Ziel sei eine inklusivere Gesellschaft.
Zusammenspiel von Assistenzsystemen und baulicher Umgebung für mehr Teilhabe
Kathrin Gerling beschäftigt sich mit der Barrierefreiheit interaktiver und körperzentrierter Technologien wie beispielsweise tragbarer Systeme oder virtueller Realität aus der Perspektive von Assistenz und Teilhabe. „Mir geht es darum, eine Barrierefreiheit zu schaffen, die über die reine Überwindung von Hindernissen hinausgeht und positive, bereichernde Erlebnisse ermöglicht“, sagt die Informatikerin. Gemeinsam mit Karmann wird sie erforschen, wie entsprechende Technologien in Kombination mit der baulichen Umgebung eingesetzt werden können, um Barrieren abzubauen und die Lebensqualität behinderter Menschen zu verbessern.
Caroline Karmann arbeitet an der klimabewussten und barrierefreien Gestaltung von Gebäuden und Städten, die ein selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderungen unterstützen. „Wenn wir von Inklusion in der gebauten Umwelt sprechen, bedeutet das, dass sich Menschen willkommen und zugehörig fühlen können, unabhängig von individuellen Einschränkungen. Nehmen wir ein Gebäude auf dem Campus: Wie können wir den Eingang, die Erschließungen, die Beschilderung, die Raumaufteilung, die Beleuchtung und die Akustik so gestalten, dass Räume beispielsweise für Menschen mit Sehbehinderungen lesbar sind?“
Technologie könne hier zu weiteren Lösungen führen. Könnte zum Beispiel eine digitale Begehung der Räume mittels virtueller Realität vor dem Betreten eines unbekannten Orts den Nutzenden helfen? „Unsere Forschungsfragen beziehen sich auf die Sicherheit und den Komfort von Räumen für alle und es ist uns wichtig, unsere Lösungen gemeinsam mit behinderten Menschen zu entwickeln“, sagt die Bauexpertin.
Reallaborprofessuren: Forschen für die Gesellschaft
Im Gegensatz zur Forschung in kontrollierter Atmosphäre hinter verschlossenen Türen spielt sich die Wissenschaft in einem Reallabor in Wechselwirkung mit Menschen ab. Deshalb arbeiten die beiden Wissenschaftlerinnen eng mit dem Zentrum für digitale Barrierefreiheit und Assistive Technologien Access@KIT zusammen. Das Zentrum unterstützt behinderte Studierende am KIT. Derzeit zählen dazu rund 30 Studierende mit Blindheit oder Sehbehinderung.
Das KIT setzt auf die transformative Forschung an der Schnittstelle zur Gesellschaft und richtet dafür in den Jahren 2022 bis 2025 vier neue Reallabore ein. Darin arbeiten jeweils eine Professur aus den Geistes- und Sozialwissenschaften sowie eine aus den Technik- und Naturwissenschaften intensiv zusammen. Mit diesen „Professuren-Tandems“ (KIT Real-World Lab Professorships) verfolgt das KIT nach eigenen Angaben einen einzigartigen interdisziplinären Ansatz.
Die Reallaborprofessuren sind Teil des 100-Professuren-Programms, mit dem das KIT seine Spitzenforschung innerhalb von zehn Jahren noch leistungsfähiger und agiler machen will. Zunächst werden Reallabore zu autonomen Systemen, zur Mensch-Maschine-Interaktion und Barrierefreiheit sowie zum Umgang mit Risiken eingerichtet. Ein viertes zu Risikostrategien für die dezentrale Energiewende folgt.
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