Einfach nachhaltig bauen
Was bedeutet nachhaltiges Bauen und wie funktioniert es? Diese Fragen rund um das stete Trendthema haben wir mit Dr. Christine Lemaitre, Geschäftsführender Vorstand Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen – e.V. besprochen. Und wer einmal nachhaltig baut wird ein Wiederholungstäter.
Seit ein paar Jahren ist das Thema Nachhaltigkeit bereits ein Thema im Bauwesen. Wieso wird noch darüber diskutiert und nicht einfach nachhaltig gebaut? Was muss geschehen, dass die Bauwirtschaft nachhaltig baut?
Eine sehr gute Frage, die wir uns auch oft stellen, weil es ja eigentlich nur Argumente für das nachhaltige Bauen gibt, wenn man es als qualitätsvolles und zukunftsfähiges Bauen versteht. Ein Grund ist sicher teilweise der fehlende gesetzliche Zwang, weshalb sich viele damit einfach nicht beschäftigen, weil sie es ja nicht müssen. Ein weiterer zentraler Grund ist, dass das Bauen an sich ist ja komplex ist und viele unterschiedliche Akteure mit unterschiedlichem Wissensstand und Interessen beteiligt sind. Hinzu kommt, dass Bauprojekte immer auch individuell sind und es keine Haltung zur Transparenz gibt. Entsprechend einfach ist es dann auch, einfach so weiter zu machen wie bisher. Wir erkennen aber, dass viele, die einmal angefangen haben, nachhaltig zu bauen, und dies mit einer Zertifizierung zu begleiten, zu Überzeugungstätern werden und es wie selbstverständlich immer wieder machen. Es gibt also Fortschritte, die es jetzt gilt, in die Breite zu bringen.
Wenn man nachhaltig Bauen möchte, was muss man beachten und wie funktioniert nachhaltiges Bauen und Sanieren?
Ein Schlüssel liegt darin, sich in einer frühen Planungsphase aktiv mit der konkreten Bauaufgabe und den zugehörigen Nachhaltigkeitszielen auseinandersetzen. Hier kann eine Zertifizierung, wie sie die DGNB für praktisch alle Nutzungsarten anbietet, als Planungs- und Optimierungstool unterstützen und inspirieren. Die konkreten Anforderungen sind in den Kriterien definiert. Das DGNB System macht insbesondere Zielkonflikte transparent und ermöglicht es so, fundierte Entscheidungen zu treffen.
Kein olympischer Wettbewerb
Was zeichnet das perfekte Green Building aus?
Das gibt es nicht. Denn nachhaltiges Bauen ist kein olympischer Wettbewerb im Sinne von „höher, schneller, weiter“. Es geht darum, für ein Projekt und das vorhandene Budget das individuell Beste im Sinne einer ganzheitlichen Nachhaltigkeitsqualität herauszuholen. Der Schlüssel dafür ist die richtige Haltung aller Beteiligten, es immer so gut und qualitätsvoll wie möglich umzusetzen. Denn mit viel Geld nachhaltig zu bauen, ist nicht schwierig. Im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten das Optimale zu erreichen, darum geht es. Optimal heißt im Sinne der Nachhaltigkeit verkürzt: Gut für Klima und Umwelt, gut für die Menschen, aber auch langfristig wirtschaftlich.
Wenn man das Optimale erreichen will, welche Besonderheiten gibt es beim nachhaltigen Bauen?
Zwei wesentliche Faktoren, die eine nachhaltige Planung ausmachen, sind die konsequente Lebenszyklusorientierung und der ganzheitliche Ansatz. Denn es geht ja um mehr als nur Einzelaspekte wie beispielsweise Energieeffizienz. Ein Haus kreislauffähig zu bauen ist ebenso wichtig, wie auf Schad- und Risikostoffe zu verzichten und hohe Komfortanforderungen umzusetzen. Auf eine gute Ökobilanz zu achten ist gleichsam bedeutend wie über flexible Grundrisse eine Umnutzungsfähigkeit zu ermöglichen. Wer nachhaltig baut, denkt außerdem über die eigene Grundstücksgrenze hinaus und konzipiert das Gebäude so, dass einen positiven Beitrag an seinem Standort und im ganzen Quartier leistet.
Betrachtet man beim nachhaltigen Bauen den Lebenszyklus eines Gebäudes muss man sich auch mit dem Thema der Recyclingfähigkeit von Baustoffen auseinandersetzen? Gibt es hier noch Aspekte, wo die Forschung ansetzen kann?
Es geht nicht so sehr um die Forschung. Geforscht haben wir eigentlich genug und das Wissen ist da. Wir müssen es nur anwenden und als Planer und Nutzer die richtigen Fragen stellen. Mit Blick auf die Recyclingfähigkeit ist vor allem wichtig, dem Prinzip der Circular Economy zu folgen. Wenn ich tolle, eigentlich kreislauffähige Materialien habe, diese dann aber beschichte oder so verklebe, dass sie nicht mehr sortenrein rückbaubar sind, nutzt mir der beste Baustoff nichts. Wir haben mit der frisch gegründeten Wissensstiftung auf der dazugehörigen Online-Plattform www.norocketscience.earth Wissensbausteine zur Verfügung gestellt, die genau hier unterstützen, um die richtigen Aspekte zu beachten.
