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Finite-Elemente- und CAD-Software 14.02.2022, 17:19 Uhr

Historische Entwicklung der Digitalisierung im Bauwesen

Der Bedarf nach innovativen und integralen Planungsansätzen für zeiteffiziente und umfangreiche Entscheidungsgrundlagen wächst. Bisher war die Digitalisierung im Bauwesen stets von den computertechnologischen Innovationen geprägt und diesen zeitlich geringfügig nachgelagert. Es besteht jedoch großes Potenzial in der Verknüpfung von Workflows innerhalb und zwischen verschiedenen Programmen.

Die Skulptur El Peix d’Or in Barcelona entstand für die Olympischen Spiele 1992 und demonstriert die Leistungsfähigkeit von CAD in der Baubranche. Foto: Tom D'Arby

Die Skulptur El Peix d’Or in Barcelona entstand für die Olympischen Spiele 1992 und demonstriert die Leistungsfähigkeit von CAD in der Baubranche.

Foto: Tom D'Arby

Seit der Entwicklung des ersten funktionsfähigen Computers von Konrad Zuse in den späten 1930er- und frühen 1940er-Jahren zur Automatisierung von Berechnungen gab es zahlreiche Fortschritte und digitale Innovationen. Zwischen 1954 und 1957 wurde mit Fortran die erste höhere Programmiersprache entwickelt und Anfang sowie Mitte der 1980er-Jahre schaffte man unter anderem mit C++ die Grundlagen für objektorientierte Programmierung (OOP) [1]. Zu Beginn der 1990er-Jahre wurden mit Python sowie Visual Basic zwei weitere, heutzutage weit verbreitete Programmiersprachen entwickelt, gefolgt von C# Anfang der 2000er-Jahre. Auf diesen basieren viele der aktuellen, branchenweit verbreiteten FE-Programme.

Neben den computergestützten Berechnungsprogrammen sind solche zum Erstellen von digitalen Zeichnungen Stand der Technik. Der Vorreiter der aktuellen CAD-Software (Computer-Aided Design) zur Erstellung von digitalen Zeichnungen wurde in den 1950er- und 1960er-Jahren entwickelt. Insbesondere sei das 1963 von Ivan Sutherland veröffentlichte Sketchpad erwähnt [2]. Doch erst 1977 wurde mit der Einführung von Catia – basierend auf CADAM von Lockheed – die Grundlage für die Anwendung im Bauwesen geschafft. In den 1980er-Jahren verbreitete sich CAD-Programme allmählich in den Planungsbüros, doch erst zu Beginn der 1990er-Jahre vollbrachten Frank Gehry und die Tragwerksplaner von SOM mit der Skulptur El Peix d’Or (siehe Bild oben) für die Olympischen Spiele 1992 in Barcelona eine Pionierleistung und die Leistungsfähigkeit von CAD in der Baubranche wurde erkannt [3].

Kommunikation zwischen FE- und CAD-Programmen

Die Vorteile der digitalen Berechnungen und Zeichnungen liegen ausdrücklich in der einfachen Modifizierbarkeit und Vervielfältigung. Jedoch sind FE- und CAD-Software getrennt voneinander entwickelt worden und es gab zwischen ihnen anfänglich keine bis kaum offene Schnittstellen. 1996 wurde ein Add-on für AutoCAD entwickelt, sodass die Systemeingabe für die FE-Berechnung mit Sofistik erstmalig grafisch erfolgen konnte [4]. Heutzutage hat die Kompatibilität dieser Programme aufgrund der BIM-Arbeitsmethodik eine immer bedeutendere Rolle im gemeinsamen Planungsprozess von Bauingenieuren, Architekten und weiteren Fachplanern.

Eine gute und transparente Kommunikation zwischen den Gewerken und Baubeteiligten bildet die Grundlage für den Erfolg eines Bauvorhabens. Nach dem Leitbild der BIM-Arbeitsmethodik rückt der interdisziplinäre Datenaustausch in den Mittelpunkt. Im BIM-Workflow findet ein (digitaler) Datenaustausch neben der zwischenmenschlichen Ebene vor allem zwischen den verwendeten Softwareprogrammen statt. Proprietäre Softwarelösungen sind zwar denkbar, bedingen jedoch, dass jeder Projektbeteiligte mit der gleichen Software arbeitet. Geeigneter sind Ansätze mit offenen Schnittstellen.

