Klimaneutraler Büroturm mit Überschuss-Power in der Fassade
Wegweisend für die Dekarbonisierung von Neubauten könnte ein Büroturm sein, der seine Klimabilanz über den gesamten Lebenszyklus ausgleicht. Eine zentrale Rolle spielt dabei seine Fassade.
Weit über den Horizont der norwegischen Industriestadt Porsgrunn hinaus ist die markante Silhouette des elfstöckigen „Powerhouse Telemark“ sichtbar. Das im Sommer 2020 fertiggestellte Nullemissionsgebäude ist in der etwa 150 Kilometer südlich von Oslo gelegenen Region zum Symbol für die Wende zu einer Green Economy geworden und nicht nur architektonisch ein Hingucker. Die kalkulierten 243.000 kWh Solarstrom, die das Bürogebäude pro Jahr erzeugt, liefert nicht nur die Betriebsenergie für das Gebäude, sondern innerhalb einer angenommenen Nutzungsdauer von 60 Jahren gerade so viel Überschussenergie, wie in den verwendeten Baumaterialien und Produkten an grauer Energie steckt – damit ist die CO2-Bilanz des Gebäudes dann ausgeglichen.
70 Prozent geringerer Energiebedarf
Dies gelingt, weil ein integriertes Gebäude-, Energie-, Fassaden- und Innenraumdesign den Energiebedarf des Büroturms um bis zu 70 Prozent gegenüber vergleichbaren Neubauten verringert – für den laufenden Unterhalt des rund 8.400 Quadratmeter umfassenden Gebäudes sind lediglich knapp 50.000 kWh Elektrizität pro Jahr nötig.
Was einzigartig klingt, hat Serienreife: Das nach der Provinz Telemark, in der es liegt, benannte Powerhouse ist bereits das vierte in Norwegen, jedoch das erste Bürogebäude dieser Art in einer kleineren Ortschaft. Das mit dem Nachhaltigkeitszertifikat „Breeam Excellent“ ausgezeichnete Nullemissionsgebäude soll Vorbild für Nullemissionsgebäude gerade außerhalb großer Städte dienen, wo derartige Objekte ohnehin entstehen.
Null-Emission als Mission
Die Powerhouse-Initiative, eine von renommierten Vertretern der norwegischen Bauwirtschaft ins Leben gerufene Allianz bestehend aus dem Bauträger Entra, der Skanska-Baugruppe, der Ingenieurgesellschaft Asplan Viak, der Umweltorganisation Zero und dem auf nachhaltige Baukunst spezialisierten Architektur- und Designbüro Snøhetta, realisiert Nullemissionsgebäude, die sich durch Nutzerfreundlichkeit mit Wirtschaftlichkeit verbinden. Anders als herkömmliche Plusenergiehäuser, deren Energiekonzept primär auf eine energieeffiziente Betriebsphase und die Reduktion dabei entstehender CO2-Emissionen abzielt, fokussiert das Design eines „Powerhouse“ auf die Vermeidung von Treibhausgasen über den gesamten Lebenszyklus von der Planung über die Errichtung und Nutzung bis zum Rückbau. Folglich muss der Planungsprozess ganzheitlich und integral ablaufen, statt Gewerk für Gewerk.
Für einen Betrieb des Gebäudes mit klimafreundlicher Energie war elementar die bestmögliche Tageslichtnutzung. Snøhetta entwarf dazu ein Lichtkonzept, das lediglich 2,3 Watt pro Quadratmeter für künstliche Lichtquellen vorsah. Außerdem erhielt das Gebäudedach vertikale Glasschlitze, durch die drei obere Büroetagen mit Tageslicht versorgt werden.
Erst simuliert, dann konstruiert
Mittels BIM wurde am digitalen Gebäudemodell getüftelt, um eine sehr gut wärmegedämmte Gebäudehülle mit der Erzeugung regenerativer Energien zu kombinieren und vorrangig ressourcenschonende, rezyklierte Bau- und Werkstoffe einsetzen zu können. Für die komplexen Berechnungen kamen unter anderem die Energiesimulationssoftware Simien v 6.009 und ein auf der EU-Norm für umweltgerechte Gebäudeplanung (DIN EN ISO 11855–2) basierendes Kalkulationstool zum Einsatz.
