Stahl-Beton-Trägerkonstruktionen für den Brandfall normgerecht konfigurieren
Wenn Beton und Stahl zusammenhalten, ertragen sie vielleicht länger große Hitze als für sich allein. Das ist wichtig für die Auslegung von Bauwerken im Brandfall.
Brennt es unter einer Brücke, so wie im September 2020 auf der A40 in Mülheim, besteht für das Bauwerk große Gefahr: Die Hitze kann schnell mehrere Hundert Grad Celsius betragen. Stahlträger halten das nicht lange aus; die Bauteile versagen: Nach dem Brand des mit Treibstoff beladenen Lkws in Mülheim mussten drei Eisenbahnbrücken abgerissen werden.
Brückenbau-Normen sollen Menschenleben schützen
Damit bei solchen Ereignissen kein Mensch zu Schaden kommt, legen Normen für den Bau von Brücken, aber auch Hochhäusern und anderen Bauwerken fest, wie lange ein Bauwerk solcher Hitze im Brandfall standhalten muss. Damit sollen Menschen ausreichend Zeit bleiben, sich in Sicherheit zu bringen, erklärt Mehmed Numanović.
Der Doktorand am Lehrstuhl für Stahl-, Leicht- und Verbundbau der Ruhr-Universität Bochum (RUB) untersucht in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft seit Februar 2022 und noch bis Januar 2025 geförderten Projekt die Grundlagen der Tragfähigkeit von Stahl-Beton-Bauwerken. Auf der Grundlage solcher Ergebnisse kann die Norm weiterentwickelt werden.
Beton trägt mit
Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, welchen Einfluss der Beton auf die Hitzebeständigkeit des Baus eigentlich hat. „Bisher wurden im Wesentlichen nur die Stahlträger untersucht“, sagt der RUB-Doktorand. Sie bestehen aus unterschiedlich dicken Blechen, die in bestimmten Abständen Versteifungen aufweisen, die sie stabilisieren und in einzelne Felder einteilen.
Die Träger verlaufen längs oder quer unterhalb der Brücke und sind auf die tragendenden Pfeiler montiert. Auf dem Träger liegt die Betondecke der Brücke. Sie ist mittels Kopfbolzen in kurzen Abständen mit dem Stahlträger verbunden.
„Diese feste Verbindung sorgt dafür, dass die Betonplatte nicht nur mit ihrem Gewicht von den Stahlträgern getragen werden muss, sondern selbst mitträgt“, erläutert Numanović. Man könne sich das so vorstellen wie einen Stoß Papier: Wenn man die einzelnen Blätter miteinander verklebt, tragen sie als gesamtes Paket und nicht als einzelne Blätter.
Um herauszufinden, wie groß der Einfluss der Betonplatte ist, hat das Projektteam in einer Werkhalle einen riesigen Versuchsstand eingerichtet. In seinem Zentrum steht ein elektrischer Modulofen, der sich flexibel anpassen und bis auf 1.200 °C aufheizen lässt.
Durch ihn hindurch werden die Versuchsobjekte gelegt: Verschieden beschaffene Stahl-Beton-Trägerkonstruktionen von 7,2 Meter Länge und einem Meter Höhe. „Sie entsprechen den Trägern, die auch in Wirklichkeit bei Brücken und Hochhäusern verbaut werden“, so Numanović.
Eingeklemmte Versuchsträger
Die Träger werden von oben und unten in den Versuchsstand eingeklemmt: Auf der einen Seite liegen sie auf einer Trägerkonstruktion auf und werden durch einen Stempel von oben belastet. Auf der anderen Seite liegen sie unter einer Trägerkonstruktion und werden von unten hochgedrückt. „Das machen wir so, damit wir nur die Kräfte isoliert betrachten können, die uns interessieren“, erklärt der Doktorand.