Mittlerweile sind IFC-Schnittstellen (Industry Foundation Classes) in den gängigen CAD-Programmen eingebunden und ermöglichen einen programmübergreifenden Geometrie- und Informationsaustausch. Neben dieser Schnittstelle entwickeln sich derzeit im Bereich der visuellen Programmierung weitere Möglichkeiten, Datenflüsse zwischen CAD-Programmen und vor allem auch zwischen CAD- und FE-Programmen herzustellen.

Visuelle Programmierung

Eine technische Grundlage des digitalen Entwerfens liegt in der textbasierten oder visuellen Computerprogrammierung, in der eine Reihe von Prozessen miteinander verknüpft werden, sodass ein ausführbares Programm entsteht. Bei der VP geschieht dies durch die Anordnung von grafischen Elementen in einer Art Flussdiagramm – sogenannten grafischen Algorithmeneditoren. Im Unterschied dazu fußt die textbasierte Programmierung auf vordefinierten Befehlen, einer regelgebenden Syntax, unmittelbar gefolgt von den jeweiligen Parametern.

Der Auftakt der VP liegt in den Entwicklungen von David Smith in den 1970er-Jahren (siehe Tabelle 1). Seine Leitlinien waren, dass das menschliche Gehirn bildliche Eindrücke effizienter verarbeitet als reine Texte und die Anwendung keine professionellen Programmierkenntnisse voraussetzt.

Jahr

Sprache (Autor)

Neuheit/Besonderheit

1950

„Flussdiagramme“ (Haibt)

Automatisierte Flussdiagramme

1963

Sketchpad (Sutherland)

Erstes Zeichenprogramm mit Mensch-Maschine-Interaktion

1966

Graphical Program Editor (Sutherland)

Erstes Visuelle Programm (ähnlich Hardware-Schaltplänen)

1975

Pygmalion (Smith)

Arbeiten mit Piktogrammen auf einem executable electronic blackboard

1978

Query-by-Example (Zloff)

Datenbanksprache

1985

Prograph (Matwin und Pietrzykowski)

Grundlage für die erste kommerzielle visuelle Programmierungssprache

Tabelle 1. Entstehungsgeschichte visueller Programmierung [2]

In den späten 2000er-Jahren fand die parametrisch-visuelle Entwicklungsumgebung Grasshopper (GH) für Rhinoceros Eingang in die architektonische Entwurfspraxis [5]. Die Stärken der VP wurden in den nachfolgenden Jahren schnell von den Softwareentwicklern der Architektur-, Ingenieur- und Baubranche erkannt und entsprechende Algorithmeneditoren für weitere Programmfamilien entwickelt (siehe Bild 1): unter anderem Dynamo für Revit (2011), Marionette für Vectorworks (2015), Visual Scripting für Allplan (2019) und Param-O für Archicad (2020).

Bild 1. Visuelle Programmierung in CAD-Software.

Foto: TU Dortmund

Kombination von visueller Programmierung und FE

Nach der Veröffentlichung von Grasshopper im Jahr 2007 war es naheliegend, FE-Berechnungen an der visuell generierten Geometrie durchzuführen. Das verfügbare Programmsystem Karamba zur Tragwerksberechnung und -optimierung hatte jedoch den wesentlichen Nachteil, dass für die Anwendung Programmierkenntnisse erforderlich waren, wodurch der Kreis der potenziellen Nutzer stark eingeschränkt war. Der im Rahmen des Forschungsprojekts „Algorithmische Generierung komplexer Stabtragwerke“ entwickelte FE-Berechnungskern wurde deshalb umfassend adaptiert und als Grasshopper-Plug-in unter der Bezeichnung Karamba3D im Jahr 2014 veröffentlicht. Dieses ermöglichte erstmals die interaktive Berechnung vollständig parametrisierter Tragwerke [5].

