Die Wertschöpfungskette Bau – heute und in Zukunft
Wie oder was baut Deutschland in Zukunft? Die aktuelle Krisensituation und die damit verbundene Ungewissheit, wie es mittel- bis langfristig entlang der Wertschöpfungskette Bau weitergehen wird, werfen selbstverständlich zahlreiche Fragen auf. Solche vorübergehenden Krisen sollten jedoch den Blick auf langfristige Perspektiven nicht verstellen.
Worum es geht, soll ein aktuelles Beispiel veranschaulichen: Nachdem der US-amerikanische Autohersteller Tesla am Standort Berlin-Brandenburg den Startschuss für den Bau der Tesla Gigafactory in Freienbrink gegeben hatte, wurde dort in kürzester Zeit der Rohbau mit Erfolg realisiert. Die Fertigstellung ist für den Sommer 2021 geplant. Gebaut wird in Brandenburg aus umweltschutztechnischen Gründen aktuell aber nicht mehr. An diesem Beispiel wird deutlich, dass Verzögerungen und Kostensteigerungen, die immer wieder bemängelt werden, tatsächlich oft nicht auf die fehlenden Innovationen innerhalb der Baubranche zurückzuführen sind, sondern auf komplexe Rahmenbedingungen in Deutschland.
Die Baubranche. Das ewige Schlusslicht?
Für Vertreter der Baubranche zeigt sich bei fast jedem Fachkongress Jahr für Jahr dasselbe Bild. Viele Industrien gelten als innovativ, aufstrebend und liegen in den unterschiedlichsten Szenarien vorne. Sei es die Automobilindustrie, der Maschinenbau oder die Fertigungsindustrie. Immerzu sind ihre Technologien hochmodern, die Digitalisierung ist weit fortgeschritten und die gesamte Branche gilt als führend. Auf dem letzten Platz scheint immer die Bauwirtschaft zu liegen. Die Vergleiche mit anderen Sektoren bilden aber oft nicht die Wirklichkeit ab. Bei einem Vergleich vieler Konzepte im Detail zeigt sich doch oft, dass die Wertschöpfungskette Bau ebenfalls sehr innovativ ist. Denn Innovationen können nahezu alle Gewerke der Bauwirtschaft vorweisen. Sie werden allerdings nicht so prominent und so gut vermarktet wie in anderen Branchen. Der Bau wirkt nach außen hin zwar statisch, doch ein Blick hinter die Kulissen zeigt, dass das nicht der Fall ist.
Innovationen im Verborgenen
Beispiel Hausbau: Entsteht ein neues Gebäude, präsentiert sich die Wertschöpfungskette Bau gewöhnlich nicht als Ganzes. Sichtbar ist oft nur das, was die Allgemeinheit bereits seit vielen Jahren kennt. Beim Rohbau ist meist nicht ersichtlich, dass innovative Fertigteile verbaut worden sind. Außer den Bauherren selbst realisiert zudem niemand, wie modern die technische Gebäudeausstattung eines neuen Hauses sein kann. Bis hin zu den Einbaumöbeln steckt in einem schlüsselfertigen Haus unglaublich viel an Innovationen. Das beginnt schon bei der Planung. So werden Bauteile auch in modernen Handwerksbetrieben längst in 3D entworfen und anschließend auf modernsten Maschinen, vergleichbar mit Werkstücken für die Automobilindustrie, gefertigt. Doch sieht man das alles auch? Nein. Ein weiterer Faktor ist das Ausschreibungsprozedere. Innovationen haben es gewöhnlich nicht leicht, in eine konkrete Ausschreibung zu kommen. Auch das Normenwesen setzt Innovationen sehr oft Grenzen. Denn normgerechtes Bauen bedeutet in der Regel, dass Bewährtes zum Zuge kommt. Und nicht zuletzt bleiben Verfahrensinnovationen, die tagtäglich auf den Baustellen entstehen, im Verborgenen, da sie meistens nicht patentiert werden können.
