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Urban Mining 11.08.2022, 08:54 Uhr

Zweites Leben für Baumaterialien und Baustoffe

Wiederverwendung geht vor Aufbereiten, und Recycling ist besser als Verfüllen. Hier drei aktuelle Leuchtturmprojekte aus deutschen Landen.

Urban Mining führt bereits genutzte Ressourcen einer weiteren Nutzung zu: So soll das Vinzenz-Areal, bei dem Recycling-Baustoffe eingesetzt werden, mit seinen sechs Gebäuden in Wangen im Allgäu spätestens Anfang 2024 einmal aussehen. Foto: Arabzadeh.Schneider.Wirth Architekten, Freie Architekten Partnerschaft

Urban Mining führt bereits genutzte Ressourcen einer weiteren Nutzung zu: So soll das Vinzenz-Areal, bei dem Recycling-Baustoffe eingesetzt werden, mit seinen sechs Gebäuden in Wangen im Allgäu spätestens Anfang 2024 einmal aussehen.

Foto: Arabzadeh.Schneider.Wirth Architekten, Freie Architekten Partnerschaft

Noch ist es längst nicht gelebte Praxis in der Bauwirtschaft, aber immer mehr Berichte erreichen uns darüber, wie Bauunternehmen Ressourcen schonen, indem sie Baumaterialien und Baustoffe wiederverwenden oder nachhaltig nutzen. Dabei handelt es sich um sehr unterschiedliche, oft prototypische Projekte, angesiedelt auf verschiedenen Stufen der Abfallhierarchie (siehe Kasten).

Erste Schritte und Erfahrungen

Solche Projekte führen auch nicht immer gleich zu einer Fortsetzung – „noch zu unwirtschaftlich“ heißt es dann vielleicht. Wichtig und richtig scheint es jedoch, schon heute solche neuen Wege auszuprobieren und die gewonnenen Erfahrungen mit anderen Unternehmen zu teilen, die ebenfalls Wege in die Kreislaufwirtschaft suchen.

Hier daher drei derartige Beispiele aus jüngster Zeit (und eine Hinweis auf einen separaten Artikel quasi als Bonus). Bei der Orientierung in diesem (fürs Web zugegeben recht umfangreichen) Artikel helfen die Zwischenüberschriften in Großbuchstaben, die Projekt-Regionen und Schwerpunkte benennen:

  • Wangen im Allgäu: Abbruchmaterial wird zu Rohstoff
  • Kirchheim bei München: Kies, der zweimal lebt
  • Köln: Materialien der DuMont-Kunsthalle ressourceneffizient verbauen
  • Heidelberg: Baustoffe-Schätze katalogisieren

1) WANGEN IM ALLGÄU: ABBRUCHMATERIAL WIRD ZU ROHSTOFF

Seit Ende 2021 entsteht auf dem Gelände eines ehemaligen Seniorenzentrums in Wangen im Allgäu das „Vinzenz Areal“ – ein soziales Wohnquartier mit sechs neuen Gebäuden, das Anfang 2024 bezugsfertig sein soll. Beim Abbruch des aus den späten 1960er-Jahren stammenden vierstöckigen Gebäudes verfolgen die Verantwortlichen einen neuen Ansatz: Statt die Betonabfälle, wie meist üblich, nur minderwertig weiterzuverarbeiten (beispielsweise als Verfüllmaterial im Straßenbau), werden diese hochwertig vor Ort für den Wohnbau aufbereitet. Nach dem Prinzip des „Urban Mining“ dient das alte Gebäude als Rohstoffdepot, um die darin verwendeten Bauteile und -materialien zu gewinnen und wiederzuverwerten.

Während die Georg Reisch GmbH & Co. KG (Bad Saulgau) eine Prozesskette entwickelt hat, die aus dem Abbruchmaterial eine „RC-Körnung“ erstellt, wird im Betonwerk Hans Rinninger u. Sohn GmbH u. Co. KG (Kißlegg) ein hochwertiger Recyclingbeton (R-Beton) produziert, manchmal auch als ressourcenschonender Beton bezeichnet.