In der Mitte befindet sich der Ofen. Er heizt von beiden Seiten und von unten. Für das Versagen eines solchen Trägers ist vor allem interessant, wann sich im Träger markante Verschiebungen einstellen. Das geschieht innerhalb der durch Quersteifen versteiften Felder, der sogenannten Schubfelder.
Schubbeulen von Stahl-Beton-Verbundblechträgern unter Brandbeanspruchung
Die charakteristische Verformung, die zum Versagen führt, heißt daher Schubbeulen, und der Projektname lautet „Schubbeulen von Stahl-Beton-Verbundblechträgern unter Brandbeanspruchung“.
„Würden wir den Träger nur von oben belasten, kämen zwangsläufig auch Biegekräfte mit ins Spiel, die wir nur erschwert herausrechnen können, und die die Interpretation unserer Ergebnisse erschweren würden“, betont Numanović.
Unklares Zusammenspiel von Stahl und Beton
Die Frage, der die Forschenden mit ihren Experimenten nachgehen, lautet: Welche Last trägt der Verbund aus Stahl und Beton bei welcher Temperatur, bevor er versagt? Für Stahl alleine ist das bekannt: So ab 400 °C sinken seine Steifigkeit und Festigkeit.
Beton wirkt isolierender als Stahl, dehnt sich auch aus, aber wie er im Brandfall mit dem Stahl zusammenwirkt, ist offen. Um die Frage zu beantworten, wird das Team an der Ruhr-Universität Bochum zwölf verschiedene Versuchsträger bei unterschiedlichen Temperaturen belasten und bis zum Versagen erhitzen. Die Träger unterscheiden sich zum Beispiel in der Dicke der Stahlbleche, aber auch in der Anzahl und im Abstand der Quersteifen und Kopfbolzen mit der Betonplatte.
Numerische Simulation der Tragfähigkeit
Die Ergebnisse sollen in ein numerisches Modell einfließen, mit dem sich die Tragfähigkeit solcher Trägerkonstruktionen berechnen lässt. Mit einem darauf basierenden Tool sollen Ingenieurinnen und Ingenieure dann ihr Bauwerk normkonform konfigurieren können.
Für verschiedene Arten von Bauwerken gelten dabei unterschiedliche Zielwerte, die sich in der Zeit ausdrücken, die das Bauwerk bei einem Normbrand standhalten muss. Um diese Ziele einzuhalten, kann man an verschiedenen Stellschrauben drehen. Schließlich geht es auch immer darum, kostengünstig und materialsparend zu bauen.
Eventuell seien die bisher eingesetzten Stahlträger überdimensioniert, weil man sie immer ohne den Einfluss der Betonplatte betrachtet hat, gibt Numanović zu bedenken. Ob das stimmt und man die Stahlkonstruktionen von Brücken und Hochhäusern schlanker planen kann, ohne Sicherheitsrisiken einzugehen, werden die Versuche zeigen.
Empfehlung der Redaktion – das könnte Sie auch interessieren:
- Nichts mehr verpassen: Hier geht‘s zur Anmeldung für den Bauingenieur-Newsletter…
- Wichtige Abkürzungen aus der Baubranche
- Brandursachen: Wie kam es zum Großbrand in Essen?
- Grenfell Tower London: Eine vermeidbare Brandkatastrophe
- Aktuelle Beiträge aus dem Special Infrastrukturbau
- Fachaufsätze 04|2022: Stahlbögen, Beulverhalten, ZFSV und UHPC
- Expressbrückenbausystem: 50 statt 228 Tage vom Abbruch bis zum Brückenneubau
- Sonderlager: Wie die Pelješac-Brücke Windböen und Erdbeben trotzt
- Brückenbau im Aftetal: Der Brückenschlag verbindet
- Sanierung: Brückenerneuerung mit dem gewissen Dreh (Scia-Anwendung)
- Brückenabsenkung: 1500-Tonnen-Koloss präzise geführt
- Brückenbau mit Carbon: Carbon unterbietet Stahl beim Brückenbau