Das andauernde „Stop and Go“ der Bauwirtschaft
Ein großer Unterschied zwischen der Baubranche und den anderen Industrien liegt zudem darin, dass Maschinenbau & Co. strategisches Denken und Vorgehen viel leichter umsetzen können. Sie beobachten ihre Branche und die Schnittstellen zu Schwesterindustrien im Detail und planen sehr konkret und durchdacht für die Zukunft. Dadurch gestalten sie nicht nur die Zukunft ihrer eigenen Branche, sondern auch die anderer Wertschöpfungsketten stets aktiv mit. „Das liegt aber hauptsächlich daran, dass beispielsweise die Automobilindustrie in der Lage ist, ihre Wertschöpfungsketten selbst komplett zu organisieren“, erklärt Michael Halstenberg, Rechtsanwalt und Ministerialdirektor a.D., der auch das Verbands- und Kooperationsmanagement Bau bei der VHV leitet. Im Bauwesen ist dies schon wegen der Vielzahl der Beteiligten, die von Projekt zu Projekt unterschiedlich sind, um ein Vielfaches schwieriger, wenn nicht gar unmöglich. Und so verfolgt jeder Betrieb seine eigene Strategie.
Hinzu kommt, dass die Baubranche seit jeher durch den sogenannten Schweinezyklus geprägt war. Ein unaufhörliches „Stop and Go“. Wurde viel in den Bau investiert, stockten die Unternehmen ihre Kapazitäten stets kräftig auf. Doch irgendwann waren für neue Bauprojekte weder Geld noch politische Unterstützung mehr da und die Bauwirtschaft wurde wieder massiv zurückgefahren. Die Bauunternehmen haben aus der Vergangenheit gelernt und expandieren heute nicht mehr unmittelbar, selbst wenn hohe Investitionen angekündigt sind. Im Gegenteil: Sind sie ausgelastet, so können sie Aufträge ablehnen und dann zu meist besseren Preisen das realisieren, wozu sie mit ihrer aktuellen Belegschaft auch in der Lage sind. Überkapazitäten werden auf diese Weise vermieden. Den Preis für eine „überhitzte“ Konjunktur zahlen dann andere. Denn neben steigenden Preisen fehlt es so an Kapazitäten, um Bauprojekte umzusetzen, die eigentlich dringend gebraucht werden, wie Autobahnbrücken oder Wohnungen in Ballungsräumen.
Vorausschauende, durchgängige Planung ermöglicht schnelles Bauen
Fakt ist, der Bauprozess geht oft langsamer vonstatten als dies notwendig wäre. „Von der Vorplanung bis zur tatsächlichen Fertigstellung eines Gebäudes dauert es in der Regel bis zu fünf Jahre“, erklärt Carsten Buschmann, Geschäftsführer des Saarbrücker Immobilienentwicklers RVI. Auch er zählt, genauso wie Michael Halstenberg, zu den Vorstandsmitgliedern der Initiative Deutschland baut! e.V.. Warum ist das so? Ganz einfach. Bei Bauprojekten gibt es schlichtweg zu viele Beteiligte, die ein Mitspracherecht haben. Allein der Bau eines Hauses involviert neben den Bauherren selbst die Gemeinde, die Nachbarn plus sämtliche Firmen, die Planung und Ausführung realisieren. Gebaut wird in der Regel, bevor eine vollständige Planung mit allen Details auf dem Tisch liegt. „Ein Verfahren, das in sonstigen Branchen absolut undenkbar wäre“, ist Halstenberg überzeugt. „Auch in der Baubranche ist eine durchgängige Vorplanung, die mit der ersten Entwurfsidee beginnt, unabdingbar wichtig, um anschließend auch schnell zu bauen“, fügt der Experte hinzu.