Im Großraum Stuttgart sei R-Beton zwar gang und gäbe, werde aber im Allgäu, einer an Kiesvorkommen reichen Region, bislang nur wenig verwendet, sagt Sebastian Geiger, Verantwortlicher für den Bereich Forschung & Entwicklung im Hause Reisch. „Wir haben dennoch dieses Projekt angestoßen, weil wir unseren Beitrag leisten wollen, um langfristig Primärrohstoffe und Deponieraum einzusparen.“ Im Vorfeld seien zahlreiche Laborversuche erforderlich gewesen, um aus dem Abbruchmaterial eine geeignete Gesteinskörnung zu erzeugen, die den Rohstoff Kies im Beton gleichwertig ersetzt.

Das frühere Seniorenzentrum von St. Vinzenz in Wangen wurde abgerissen; rund 15.000 Tonnen Betonbruch werden wiederverwendet.

Foto: Reisch

Betonbruch zu RC-Körnung verarbeiten

Auf der Baustelle in Wangen fallen ca. 15.000 Tonnen Betonbruch an, den es zu verarbeiten gilt. Am Bagger, der die Abbrucharbeiten durchführt, sind ein Sortiergreifer und ein Pulverisierer angebracht, die das Material erst sortenrein trennen und es dann zu Betonabbruch verarbeiten, der zunächst als Abfall eingestuft wird. Ebenso werden Proben genommen und auf chemische Parameter untersucht, die für die anschließende Lagerfläche und die spätere Zertifizierung relevant sind. Als Ort für die Lagerung wurde eine Brache unweit der Baustelle gewählt, um CO2-Emissionen zu sparen, die durch den Lkw-Transport entstehen.

Zur Erzeugung der RC-Körnung kommt auf der Baustelle ein mobiler Prallbrecher (Hersteller: Kleemann; Typ: Mobirex EVO) zum Einsatz. „Diese Anlage zerkleinert den Betonabbruch in Körner mit einer Größe zwischen null und 22 Millimeter, die anschließend noch einmal abgesiebt und nach Kornfraktionen sortiert werden“, erklärt Geiger. „Nach diesem Schritt kann das Material zu einem Produkt zertifiziert werden und verliert dadurch wieder seinen Abfallstatus.“

Ein Bagger befüllt den Prallbrecher auf dem unweit gelegenen Zwischenlager.

Foto: Reisch

Hochwertigen Recyclingbeton produzieren

Die größere Korngruppe (4 bis 22 Millimeter) wird danach im nahegelegenen Transportbetonwerk Rinninger zu RC-Beton verarbeitet. „Weil die Kleinfraktionen aus dem gesiebten Abbruchmaterial nicht im Beton verwendet werden dürfen, wird die RC-Körnung, die wir mit unseren Fahrzeugen auf der Baustelle abholen, mit Natursand gemischt“, erläutert Geschäftsführer Marcus Winterfeld. Hinzu kommen Wasser, Zement und einige Zusatzmittel. Das Unternehmen sei in der Lage, eine auf die jeweilige RC-Körnung exakt zugeschnittene Rezeptur zu entwickeln.

So entstehe ein für die anvisierte Maßnahme zu 100 Prozent geeigneter Recyclingbeton, der dann beim Neubau verarbeitet wird. Um eine mit Neuware gleichwertige Betonqualität zu fertigen, waren Anpassungen an den Anlagen notwendig und es werde zudem auf klinkerreduzierte Zementsorten gesetzt, um zusätzlich CO2 einzusparen. „Noch ist dieses Verfahren teurer als die herkömmliche Betonproduktion“, klagt Winterfeld. „Dennoch sind wir hier gerne mit dabei, denn wir sehen es als unsere Pflicht an, Ressourcen zu schonen.“

Qualität überprüfen: Der Recyclingbeton aus dem Betonwerk Rinninger steht einem herkömmlichen Beton in nichts nach.