Seit der Einführung von Karamba3D lassen sich FE-Elemente (Stab- und Schalenelemente) in der parametrisch visuellen Programmumgebung implementieren und unter anderem Schnittgrößen, Spannungen und Verformungen in Echtzeit kalkulieren. Sobald Änderungen an der Geometrie vorgenommen werden, erfolgt eine automatische Neuberechnung ohne längeres Processing und der Einfluss der Parameteränderungen kann unmittelbar identifiziert werden. Zudem ermöglichen jüngst entwickelte Plug-ins einen Datenaustausch zwischen Grasshopper und branchenbekannten FE-Programmen wie Sofistik, Dlubal RFEM oder Scia. Auch weitere CAD-Softwarehersteller ergänzen allmählich ihre Produktpaletten mit Plug-ins zur Verknüpfung zwischen Geometrie- und FE-Modell (z.B. für den Austausch zwischen Revit und Sofistik).

Vor- und Nachteile parametrischer Modellierung und visueller Programmierung

Parametrisches Entwerfen basiert auf einem System von geometrischen Beschreibungen und Abhängigkeitsbeziehungen, um verschiedene Varianten effizient erzeugen und abändern zu können [6]. Insbesondere im Ingenieurbau wurden früh textbasierte Eingabefiles von FE-Modellen parametrisiert, wohingegen erst Anfang der 1990er-Jahre über den Umweg von Animationssoftware parametrische Methoden Eingang in den Architekturentwurf fanden [5].

Durch die Parametrisierung eines Modells kann zum einen flexibel auf Änderungen während des Entwurfsprozesses reagiert werden. Zum anderen können effizient Variantenstudien, insbesondere in der Vorplanungsphase oder in Wettbewerben, durchgeführt oder bei entsprechender Programmierung Modelle universell für mehrere Projekte verwendet werden. Weiterhin sind automatisierte Optimierungsprozesse (in Abhängigkeit der parametrischen Variablen) möglich.

Infolge der Parametrisierung ergibt sich zu Planungsbeginn ein erhöhter Zeit- und Modellierungsaufwand. Zudem ist der Prozess für Einsteiger schwieriger umzusetzen, da im Voraus eine gut durchdachte Parameterwahl sowie Modellierungsstruktur notwendig ist und durch eine Verwechslung von Variablen leicht Fehler entstehen können.

Kombiniert man den parametrischen Entwurfsgedanken mit der vorgestellten visuellen Programmierung, ergeben sich jedoch – basierend auf Parametrik und Visualität der Programmierung – vielfältige Vorteile gegenüber nicht parametrisierter, textbasierter Programmierung. Darüber hinaus kompensiert die visuelle Programmierung die zuvor beschriebenen Nachteile eines parametrischen Modells (siehe Tabelle 2).

Vorteile

Nachteile

Visuelle Informationsverarbeitung ist effizienter als textbasierte

Unstrukturierte Skripte vermindern Nachvollziehbarkeit

Vergleichsweise einfacher Einstieg in Programmierung, da keine strikte Syntax vorhanden

Fehlender Leitfaden für Leser eines fremden Skriptes, da Skripterstellung ohne Syntax sehr individuell

Individuelle Workflows und Schnittstellen programmierbar

(Individuelle) Schnittstellen­programmierung ist aufwendig

Ergebnis der Programmierung durch unmittelbares Processing direkt sichtbar, sodass Fehler einfach detektierbar und schnell zu beheben sind

Kurze Reaktionszeit und geringer Anpassungsaufwand bei Änderungen im Planungsprozess

Effiziente Durchführung von Variantenstudien

Automatisierte Optimierungs­prozesse möglich

Flexibilität, mögliche Mehrfachnutzung

gut durchdachte Parameterwahl und Modellierungsstruktur notwendig

Tabelle 2: Vor- und Nachteile parametrisch visueller Programmierung

Die Erzeugung parametrischer Modelle mit Methoden der visuellen Programmierung besitzt somit ein vielfältiges Anwendungspotenzial.

Anwendung im Bauwesen

Software auf Basis visueller Programmierung wird im Bauwesen noch vergleichsweise selten eingesetzt, insbesondere wenn nicht nur ein geometrisches Modell erzeugt, sondern auch ein BIM-Modell abgeleitet werden soll.

