Die digitalen Baumeister von morgen
Bauingenieure benötigen künftig immer öfter Know-how über Automatisierung und Digitalisierung. Bereiten die Hochschulen sie ausreichend auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes vor?
Wenn junge Fachkräfte aus dem Bauwesen in ihr Arbeitsleben starten, bringen sie oft eine Menge fachlicher Grundlagen mit, aber wenig Digitalkompetenz – so das Ergebnis einer Studie, über die wir in unserer Ausgabe 01-02|2021 berichtet haben [1]. Wie es um die Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten zur Automatisierung und Digitalisierung bestellt ist, die auch Bauingenieure künftig immer öfter benötigen werden, wollen wir in den weiteren Ausgaben untersuchen und diese für Studierende besonders interessanten Beiträge auch hier auf bauingenieur.de wieder im Special Digitalisierung zur Verfügung stellen (Abonnieren Sie am besten unseren Gratis-Newsletter, um keinen Beitrag zu verpassen!).
Zum Auftakt sprachen wir mit Prof. Dipl.-Ing. Christian Waibel, Dekan der Fakultät für Architektur und Bauwesen an der Hochschule Augsburg, die gerade einen neuartigen Studiengang ins Leben ruft.
Bauingenieur: Herr Prof. Waibel, als Reaktion auf die Covid-Pandemie ist Digitalisierung von Lehrveranstaltungen und der Umgang mit Hard- und Software selbstverständlicher geworden. Hat das in Ihrem Bereich substanzielle Fortschritte in der Ausbildung mit sich gebracht?
Prof. Christian Waibel: Wir sind im März 2020 zu Beginn der Corona-Pandemie aus der Not heraus von heute auf morgen aus der gewohnten Präsenz in digitale Lehrveranstaltungen gewechselt. In dieser Krisensituation galt es zunächst primär, eine Fortführung der Lehre zu ermöglichen. Im zweiten Schritt wurde sukzessive versucht, nicht mehr nur die Präsenzlehre digital abzubilden, sondern gezielt die Vorteile neuer Kanäle und Techniken gewinnbringend zu nutzen. Hierbei haben wir große Fortschritte erzielt.
Allerdings müssen wir nach vier Semestern auch feststellen, dass den Studierenden der persönliche Kontakt und Austausch – insbesondere untereinander – fehlt. Dieser ist nicht nur wichtig für den Lernerfolg, er ist auch essenzieller Förderer seelischer Gesundheit. Aus diesem Grund haben wir hier in Augsburg mit Hygienemaßnahmen ein umfangreiches Präsenzangebot aufrechterhalten, das durch digitale Angebote ergänzt wurde. Um dies zu ermöglichen, wurden umfangreiche Investitionen getätigt. Meines Erachtens ist es jedoch nicht allein die IT-Kompetenz, die es zu fördern gilt, wir müssen auch die entsprechende Kommunikationskompetenz entwickeln. Hier an der Hochschule, aber auch am Arbeitsplatz.
Die Softwareentwicklung wird im Bausektor heute durch Themen wie BIM und Digitaler Zwilling geprägt. Lassen sich solche Konzepte an Hochschulen hinreichend vermitteln?
Waibel: Diese Frage darf sich gar nicht stellen. Es ist eine gesellschaftliche Notwendigkeit und unsere zentrale Aufgabe, diese Technologien zusammen mit starken Partnern zur Anwendungsreife zu bringen und das Wissen dem akademischen Nachwuchs zu vermitteln.
Wie können Sie dabei mit der hohen Entwicklungsdynamik auf diesen Gebieten Schritt halten?
Waibel: Wir haben hier an der Fakultät schon viele Jahre mehrere Kolleginnen und Kollegen aus der Bauinformatik im Professorenkollegium und sind aktuell dabei, fünf neu geschaffene Professuren mit hoch spezialisierten Kolleginnen und Kollegen zu besetzen, um das digitale Planen und Bauen voranzubringen. Der Neubau von entsprechenden Laborräumen ist kurz vor der Realisierung. Gleichzeitig sind Forschung und Transfer neben der Lehre mittlerweile zu wichtigen Säulen unserer Hochschule geworden. Die hierbei gewonnen Erkenntnisse sollen unseren Studierenden möglichst eins zu eins zugutekommen. Enge Kooperationen mit Verbänden aus der Bauwirtschaft und die Einbindung vieler Experten aus der beruflichen Praxis in die Ausbildung mittels Lehraufträgen stellen sicher, dass unsere Lehre den aktuellen und sich abzeichnenden Bedürfnissen Rechnung trägt.
