Auszeichnung der vom Abriss bedrohten Nibelungenbrücke in Worms als „Historisches Wahrzeichen“
Die erste im revolutionären Freivorbauverfahren gebaute Spannbetonbrücke erhielt eine Ehrung als „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“ – ihr Abriss ist allerdings für 2025 geplant.
Sie ist die erste Spannbetonbrücke, die über den Rhein gebaut wurde, und die erste Brücke überhaupt, die im sogenannten Freivorbauverfahren entstanden ist. Diese Bauweise erlaubt es, Brücken ohne aufwendige und teure Gerüste herzustellen und hat das Bauen von Spannbetonbrücken weltweit revolutioniert.
Daher haben die Bundesingenieurkammer (BIngK) und die Ingenieurkammer Rheinland-Pfalz der Nibelungenbrücke in Worms heute mit einer feierlichen Tafelenthüllung am Bauwerk den Titel „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“ verliehen. Die technischen Daten der Brücke sind im Kasten unten aufgelistet.
Die nach der Nibelungensage benannte Brücke ist allerdings vom Abriss bedroht, da sie nicht mehr sanierungsfähig sei, wie im Jahr 2019 festgestellt wurde. Der Landesbetrieb Mobilität Worms hatte damals einen Neubau ab 2025 angekündigt.
Verbindung der Bundesländer und Zeiten
„Die Nibelungenbrücke verbindet nicht nur Rheinland-Pfalz und Hessen, sondern auf beeindruckende Weise auch die Vergangenheit und die Gegenwart“, so Dr.-Ing. Heinrich Bökamp, Präsident der Bundesingenieurkammer. Sie sei entstand in wirtschaftlich schwierigen Zeiten entstanden und ein beeindruckendes Zeugnis dafür, was Ingenieurinnen und Ingenieure in der Lage waren und sind, zu leisten, „auch und vor allem, wenn es darum geht, neue Wege einzuschlagen.“
Als Präsident der Ingenieurkammer Rheinland-Pfalz ergänzte Dr.-Ing Horst Lenz: „Die Nibelungenbrücke in Worms ist ein technisches Bauwerk höchster Raffinesse, das für hervorragende Ingenieurleistungen steht. Historische Ingenieurbauwerke erzählen von der Genialität vergangener Ingenieur-Generationen und bilden einen wesentlichen Bestandteil unserer Baukultur.“ Nur wer auf dem Besten vergangener Zeiten aufbaue, könne auch die Zukunft erfolgreich gestalten.
Adolf Kessel, Oberbürgermeister der „Nibelungenstadt“ Worms betonte die besondere Beziehung der Stadt zu der bauwerklich wertvollen Brücke. „Wir in Worms wollen uns weiter an diesem geschichtsträchtigen Bauwerk erfreuen und wünschen uns, dass die Brücke mit allen Mitteln der Ingenieurskunst gut in die Zukunft kommt, weiter viele Wege nach Worms begleitet und noch für viele Generationen als historisches Wahrzeichen dient.“
Ausschreibung ermunterte zu Risiko, ästhetischer Wirkung und fortschrittlicher Bauweise
Jahrhundertelang konnten die Menschen den Rhein lediglich per Fähre überqueren. Ab 1900 standen ihnen in Worms zwei Brücken zur Verfügung: eine Straßenbrücke und eine Eisenbahnbrücke. Insbesondere auf die für die Straße erbaute Ernst-Ludwig-Brücke mit ihren beiden Tortürmen war die Stadt sehr stolz.
Nach der Zerstörung der Brücke während des Zweiten Weltkrieges suchte Ernst Wahl, seit 1949 Leiter der Straßenverwaltung, für den Brückenbau Wege aus der Stahlknappheit. Bei der Ausschreibung für die Nibelungenbrücke legte er großen Wert darauf, dass er „nicht gehalten war, dem absolut billigst Bietenden den Zuschlag zu erteilen“. Außer dem Preis sollten noch Gesichtspunkte wie „Risiko, ästhetische Wirkung, fortschrittliche Bauweise, Bauzeit usw. angemessene Berücksichtigung finden“.
Die Planer der Nibelungenbrücke, der Ingenieur Ulrich Finsterwalder und der Architekt Gerd Lohmer, erlangten laut Bundesingenieurkammer internationale Anerkennung, und die Baufirma Dyckerhoff & Widmann, die es gewagt hatte, die erste Betonbrücke ohne Gerüste über den Rhein zu baue, war eine der erfolgreichsten in Deutschland und weltweit.
Die „Mutter aller Spannbetonbrücken über den Rhein“ vom Abriss bedroht
Alle technischen und historischen Hintergründe zur Nibelungenbrücke sind in der Publikation von Prof. Cengiz Dicleli zusammengefasst, die in der Schriftenreihe „Historische Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“ erschienen ist. Laut Umschlagseite des Buches hofft der Mitgründer der Gesellschaft für Bautechnikgeschichte Dicleli, dass „der bereits angekündigte Abriss des denkmalgeschützten Bauwerks noch abgewendet werden kann“ und „die Mutter aller Spannbetonbrücken über den Rhein den künftigen Generationen erhalten bleibt“.
Alle „Historischen Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“ im Überblick
Seit 2007 erhielten 29 Bauwerke eine solche Auszeichnung. Die eigens hierzu herausgebrachte Schriftenreihe porträtiert alle ausgezeichneten Bauwerke.
Zuletzt waren die Rappbodetalsperre und die auch „Kathedrale der Wellen“ genannte Sendehalle von Radio Europe 1 in Berus als „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“ gefeiert worden. Die Auszeichnungsreihe wird unterstützt vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, den Ingenieurkammern der Länder und dem gemeinnützigen Förderverein „Historische Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“.
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