Foto: Rinninger

Hochschule in Konstanz begleitet das Projekt

Verwendung finden größtenteils auch die kleineren Korngruppen aus dem Abbruch. Reisch will sie beim Vinzenz-Projekt zum Beispiel als Rohrbettungsmaterial für Grundleitungen und zur Entwicklung von R-Estrich (Fraktionen ab 2 mm) nutzen. Geplant ist ebenso, das Material für Deckenschüttungen zu verwenden.

Was sich dabei genau für welchen Zweck eignet, will das Bauunternehmen im Laufe des Verfahrens herausfinden – noch fehle es an Erfahrung; insofern handle es sich hier um ein Pilotprojekt, das von der Fakultät BI der Hochschule Konstanz Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG) begleitet wird. „Egal, was dabei herauskommt“, sagt Sebastian Geiger, „das Material wird auf jeden Fall so hochwertig wie möglich wiederverwendet.“

Fest stehe dagegen schon jetzt der ökologische Nutzen, da 15.000 Tonnen Betonbruch fast vollständig wiederverwertet werden. „Damit spart man rund 650 Kippsattelzüge Material, das nicht aus einem natürlichen Vorkommen entnommen werden muss“, schätzt Winterfeld. Das schont Kiesvorkommen in der Region, entlastet Deponien und reduziert die durch Transporte entstehende Menge an CO2.

Ökologisch wertvoll, aber zu hohe Kosten

Auch Reisch sieht das Projekt unter wirtschaftlichen Aspekten noch kritisch: „Das Ganze rechnet sich noch nicht“, so Geiger, der mit der Betonqualität zufrieden ist: „Der RC-Beton steht in der Qualität dem herkömmlichen Beton zwar in nichts nach, die Kosten für das Herstellen von Recyclingbeton sind aber derzeit noch zu hoch.“ Da jedoch Nachhaltigkeit und Ökologie an Bedeutung gewinnen, sei es heute schon sinnvoll, solche Projekte anzustoßen.

2) KIRCHHEIM BEI MÜNCHEN: KIES, DER ZWEIMAL LEBT

Im Rathausviertel von Kirchheim bei München fielen bei der Baugrubenerstellung für ein neues Wohnquartier tonnenweise Kiesaushub an, der nun für die Betonherstellung wiederverwendet wird. Bevor die wertvolle Ressource ausgehoben werden konnte, waren jedoch einige Arbeitsschritte notwendig.

Im ersten Schritt wurde die Baustelle eingerichtet, also die Baustelleabgrenzung aufgestellt, Zufahrtswege hergestellt sowie Lagerflächen für die Aushubmassen vorbereitet. Anschließend wurde die Baugrubenplanung erstellt – das Herzstück aller Arbeiten, wie Burc Akker, Bauleiter aus dem Bereich Bauer Umwelt der Bauer Resources GmbH berichtet. „Gerade wenn ein Projekt in nur acht Wochen realisiert wird, muss jeder Handgriff geplant sein“, betont er. Das nimmt zunächst einige Zeit in Anspruch – ein Aufwand, der sich erfahrungsgemäß aber immer auszahle.

Insgesamt wurden bei dem Projekt in Kirchheim bei München 33.000 Kubikmeter Kies ausgehoben und zur Weiterverarbeitung transportiert.

Foto: Bauer Group

Erst dann erfolgte schrittweise der Aushub der Baugruben bis zu einer Tiefe von 3 Meter. Dabei wurden insgesamt 38.000 Kubikmeter Material ausgehoben und entsorgt. Die hierbei angefallenen 33.000 Kubikmeter Kies wurden direkt verladen, in ein nahegelegenes Kieswerk transportiert und dort aufbereitet, sodass sie zu Beton verarbeitet werden können. Im Vergleich dazu seien bei der Herstellung von herkömmlichem Beton der CO2-Ausstoß und Ressourcenverbrauch immens.

