So kann der Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2030 gelingen
Der Übertragungsnetzbetreiber Amprion hat in zehn Punkten die gewaltigen Hürden aufgezählt, die es zu überwinden gilt, wenn das Ziel des Kohleausstiegs bis 2030 ohne Einbußen bei der Versorgungssicherheit erreicht werden soll.
Der Ausstieg aus der Kohleverstromung in Deutschland bis 2030, wie es die Bundesregierung anstrebt, ist möglich. Das hat eine Analyse des Dortmunder Übertragungsnetzbetreibers Amprion ergeben. Doch um das Ziel zu erreichen sind gewaltige Hürden im politischen, rechtlichen und technischen Bereich zu überwinden. Amprion hat sie in einem Zehn-Punkte-Programm zusammengefasst.
Stromnetze müssen noch stärker ausgebaut werden
Mit dem heute schon umstrittenen Netzausbau, wie er bisher geplant war, ist es danach nicht getan. Es müsse viel mehr gemacht werden. Doch die heute zur Verfügung stehenden Instrumente reichen bei weitem nicht aus, den zusätzlichen Strom, der vor allem in der Nordsee erzeugt wird, so zu verteilen, dass das Netz stets sicher betrieben werden kann. So wird etwa für die Zeit von 2040 bis 2050 allein für Nordrhein‐Westfahlen ein zusätzlicher Transportbedarf von 30 GW erwartet, was Amprion direkt berührt. Das Unternehmen ist vor allem im bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland aktiv.
Amprion: Klimaschutz muss Vorrang haben
Wie Deutschland die Energiewende schaffen kann
Es müsse vor allem schneller gehen. Ein großes Hindernis, so die Autoren der Analyse, sei die genehmigungstechnische Gleichbehandlung von Infrastrukturprojekten, die mittel‐ und unmittelbar dem Klimaschutzziel dienen, mit Vorhaben, die nicht zu diesem Ziel beitragen. Das sorge für massive Verzögerungen. Ursache dieser Gleichbehandlung sei, dass nationale Genehmigungsverfahren die internationalen, europäischen, nationalen und überregionalen Auswirkungen eines Projekts auf Umwelt und Klima „nahezu ausblenden“ und rein lokal betrachtet würden. „Der gültige Genehmigungsrahmen macht eine Abwägung zwischen spezifischen regionalen Bedenken mit dem Gesamtnutzen eines Vorhabens für die Umwelt und den Klimaschutz zu Gunsten von Letzterem nahezu unmöglich“, klagt Amprion.
Kritisch: Die Sicherung der Momentanreserve
„Es reicht nicht, nur darüber nachzudenken, ob im Jahr 2030 ausreichend gesicherte Erzeugung vorhanden ist“, so Amprions Technik-Vorstand Hendrik Neumann. „Für einen Kohleausstieg bis 2030 müssen wir alle Elemente betrachten, die für einen sicheren Systembetrieb notwendig sind.“ Damit verbunden seien Fragen bezüglich der Netzstabilität. Vor allem für die Momentanreserve, die bislang weitgehend von den Turbogeneratoren der Wärmekraftwerke gestellt wird, müssen gigantische Ersatzkapazitäten geschaffen werden, um bei Störungen den Ausfall von großen Teilen des europäischen Verbundnetzes zu vermeiden. Den Bedarf beziffert Amprion vorläufig auf 516 GWs bis 2030.
Ersatz für Turbogeneratoren gesucht
Die Momentanreserve ist unabdingbar, um die Frequenz des Stroms nahe 50 Hz zu halten. Schon weniger als ein Hertz mehr oder weniger wird zur Gefahr für das Netz und kann zu einem großflächigen Blackout führen. Turbogeneratoren gleichen Netzschwankungen durch ihre Massenträgheit aus – sie laufen mal ein bisschen schneller, mal ein bisschen langsamer, je nachdem, wie sich die Frequenz im Netz ändert. Der Mensch muss nicht eingreifen, der Stabilisierungsprozess läuft automatisch ab. Erst wenn nach den ersten Sekunden keine Besserung in Sicht ist müssen weitere Reserven mobilisiert werden, etwa Pumpspeicher- und Erdgaskraftwerke.
Virtuelle Kraftwerke sind gefragt
Das Elektroauto wird zum Mini-Kraftwerk
Wenn es die mächtigen Turbogeneratoren nicht mehr gibt – die in Erdgaskraftwerken sind, weil meist kleiner, längst nicht so leistungsfähig –, müssen andere Systeme einspringen. Derzeit sind es fast ausschließlich Batterien, die Netzschwankungen ausgleichen können. Eine typische 10-MW-Anlage stellt pro Sekunde gerade mal 10 MWs bereit, ein Klacks, verglichen mit dem Bedarf von 516 GWs. Virtuelle Kraftwerke, die aus privaten Solarbatterien und Elektroautos aufgebaut sind, die an bidirektionalen Ladestationen hängen, werden die riesige Lücke nur zu einem Teil füllen können. Nötig sind zahlreiche Batterien, die direkt mit Solar- und Windparks gekoppelt sind. An der Technischen Universität Dresden beispielsweise wird ein Stromrichter in Kombination mit einer Batterie im Turm von Windkraftanlagen entwickelt, der den Windstrom und bei Bedarf den Batteriestrom ans Netz anpasst und einspeist.