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Michendorf 20.09.2024, 00:00 Uhr

Blähglasschotter für die Schwammstadt

Unerträgliche Hitze, Starkregenereignisse und Flutkatastrophen treffen auf eine voranschreitende Flächenversiegelung durch den Städtebau. Zugleich fordert die ansteigende Bevölkerungsdichte – insbesondere in den Ballungsgebieten – eine weitere Erschließung von Bauland. Ein Wohnquartier in Michendorf südlich von Potsdam geht mit gutem Beispiel voran. Statt den Boden mit Beton zu verschließen, setzt man auf einen wasserspeichernden Blähglasschotter, der Regenwasser aufnimmt und es nach und nach an die Umwelt zurückgibt.

Das Pflaster kann direkt auf dem Schotterbett verlegt werden. Foto: Veriso

Das Pflaster kann direkt auf dem Schotterbett verlegt werden.

Foto: Veriso

Unsere Städte bieten oftmals folgendes Bild: Graue, kahle Betonwüsten, deren monotoner Auftritt nur durch die Neonreklame der Geschäfte unterbrochen wird. Ungewünschte Abwechslung bringen Wetterextreme: Drückende, stehende Hitze wird abgelöst durch immer wieder auftretende Starkregenereignisse. Letztere überlasten regelmäßig die Kanalisationssysteme und verwandeln Straßenzüge kurzzeitig in reißende Flüsse. Bäumen und anderen Pflanzen fehlt die Lebensgrundlage. Wenngleich eine solche Beschreibung aktuell noch überzogen klingt, legen die voranschreitende Urbanisierung und Flächenversiegelung die Grundsteine für dieses dystopische Städtebild. Schon heute sind die Auswirkungen des Klimawandels deutlich spürbar. Die sich häufenden Extreme sind unter anderem Folgen des Städtebaus der Neuzeit. So gelten etwa 6,5 Prozent der Gesamtfläche Deutschlands als vollständig versiegelt. Nach Angaben der Flächenstatistik des Bundes kamen im Vierjahresmittel 2019 bis 2022 jeden Tag rund 52 Hektar hinzu. Das sind mehr als 26 000 Fußballfelder versiegelter Boden im Jahr.

Die Wende des Städtebaus

Um langfristig eine Besserung zu erzielen, sind Veränderungen bei der Frage, wie gebaut wird, unabdingbar. Ein vielversprechendes Konzept ist das der Schwammstadt. Dahinter verbirgt sich das Bestreben, möglichst viel anfallendes Regenwasser vor Ort aufzunehmen und zu speichern, anstatt es in die Kanalisationen abzuleiten. Wie das in der Praxis des Wohnungsbaus aussieht, zeigt der Bau des Wohnquartiers “apfel mitte“ in Michendorf. Dort errichtet die Berliner Baugenossenschaft eG (bbg) ein modernes Wohnquartier zwischen Poststraße, Potsdamer Straße und Ladestraße. Auf dem rund 2,5 Hektar großen Gelände bieten elf Wohngebäude mit insgesamt 124 Wohnungen, ein Spielplatz und weitläufige Außenanlagen modernen Wohnraum in Großstadtnähe. Ein Wohnquartier dieser Dimension bringt im Regelfall eine umfangreiche Flächenversiegelung mit sich. Doch ein versiegelter Boden kann kein Wasser aufnehmen. Bei starken Regenfällen kann das zu einer Überlastung der Kanalisationen führen.

Blähglasschotter in der Baupraxis

Um die genannten Probleme zu umgehen, setzte der Architekt Andreas Haase von Complizen Architektur in Michendorf auf „Red Blähglasschotter – Aqua Store“ von Veriso, durch den Zuschlagstoff Eisenoxyd ist das Material rot gefärbt. In Teilbereichen der Außenanlagen, auf Gehwegen sowie den Überfahrten der Tiefgarage wurde der Oberbau mit dem wasserspeichernden und stabilisierenden Leichtbaustoff mit klimaadaptiver Funktion ausgeführt. Zudem wurden die gepflasterten Außenflächen des Erdgeschosses von Haus 4 als Rinnensystem aufgebaut. Dabei erfolgte das Verlegen der Pflastersteine direkt auf dem Schotterbett aus Blähglasschotter. Der gewählte Aufbau verhindert selbst bei Starkregen zuverlässig, dass Oberflächenwasser gestaut wird. Stattdessen kann dieses in den Untergrund ausweichen. Dabei unterstützen auch die Materialeigenschaften des Blähglasschotters. Dieser kann bis zu 50 Masseprozent an Wasser aufnehmen. Nach acht Stunden reduziert sich die Aufnahme auf zwölf, nach vier Tagen auf drei Prozent. Die dabei entstehende Verdunstungskälte beugt Hitzeinseln vor und kühlt das Wohnquartier so auf natürliche Art und Weise ab.

Auch unter dem Fahrbahnbelag einsetzbar

Überfahrten profitieren zudem von der Formstabilität, die auch den Einsatz unter Fahrbahnbelag ermöglicht. Selbst eine starke Auslastung von Verkehrswegen beeinträchtigt nicht dessen Funktion. Udo Vierke, dessen GaLaBau-Unternehmen den Blähglasschotter in Michendorf eingebracht hat, erklärt: „Die Verarbeitung des Blähglasschotters war ausgesprochen angenehm. Aufgrund des geringen Eigengewichts war es die ideale Grundlage für den Systemaufbau der Überfahrten der Tiefgaragen“. Für das Wohnquartier “apfel mitte“ ist der Blähglasschotter eine Investition in die Zukunft: Die Kombination aus Wasserspeicherfunktion und der Fähigkeit zur dynamischen Lastenaufnahme schützt die Umwelt und verspricht langlebige Qualität. Zudem ist das Projekt ein Beispiel für das Konzept der Schwammstadt und zeigt, wie eine vergleichsweise einfache Lösung die Flächenversiegelung reduzieren kann.

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Von Von Veriso / Melanie Schulz