Ausgeglichene Klimabilanz mit Solarstrom
Um möglichst viele Sonnenstrahlen einzufangen, wurde die Dachfläche um 24 Grad in Richtung Süden geneigt und mit integrierten Photovoltaik-Modulen von SolarLab (22 Prozent Wirkungsgrad bei 210 kWp Leistung) bestückt. Auch die schräg nach oben verlaufende, abgewinkelte Südostfassade erhielt eine solche Ausstattung, genauso das Dach des Carports am Gebäude.
Die insgesamt fast 1.500 Quadratmeter großen Modulfläche erzeugt jährlich nicht nur genügend Strom zur Eigenversorgung, sondern einen Überschuss von rund 193.000 kWh. Er dient nicht nur rechnerisch zum Ausgleich für die in den Baumaterialien und Produkten (samt turnusgemäßem Austausch) enthaltene graue Energie, sondern zur Versorgung von Autoladestationen über einen hausinternen 130-kWh-Stromspeicher.
Für die Lichtdachkonstruktion kam das vielfach eingesetzte Fassadensystem FWS 50.HI von Schüco zur Anwendung, mit dem sich große Spannweiten architektonisch ansprechend verwirklichen lassen. Ausschlaggebend war die Cradle-to-Cradle-zertifizierte Umweltverträglichkeit der Materialien. Solche Systeme können nach ihrer Nutzungsphase beliebig oft in den Wertstoffkreislauf zurückgeführt werden, erfüllen hohe Ansprüche bei der Einhaltung sozialer Standards sowie dem sorgfältigen Umgang mit Wasser und Energie in der Herstellung.
Um die schräg nach oben verlaufende, großflächige Fensterfront im unteren Abschnitt der Südostfassade so elegant wie möglich zu gestalten, das Tageslicht zu maximieren und dabei auf nachhaltige Produkte zu setzen, fiel auch für weitere Teile der Gebäudehülle die Entscheidung zugunsten des ebenfalls Cradle-to-Cradle-zertifizierten Fassadensystems FWS 50 SG.SI von Schüco. Die Semi-Structural-Glazing-Optik mit schmaler Ansichtsbreite von lediglich 50 Millimetern sorgt dafür, dass die Profile nur im Raum sichtbar sind und außen in flächenbündiger Ganzglasoptik mit filigranen Fugen erscheinen, was dem Powerhouse trotz seines Namens eine anmutige Erscheinung verleiht.
Die wärmegedämmten und mit Dreifachisolierverglasung versehenen Fenster und Vorhangfassaden weisen extrem niedrige thermische Kennwerte auf: Der Wärmedurchgangskoeffizient aller Fenster (Uw-Werte) und Vorhangfassaden (Ucw-Werte), einschließlich der Rahmenprofile und Verglasungen, beträgt 0,75 W/m²K, der Gesamtenergiedurchlassgrad (g-Wert) der Verglasung liegt bei 37 Prozent und hinsichtlich der Tageslichttransmission bei 63 Prozent.
Ökodesign macht den Unterschied
Auch bei der Materialauswahl hatten Umweltverträglichkeit und Langlebigkeit oberste Priorität, um möglichst viel CO2 zu sparen. Das Fassadensystem FWS aus Aluminium punktete hier nicht nur durch das Cradle-to-Cradle-Zertifikat in Silber, sondern auch durch seine vollständige Recyclingfähigkeit ohne Qualitätsverlust. Auch eine gehörige Portion Kreativität war erforderlich. Der Holzboden beispielsweise besteht aus Industrieparkett, hergestellt aus Holzabfällen. Die Teppichfliesen sind zu 70 Prozent aus alten Fischernetzen gefertigt. Rauen Charme versprüht der unbehandelte, freiliegende Beton.
Wärme aus 300 Meter Tiefe
Für Wärme im Gebäude sorgt geothermische Energie, die eine Wärmepumpe aus acht bis in 300 Meter Tiefe reichende Erdsonden holt und damit die zur Beheizung und Lüftung der Räume benötigte Energie nahezu komplett abdeckt. Die Erdbohrungen gehören zu den bisher tiefsten zur Nutzung geothermischer Wärme in Norwegen und zeigen, dass sich die Kenntnisse der Öl- und Gasindustrie für die Erschließung von Erdwärme nutzen lassen.
Innenraumgestaltung mit Bedacht
Vom Empfangsbereich im Erdgeschoss bis zur gemeinsamen Personalkantine und den Penthouse-Tagungsräumen führen zwei großzügig gestaltete offene Treppen in die obersten Etagen. Das lädt nicht nur dazu ein, den Weg zu Fuß zurückzulegen, sondern fördert darüber hinaus Begegnungen.
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