Von der Natur inspiriert
Ein komplett demontierbares, energieneutrales Gebäude mit einer Holzstruktur und einer Glasfassade setzt international Maßstäbe für zirkuläres Bauen.
Das im Herbst 2019 fertiggestellte Bürogebäude der niederländischen Bank Triodos nutzt organische Formen und eine auf die Natur abgestimmte Farbgebung, um drei miteinander verbundene Türme mit drei, vier und fünf Etagen beinahe übergangslos in die Landschaft einzubetten, in der das niederländische Kreditinstitut 1980 gegründet wurde.
Die Nachhaltigkeitsbank, die heute in 43 Ländern aktiv ist und 2020 ein Gesamtvermögen von über 20 Milliarden Euro verwaltete, investiert grundsätzlich nur in Projekte mit sozialem, ökologischem und kulturellem Mehrwert. Daher sollte der CO2-Fußabdruck des rund 13000 Quadratmeter umfassenden Neubaus, der sich auf einem Landgut rund 45 Kilometer von Amsterdam befindet, am Ende seines Lebenszyklus gering ausfallen. Auch könnte es bei Bedarf kurzerhand auseinandergeschraubt und anderswo wieder zusammengesetzt werden.
Impulsgeber für Zirkularität
Der vielfach ausgezeichneten Architekt Thomas Rau, der international als Vorreiter kreislauffähiger, klimapositiver Gebäude gilt, hatte bereits 1999 und 2006 die beiden Triodos-Unternehmenszentralen entworfen. Er betrachtet ein Gebäude als „limited edition“, als eine zeitlich begrenzte Kombination aus Materialien, Produkten und Komponenten mit einer dokumentierten Identität. 2017 gründete er die gemeinnützige Madaster-Stiftung und rief die gleichnamige Onlineplattform zur Realisierung digitaler Materialpässe für Gebäude ins Leben.
Die Fassade als Hingucker
Dem spektakulären Charakter des Gebäudes verlieh der Visionär Rau in Form eines amorph geschwungenen Baukörpers mit einer komplett verglasten Aluminiumfassade Ausdruck, die aus 1280 Einzelscheiben besteht und eine gute Tageslichtnutzung zulässt.
Das Fassadendesign ließ sich mit einer Schüco-Sonderkonstruktion auf Basis des Fenstersystems AWS 75 BS.HI+ als Einsatzelement umsetzen. Die hochwärmegedämmten Blockfenster in 75 mm Bautiefe ohne sichtbare Flügelkonturen mit schlankem Blendrahmenprofil sowie verdeckt liegender Entwässerung erfüllen mit Uf-Werten zwischen 1,5 und 2,0 W/(m²K) hohe energetische Ansprüche.
Die Fassadenunterkonstruktion übernahm eine wichtige stabilisierende Funktion, da sie die lasttragenden Holzelemente abfängt. Die passivhauszertifizierte Aufsatzkonstruktion AOC 50 (50 Millimeter Ansichtsbreite) von Schüco auf Stahl ließ dank eines neuen Isolierprinzips die Realisierung einer hochwärmegedämmten Vertikalfassade mit einem Uf-Wert von maximal 0,8 W/(m²K) zu.
Entscheidend für die Umsetzung war angesichts der großen dreifachverglasten Scheiben eine patentierte Schraubenführung, die Füllungsdicken bis 64 Millimeter bei einem Maximalgewicht von 1500 Kilogramm erlaubt. Als vorteilhaft für eine professionelle Ausführung erwiesen sich die Abdichtungskomponenten ohne Dichtmitteleinsatz in der Vertikalfassade. Überdies begünstigte die eingesetzte bauaufsichtlich zugelassene Bolzensetztechnologie auf Stahl-Unterkonstruktionen eine kürzere Fertigungszeit gegenüber dem Schweißen.
Höhe und Holz schaffen besonderes Raumgefühl
Im Inneren erzeugen die großen Geschosshöhen, pilzförmig angeordnete Holzsparren, die den Kern umrahmen, und die Verwendung von Holz für Böden, Decken, Säulen und Schächte den Eindruck einer „Kathedrale aus Holz“. Insgesamt wurden 1615 Kubikmeter Brettschichtholz und 1008 Kubikmeter Brettsperrholz sowie fünf ganze Baumstämme in dem mit dem Nachhaltigkeitszertifikat „Breeam Outstanding“ ausgezeichneten Gebäude verbaut.
Die 2623 Kubikmeter Holz speichern mehr als 1,6 Millionen Kilogramm CO2. Statt Verbundstoffe zu verwenden, die eine sortenreine De- und Remontage unmöglich gemacht hätten, halten 165.312 Bolzenschrauben von 240 bis 500 Millimeter Länge die Konstruktion zusammen.
Elektroautos als Energiespeicher
Da die Fassade nicht zur Energiegewinnung durch PV-Module zur Verfügung stand und auf der Dachfläche des Gebäudes ein Paradies für Insekten wachsen sollte, mussten sich die Ingenieure eine Alternative für die Unterbringung der PV-Module überlegen, die auf über 3000 Quadratmetern rund 506.000 Kilowattstunden Sonnenstrom pro Jahr für den energieneutralen Gebäudebetrieb produzieren sollten. Warum nicht die Carport-Dachfläche dazu nutzen und die darunter parkenden Elektroautos über bidirektionale Ladesäulen als aktive Energiespeicher in das Gebäudeenergiekonzept mit einbeziehen?
Bei der Verwirklichung der Idee half das Innovationsprojekt „We drive solar“, das im Rahmen des EU-Forschungsprogramms „Horizon Europe“ neuartige Lösungen für Mobilitäts- und Energiesysteme unterstützt.
Materialbank für die Zukunft
Neuland betraten die Projektpartner überdies bei der Erstellung des BIM-basierten Materialpasses, der über die Herkunft und die Recyclingfähigkeit aller Materialien, Produkte und Komponenten informiert, damit sie später wiederverwendet werden können. Anders als üblich verlief der dazu notwendige Planungsprozess nicht Gewerk für Gewerk, sondern fand in integrierter Zusammenarbeit statt. Da alle das Bauvorhaben als Lernprozess betrachteten und Teamgeist das Miteinander bestimmte, fand man sich schnell in das Prozedere hinein.
Die größte Hürde bestand darin, die IFC-Dateien (Industry Foundation Classes, ein offener Standard im Bauwesen zur digitalen Beschreibung von Gebäudemodellen) in der erforderlichen Datenqualität von den Lieferanten, Herstellern und Subunternehmen zu beschaffen.
Überwacht werden die Materialwerte künftig von der Madaster-Plattform. So ist das Gebäude nicht nur ein Materiallager, sondern auch eine Materialbank, deren Werte beispielsweise als Anlagevermögen dienen oder anderweitig kapitalisiert werden können. Denn die Zirkularität von Gebäuden dürfte interessante Entwicklungen hinsichtlich der Bewertung von Immobilien nach sich ziehen.
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