Die Rolle von recyceltem Kies

Allein in Deutschland werden jährlich ungefähr 27,5 Millionen Tonnen Beton hergestellt. Würde nur ein kleiner Teil davon aus recyceltem Kies produziert, dann wäre die Betonherstellung ein ganzes Stück nachhaltiger. Natürliche Rohstoffe würden geschont und Aushubmassen müssten nicht deponiert werden. „Der ausgehobene Kies wird also dringend benötigt und wertet auch die Arbeit des Teams vor Ort gewaltig auf“, so Vertriebsleiter Thomas Reinthaler aus dem Bereich Bauer Umwelt der Bauer Resources GmbH.

Abschließend stellt das Team vom Bereich Bauer Umwelt noch das Grobplanum her und bringt eine Trägerbohlwand zur Sicherung der Baugrube tief in die Erde ein. Sind diese Arbeiten abgeschlossen, wird bald ein modernes Wohnquartier mit 138 Wohnungen und 28 Reihenhäusern die Gemeinde Kirchheim bei München bereichern.

3) KÖLN: MATERIALIEN RESSOURCENEFFIZIENT VERBAUEN

Um das zirkuläre Bauen weiter voranzutreiben, haben sich digitale Plattform für ressourceneffizientes Bauen Concular und der Immobiliendienstleister Bauwens zusammengetan. Gemeinsam suchen sie einen neuen Standort für ein Stück Kunstgeschichte in Köln: Die DuMont-Kunsthalle soll an einem neuen Ort weiterleben. Der Verkauf der Halle läuft noch bis 31. August. Die Stahlkonstruktion mit den sechs Sheddächern gilt als ein Stück industrielle und brutalistische Baukultur. Zum Verkauf steht eine Gesamtfläche von 1 800 m².

„Auch wenn auf diesem Gelände nun Neues entstehen wird, macht uns der Gedanke froh, dass die Halle oder Teile davon und mit ihr die Erinnerung an große Zeiten ein Weiterleben haben wird“, sagt Christian DuMont Schütte. „Und der Ansatz, Materialien der Halle ressourceneffizient neu zu verbauen und so im Kreislauf der Bauwirtschaft belassen zu können, überzeugt natürlich gerade in der heutigen Zeit im Sinne der Kunst als auch der Nachhaltigkeit.“ Verleger und Kunstmäzen Alfred Neven DuMont hatte Gebäude aus dem Jahr 1967 auf dem eigenen Firmengelände 1988 umbauen lassen, um dem öffentlichen Mangel an Ausstellungsflächen abzuhelfen.

Concular stellt im Web Daten über die vorhandenen Materialien unter concular.de/de/neven-dumont-kunsthalle-koeln bereit.

Foto: VDI Fachmedien / K. Klotz

Im Gebäude befinden sich circa 300 Bauteile bestehend aus Stahlstützen und Stahlträgern sowie Beförderungstechnik, Treppen und sogar zwei Rutschen – gut geeignet zum Beispiel für die Nutzung als Lager- oder Industriehalle oder Depot. Durch die Historie und den industriellen Charme der Halle bieten sich allerdings auch eine Reihe alternativer Einsatzmöglichkeiten, wie beispielsweise für Events oder Veranstaltungen.

Das Gebäude mit historischem Hintergrund ist eines der neuesten Projekte von Concular. „Ohne Bauwende wird es keine Klimawende geben“, betont Annabelle von Reutern, Head of Business Development Concular: „Das zirkuläre Bauen und der Einsatz von vorhandenen Ressourcen aus bestehenden Objekten wird die Branche dorthin bringen.“

4) HEIDELBERG: BAUSTOFF-SCHÄTZE KATALOGISIEREN

Erst kürzlich hatten wir gemeldet, dass Heidelberg die Baustoffe-Schätze der Stadt heben will und mit der Erfassung der verbauten Materialien dazu den ersten Schritt geht.

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Von Rinninger, Bauer, Concular / Karlhorst Klotz