Bauen nach klaren Vorgaben und Konzepten
Für die Planung der Unternehmen und ein erfolgreiches, zielorientiertes und nicht zuletzt zügiges Bauen sind klare und verlässliche Vorgaben der Investoren, der Politik und außerdem der Öffentlichen Hand wichtig. Ein Beispiel ist der Individualverkehr, für den trotz moderner Mobilitätskonzepte, wie Elektro- oder Brennstoffzellenantrieben, noch kein umfassendes Straßenbaukonzept vorliegt. Soll der Verbrennungsmotor tatsächlich über kurz oder lang von Deutschlands Straßen verschwinden, so braucht es nicht nur Fahrzeuge mit alternativen Antrieben, sondern auch eine dafür ausgelegte Straßen- und Ladeinfrastruktur. Damit korreliert die Frage, wie die Arbeitswelt sich innerhalb der nächsten zehn Jahre verändern wird. Wird es mehr mobile Arbeitsplätze geben, mehr Home Office oder arbeiten die Deutschen nach der Coronakrise wieder größtenteils stationär? Diese Aspekte sind als großes Ganzes und nicht als einzelne Zukunftsvisionen zu betrachten. „An diesen Stellen ist es unausweichlich, dass Experten, wie beispielsweise Wissenschaftler, Stadtentwickler oder Arbeitspsychologen, Hand in Hand mit der Baupolitik Überlegungen anstellen“, erklärt Karsten Wischhof, Geschäftsführer der Initiative Deutschland baut! e.V.. Auch die aktuelle Thematik des viel zu hohen CO2-Ausstoßes gehört in dieses umfassende Konstrukt. Der Lockdown im Frühjahr 2020 hat schließlich prompt gezeigt, dass die Rückintegration der Arbeit in die häusliche Umgebung dem CO2-Trend sehr gut entgegengewirkt hat. Ein in sich geschlossenes Konzept, das all diese Themen beinhaltet und auf diesen Grundsteinen eine strategischer Zukunftsplanung vornimmt, gibt es innerhalb der Baubranche leider so noch nicht.
Folglich kann die Baubranche lediglich abschätzen, was mittel- bis langfristig zu bauen ist. Die Unternehmen orientieren sich dabei meist an den Erfahrungen, die sie in der jüngsten Vergangenheit gesammelt haben. Es wird viel gebaut, doch dieses Bauen ist meist eine Reaktion auf konkrete Bedürfnisse des Landes. Und vieles, was tatsächlich gebaut wird, erfährt nach Fertigstellung nicht die ursprünglich angedachte Nutzung. So stehen in zahlreichen Innenstädten Deutschlands immer mehr Büroflächen leer. In manchen Städten bleiben – trotz Wohnungsnot – sogar Wohnräume ungenutzt, denn in immer mehr Großstädten sind die Wohnräume schlicht nicht mehr für den Normalbürger bezahlbar. Ein Thema, das selbstverständlich auch nicht einzeln zu betrachten ist, sondern im Zusammenhang mit dem Individualverkehr und den Arbeitsplätzen der Zukunft steht.
Gemeinsam neue Strategien entwickeln
All diese, so elementar wichtigen, Aufgaben kann die Baubranche als solches selbstverständlich in der aktuellen Konstellation nicht lösen. Denn sie hat selbst keinen Einfluss darauf, ob etwa ein Verbrennungsmotor langfristig von den Straßen der Bundesrepublik verschwinden wird. „Es braucht eine stetige Neuorganisation der gesamten Wertschöpfungskette, deren Ziel es sein sollte, gemeinsam neue Strategien für das Bauen heute und in Zukunft zu entwickeln“, glaubt Halstenberg.