Doch vor allem bei aufwendigeren Strukturen, wie beispielsweise der BCF-Arena im schweizerischen Fribourg, ist die Geometrieerzeugung innerhalb einer BIM-Software weniger benutzerfreundlich, da diese zwar einige vordefinierte (Hochbau-)Elemente wie Wände, Stützen oder Decken in Standardbibliotheken bereitstellt, aber ausgefallenere Geometrie(-elemente) häufig nur zeitintensiv erstellt werden können.

Die verantwortlichen Tragwerksplaner der BCF-Arena haben die komplexe Geometrie des Hallendaches vollständig in Grasshopper parametrisiert, einen Optimierungsalgorithmus bezüglich der Formfindung zum effizienten Einsatz von Spanngliedern mit der Programmiersprache Python implementiert und in der Ausführungsplanung automatisierte Zeichnungen mit Schnittstelle zum BIM-Modell (in Tekla) geschaffen [7]. Dadurch war bei Planungsänderungen die Reaktionszeit kurz und die Zeitersparnis entsprechend groß – auch zur Erstellung der technischen Zeichnungen.

Ebenso wurde bei der Planung von Überdachungskonstruktionen als freigeformte Gitternetzschalen für die Metro in Riad vollumfänglich auf digitale Planungswerkzeuge rund um die Programmumgebung Rhino/Grasshopper mit Schnittstellen zu BIM- und FE-Programmen zurückgegriffen [8].

Die Autoren haben exemplarisch an der Talbrücke Bremecke gezeigt, dass die parametrische Tragwerksplanung unter Verwendung der Programme Grasshopper, Karamba 3D und Galapagos ein großes Anwendungspotenzial mit hoher Flexibilität für die Tragwerksoptimierung von Brückenbauwerken in der Entwurfsphase besitzt. [9]

Literatur

  1. Zuse, H. (Bericht 1999–1): Geschichte der Programmiersprachen. Technische Universität Berlin, Forschungsberichte des Fachbereichs Informatik, Berlin
  2. Schiffer, S. (1998): Visuelle Programmierung – Grundlagen und Einsatzmöglichkeiten. Addison-Wesley Verlag, Bonn
  3. Dauss, M. (2020): Modellfall Gehry. Kunstgeschichte. Open Peer Reviewed Journal, Regensburg
  4. Sofistik AG (2021): The history of Sofistik., abgerufen von: https://www.sofistik.com/company/about-us/the-history-of-sofistik
  5. Preisinger, C.; Heimrath, M.; Orlinski, A.; Hofmann, A.; Bollinger, K. (2019): Moderne Parametrik in der Tragwerksplanung – Werkbericht. Stahlbau 88 (Heft 3, S. 184–193), Ernst & Sohn Verlag, Berlin
  6. Kolarevic, B. (2005): Architecture in the Digital Age. Design and Manufacturing. Taylor & Francis, New York
  7. Guscetti, G.; Pirazzi, C.; Degani, N.; Hess, I. (2020): Das Stahldach der BCF-Arena in Fribourg, Schweiz. Stahlbau 89 (Heft 7, S. 607–621), Ernst & Sohn Verlag, Berlin
  8. Oppe, M.; Gauss, F. (2021): Integrale Planung von Gitternetzschalen. Stahlbau 90 (Heft 5, S. 332–340), Ernst & Sohn Verlag, Berlin
  9. Krinitzki, C.; Hartz, C.; Baniseth, F.; Wehnert-Brigdar, A. (2022): Parametrische Tragwerksplanung und Optimierung in der Entwurfsphase am Beispiel der Talbrücke Bremecke. Bauingenieur 97 (Heft 3, S. 21–28), VDI Fachmedien, Düsseldorf, doi.org/10.37544/0005-6650-2022-03-22 (in Druck, online verfügbar ab März 2022)

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Von Schüßler-Plan / Karlhorst Klotz

Autoren Christopher Krinitzki, M.Sc.christopher.krinitzki@tu-dortmund.deProf. Dr.-Ing. Christian Hartzchristian.hartz@tu-dortmund.deTechnische Universität DortmundLehrstuhl TragkonstruktionenAugust-Schmidt-Str. 644227 DortmundFabio Baniseth, M.Sc.fbaniseth@schuessler-plan.de Dr.-Ing. Alexandra Wehnert-Brigdarawehnert-brigdar@schuessler-plan.deSchüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH DortmundCarlo-Schmid-Allee 1344263 Dortmund