Müssen oder sollten sich künftige Bauingenieure mit Methoden der Künstlichen Intelligenz oder mit Automatisierung beschäftigen, also zum Beispiel mit Robotik oder 3D-Druck?
Waibel: Das Studium des Bauingenieurwesens ist fachlich extrem breit angelegt: Grundlagen, Konstruktiver Ingenieurbau, Wasserwesen, Ressourcenwirtschaft, Verkehrswesen, Raumplanung und Baumanagement. Die Anteile sind im Referenzrahmen des ASBau (Akkreditierungsverbund für Studiengänge des Bauwesens) definiert, der zeitliche Umfang limitiert. Insgesamt stehen uns im Bachelorstudium sieben und im konsekutiven Masterstudium noch einmal drei Semester zur Verfügung, bei insgesamt einem praktischen Studiensemester. Wenn wir nun neue Themen ins Curriculum aufnehmen – und das wollen wir –, dann müssen wir immer auch die Auswirkungen auf bestehende Inhalte im Auge behalten. Gleichzeitig sind viele neuen Entwicklungen heute noch nicht praxisgängig. Insofern suchen wir immer einen Ausgleich zwischen aktuellen Anforderungen in der beruflichen Praxis und jüngsten Entwicklungen in der Wissenschaft sowie der innovativen Bau- und Softwareindustrie. Auch ist mit Blick auf Ihre Fragestellung hinsichtlich KI und Robotik zu differenzieren, was ein Bauingenieur morgen kennen und was er können soll. Die Grenzen werden sich über die Zeit verschieben.
In welchem Umfang werden solche Fähigkeiten bei Ihnen konkret vermittelt?
Waibel: Wir starten hier in Augsburg bereits im Oktober 2022 mit einem gänzlich neuen Studienangebot: Neben den Studiengängen für Architektur und Bauingenieurwesen, das wir seit 1971 haben, sowie seit 2007 der Energieeffizienz werden wir dann die Digitalisierung in einem zukunftsgerichteten Bachelorstudiengang namens „Digitaler Baumeister“ berücksichtigen. Ein vergleichbares Studienangebot findet sich im deutschsprachigen Raum kein zweites Mal.
Wie beurteilen Sie generell die Vermittlung von Digitalkompetenzen an Studierende im Studienfach Bauingenieurwesen an deutschen Hochschulen?
Waibel: Lassen Sie mich ganz offen sein. In der Vergangenheit ist vieles versäumt worden. Ich schaue aber sehr optimistisch nach vorne, denn nicht nur hier bei uns in Augsburg tut sich einiges. Bestehende Studienangebote werden sich verändern und es werden neue entstehen. Genauso wie sich Berufsbilder verändern und neue Berufe entstehen werden.
Gelingt es mit den zunehmenden digitalen Angeboten, Studierende auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes vorzubereiten?
Den Effekt der Online-Semester möchte ich an dieser Stelle gar nicht überbewerten. Ich habe aber den Eindruck, dass weite Teile der Bauwirtschaft zwischenzeitlich eine andere Sicht auf die objektiven Notwendigkeiten gewonnen haben: Ressourceneinsparung, schwache Arbeitsproduktivität, Fachkräftemangel und noch viele weitere Herausforderungen werden wir ohne gewinnbringende Nutzung der Digitalisierung nicht meistern können. Das hat die Politik verstanden, das hat die Wirtschaft verstanden, das haben die Hochschulen und Universitäten verstanden.
- [1] J. Speicher: Kein Studium, keine Fachkraft. Bauingenieur Bd. 97 (2022) Nr. 01–02 S. A16–A17
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