Vorausschauend für die Zukunft planen
Immobilienexperte Buschmann sieht große Chancen für die gesamte Wertschöpfungskette, wenn die Immobilienbranche Anteile ihrer Gewinne regelmäßig in Innovationen investiert. „Das Ziel sind nachhaltige Immobilien, die auch unsere Kinder und Enkel in der Zukunft noch haben wollen“, so seine Vision. „Die Zukunft sollte stets im Vordergrund unseres strategischen Denkens stehen“, führt er weiter aus. Das bedeutet aber auch, dass alle an Projekten Beteiligte – von Investoren über den Gesetzgeber bis hin zu Kommunen und Bauträgern – konsequent an einem Strang ziehen müssen. Vertrauen ist der Schlüssel, um schon jetzt sinnvoll und nachhaltig für die Zukunft zu planen. Die aktuelle Pandemiesituation etwa zeigt auf, dass Büroimmobilien und ebenso Wohnimmobilien in der Zukunft ganz anders aussehen werden, als sie es heute tun. Hierfür sollten schon jetzt konkrete Strategien entwickelt werden, da ist sich der Experte sicher.
Es gibt unsagbar viele Stellen, an denen eine neu organisierte Wertschöpfungskette unmittelbar ansetzen und vorausschauend für die Zukunft planen könnte: Logistikkonzepte von morgen wären ein weiteres Thema oder die Zukunft der Ressourcen. Welche sind langfristig wirtschaftlich und welche lassen sich besonders energieeffizient produzieren?
Digitalisierung funktioniert nur mit Allen
Natürlich schreitet auch die Digitalisierung innerhalb der Baubranche weiter voran, aber auch hier fehlt es an eindeutigen Normen und Verfahren, um das modellbasierte Bauen für alle Vertreter der Wertschöpfungskette Bau attraktiv und vor allem zugänglich zu machen. Hinzu kommt, dass das digitale Planen und Bauen enorm kostenintensiv ist, ebenso wie auch die Robotik, die in Pilotprojekten innerhalb der Bundesrepublik bereits zur Anwendung kommt. Kleinere Baufirmen und Handwerksbetriebe können meist das Geld für solche finanziellen Kraftakte nicht aufbringen, geschweige denn ihr Personal entsprechend aus- und weiterbilden. Da insbesondere kleinere Betriebe das Konstrukt Wertschöpfungskette des Bauens zusammenhalten, ist es unausweichlich, dass diese auf neue, digitale Wege aktiv mitgenommen werden. „Hier braucht es unbedingt Unterstützung seitens der Baupolitik in Form von Subventionen“, erklärt Buschmann. „Diese innovativen Ansätze sind gut und wichtig, aber Erfolg versprechend sind sie lediglich dann, wenn sie auch in der Breite eingesetzt werden.“
Doch nicht nur am Geld liegt es, dass die Digitalisierung oftmals nicht bis zu den kleinen und mittelständischen Betrieben vordringt. „Es ist, wie in anderen Branchen auch, eine Generationenfrage, ob und wie zügig eine durchgängige Digitalisierung tatsächlich funktioniert“, fügt Halstenberg hinzu. Ein innovativer Ansatz ist das Traineeprogramm von Deutschland baut! e.V., denn die jungen Trainees der Initiative haben im Anschluss an die 18 Monate bei drei Mitgliedsunternehmen meist die Chance, sich für eine echte Leadership-Position zu empfehlen, in der sie federführend ein Unternehmen der Wertschöpfungskette Bau digitalisieren können. In den großen Betrieben der Fertigungsindustrie werden jungen Leuten solche Chancen gewöhnlich nicht eröffnet.
Netzwerke knüpfen über die Initiative Deutschland baut! e.V.
Kurzum, die Bauwirtschaft ist ganz sicher nicht innovationsfeindlich. Um schneller zu werden, ist es unter anderem wichtig, branchenweit in den Dialog zu treten. „Genau das passiert auch bei der Initiative Deutschland baut! e.V.. Denn hier entstehen Netzwerke zwischen allen Vertretern der Branche und der Politik“, berichtet Wischhof. „Neben einer Neuorientierung der Wertschöpfungskette ist natürlich auch eine gute Vermarktung der Innovationen vonnöten“, ergänzt Halstenberg. „Auch dafür steht unsere Initiative mit spannenden Konzepten“, fügt er abschließend hinzu.
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