Tunnelerweiterung unter laufendem Betrieb
In der zweiten Hälfte des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts wurden in Europa Hunderte von Eisenbahntunneln gebaut. Sie sind zu großen Teilen noch heute in Betrieb, müssen jedoch in den kommenden Jahrzehnten erneuert werden. Jetzt gibt es ein Verfahren, mit dem das Tunnelprofil alter Bahntunnel bei laufendem Bahnverkehr vergrößert werden kann. Angewendet wurde es bei der Erneuerung zweier Tunnel der Lahntalbahn.
Mit Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert setzte der Bau von Eisenbahnstrecken mit den dazu gehörenden Tunneln ein. Allein in Österreich, der Schweiz und Deutschland wurden zwischen 1850 und 1910 rund 800 Tunnel gebaut. Sie sind mittlerweile in die Jahre gekommen. Um die Strecken zu elektrifizieren, größere Spurweiten und schnellere Züge aufnehmen zu können, aktuelle Sicherheitsstandards einzuhalten oder um altersbedingt die Tunnelschale auszutauschen, ist es notwendig, das Tunnelprofil zu vergrößern.
Tunnelerweiterungen an der Strecke Wetzlar-Koblenz
Seit Januar 2024 werden zwei 160 Jahre alte Tunnel der Deutschen Bahn in der Nähe von Limburg an der Lahn unter Aufrechterhaltung des Bahnbetriebs erneuert: der 426 Meter lange Fachinger Tunnel und der 732 Meter lange Cramberger Tunnel. Siel sind Teile der Lahntalbahn, die die Städte Koblenz und Wetzlar verbindet. Die Erweiterung geschieht mithilfe des Tunnel Enlargement Systems (TES) von Herrenknecht. Zunächst werden die bestehenden Gleise demontiert und stattdessen ein Gleis in der Mitte der Bestandsröhre verlegt. Auf diesem Gleis läuft der Bahnverkehr während der gesamten Bauarbeiten sicher weiter. Das Tunnel Enlargement System (TES) bewegt sich während des Vortriebs schrittweise vorwärts. Gleichzeitig dient es als Schutzeinhausung und trennt die Bauarbeiten vom laufenden Bahnverkehr.
Querschnittsvergrößerung um gut zwei Meter
Für die beiden zweigleisigen Tunnel der Lahntalbahn wird sich der Querschnitt der Tunnel um gut zwei Meter im Radius vergrößern und erreicht damit Maße, die aktuellen Tunnelneubauten entsprechen. Die rund 46 Meter langen, 270 Tonnen schweren TES mit einem Durchmesser von etwa 12 Metern für den Fachinger und den Cramberger Tunnel laufen auf eigens dafür im Tunnel verlegten Fundamenten und Schienen. Die TES sind mit Geräten für konventionelle Ausbruch- und Sicherungsarbeiten ausgestattet. Je nach Felshärte erfolgen die Ausbrucharbeiten durch Meißeln oder Sprengen. Zunächst werden jeweils die alten Tunnelwände, in der Regel Mauerwerk, ausgebrochen. Daran schließt sich der Ausbruch des Gesteins durch Meißeln oder Sprengen und der Abtransport des Materials an. Das herausgearbeitete Material fällt dabei seitlich neben die Maschine in die Tunnelsohle und wird von separaten Förder- und Ladegeräten abtransportiert. Nach dem Abschlag bringt ein Spritzbetonmanipulator die temporäre Sicherung aus Spritzbeton an. Zusätzlich wird das Gebirge mit Ankern gesichert. Bewehrungsmatten und Stahlgitterbögen bilden zusammen mit dem Spritzbeton und der Ankerung die Erstsicherung. Nach Abschluss der Vortriebsarbeiten mit dem TES erfolgt in einer zweiten Bauphase dann die finale Auskleidung des Tunnels in Ortbetonbauweise.
Eine Maschine aus drei Teilen
Das TES besteht aus drei Teilen. Der vordere Maschinenteil dient der Vorbruchsicherung. Er verhindert, dass der bestehende Tunnel im Bereich vor den jeweiligen Ausbrucharbeiten einstürzt oder dass Gestein auf die Bahngleise fällt. Der Mittelteil ist der Träger für die für den Vortrieb notwendigen Geräte: Teleskopbohrlafetten auf beiden Seiten, Hydraulikhammer auf einem mittigem Auslegearm mit großem Aktionsradius, Spritzbetonsystem auf einer Ringführung. Die Maschine hat großzügige und rückziehbare Arbeitsbühnen, mit denen die Arbeiter die Ortsbrust sowie die Tunnellaibung sicher erreichen können. Im hinteren Maschinenteil befindet sich die Ausrüstung zum Betrieb des TES. Dazu gehört eine Hydraulikstation zur Versorgung der hydraulisch angetriebenen Geräte, ein Kompressor zur Druckluftversorgung, die Elektrik sowie ein Materiallager.
Von den baskischen Pyrenäen ins hessische Lahntal
In die Konzeption der an der Lahntalbahn eingesetzten TES sind die Erfahrungen der ARGE aus zurückliegenden Projekten sowie von Herrenknecht aus dem Einsatz eines ersten TES in Spanien eingeflossen. Im März 2024 wurde die Tunnelerneuerung des 558 Meter langen Gaintxurizketa-Tunnels zwischen Astigarraga und Irun in den Ausläufern der baskischen Pyrenäen abgeschlossen. Der sanierte Tunnel wird die Verbindung zwischen den Bahnnetzen Spaniens und Frankreichs im Rahmen des zukünftigen Atlantik-Korridors der EU verbessern.
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