Es braucht Zertifizierungen
Wie weit wirken sich Gebäudezertifizierungen auf nachhaltiges Bauen aus?
Das Ziel der DGNB ist es über unsere Zertifizierungen nachhaltiges Bauen konkret planbar, umsetzbar und messbar zu machen. Unserer Meinung nach braucht es Zertifizierungen. Zum einen tragen Zertifizierungen dazu bei, dass wir ein gemeinsames Verständnis von den Zielen und den damit verbundenen konkreten Anforderungen haben und die verschiedenen am Bau Beteiligten somit auch gemeinsam an der Realisierung dieser Ziele arbeiten. Mindestens genauso wichtig: Nur wenn ich zertifiziere, weiß ich am Ende, ob die geplante Qualität auch tatsächlich umgesetzt wurde. Denn leider ist es oft so, dass anfängliche Ambitionen im Projektverlauf doch zurückgefahren werden. Hier hilft der positive Druck durch die Zertifizierung. Dazu schafft es Transparenz, die wir im Umgang mit unseren Gebäuden dringend brauchen. Wir sollen wir denn das Ziel der Klimaneutralität im Sektor erreichen, wenn wir nicht genau hinschauen? Die Themen sind doch einfach viel zu wichtig, als dass wir sie nicht messen!
Welche Bauten können zertifiziert werden und wann lohnt sich im Vergleich von Aufwand und Kosten eine Zertifizierung für den Bauherrn?
Es gibt für alle Bauaufgaben die Möglichkeit einer DGNB Zertifizierung. Es gibt Varianten des DGNB Systems für Neubauten, für die Sanierung von Gebäuden genauso wie für Gebäude im Betrieb. Anwendbar sind diese Zertifizierungsformen für praktisch alle Nutzungstypen, wobei die Kriterien jeweils auf die spezifischen Anforderungen der Nutzungsart angepasst sind. Dazu gibt es das DGNB für Innenräume sowie für verschiedene Quartierstypen. Recht neu ist zudem das DGNB System für den nachhaltigen Gebäuderückbau. In Kürze hinzu kommt eine Zertifizierung von nachhaltigen Baustellen.
Was muss passieren, dass Zertifizierungen für das Bauwesen attraktiver werden und ins Bewusstsein der Gesellschaft rückt?
Zertifizierungen basieren auf dem Prinzip der freiwilligen Übererfüllung, weil es mit Blick auf Klimawandel und Ressourcenknappheit einfach nicht ausreicht, sich nur an gesetzlichen Mindestanforderungen im Bauen zu orientieren. Das Bewusstsein hierfür ist aber noch nicht ausreichend geschärft. Wie stecken auch noch in einer fehlgeleiteten Kostendiskussion. Da wird das Vorurteil, nachhaltiges Bauen sei teurer, einfach geglaubt und weitererzählt, ohne genauer hinzuschauen. Denn womit vergleiche ich die Kosten? Mit einem billig und qualitativ schlecht gebautem Gebäude, das im Zweifel leer steht oder nach ein paar Jahren wieder abgerissen wird? Für viele würde es sicherlich attraktiver werden, wenn sie eine entsprechende Förderung oder finanzielle Vorteile erhalten. Da passiert aktuell durch die EU getrieben ja auch etwas.
Mit Blick auf die Gesellschaft muss man sagen, dass sich viele einfach keine Gedanken darüber machen, welchen enormen Einfluss Gebäude auf die eigene Gesundheit und das Wohlbefinden haben. Hier könnte Corona etwas bewegen, weil viele im Home Office merken, wie wichtig das Ganze auch für sie persönlich ist.
Wo steht Deutschland beim Thema nachhaltiges Bauen im internationalen Vergleich? Von wem können wir was lernen und was kann man von uns lernen?
Global hängen wir immer noch zu sehr an Leuchttürmen und haben auf den Weg in die Breite noch einiges vor uns. In Deutschland und generell in Europa sind wir an vielen Stellen schon sehr weit, weil wir über viel höhere Standards verfügen. Aber das reicht nicht aus. Die Gesetzgebung in Deutschland ist an vielen Stellen auch eine Innovationsbremse. Es gibt Länder, etwa in Skandinavien, die bei den Themen deutlich weiter sind, weil sie sich mit Bedenken nicht zu lange aufhalten und Dinge immer weiter diskutieren, sondern Lösungen suchen, finden und umsetzen. Anstatt das Rad immer wieder neu zu erfinden, brauchen wir mehr Pragmatismus, eine größere Fehlerkultur, die Offenheit von positiven Beispielen zu lernen und auch mehr Vertrauen in etablierte Tools.
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