Strom: Europa schrammt am Blackout knapp vorbei
Strommangel in Rumänien löst einen dramatischen Absturz der Netzfrequenz aus. Der Ausbau erneuerbarer Energien, die extrem wetterabhängig sind, verstärkt die Risiken für die Zukunft, denn es gibt zu wenig Ersatz für Kohle- und Atomstrom.
Am 8. Januar, 14:05 Uhr, drohte Europa in der Dunkelheit zu versinken. Das Stromnetz, das von Dänemark im Norden, Spanien, Italien und Griechenland im Süden, der Nordsee im Westen und Polen, Rumänien und Bulgarien im Osten reicht, drohte zusammenzubrechen. Ursache war ein plötzlicher Abfall der Netzfrequenz um 250 mHz. Im Normalfall schwankt sie in engen Grenzen um 50 Hz. Sekundenschnelle Reaktionen der Netzbetreiber war nötig, um das Schlimmste zu verhindern, eben den totalen Blackout.
Südosteuropa wurde von Europas Netz getrennt
Der Abfall der Netzfrequenz ließ sich schnell orten. In Rumänien wurde von eine Sekunde auf die andere erheblich weniger Strom erzeugt als im Netz benötigt wurde. Kurzerhand trennten die Operateure Südosteuropa vom gemeinsamen Netz der Union für die Koordinierung des Transports von Elektrizität (UCTE). Gleichzeitig wurden Großverbraucher in Italien und Frankreich vom Netz abgeschnitten, um das Defizit auszugleichen; Österreich ließ Stand-by-Kraftwerke hochfahren. Nach einer Stunde hatte sich die Lage so weit stabilisiert, dass das gekappte Teilnetz wieder synchronisiert werden konnte. Die österreichische Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV) sprach von der schwersten Störung im europäischen Stromnetz seit mehr als 14 Jahren.
Der Verband der industriellen Energie und Kraftwirtschaft VIK reagierte alarmiert. Der Vorfall müsse allen eine Warnung sein, erklärte Geschäftsführer Christian Seyfert. „Deutschland kann nicht davon ausgehen, dass wir schon irgendwie aus dem europäischen Ausland versorgt werden, sollte es bei uns nicht ausreichend Strom geben.“ Eine sichere Stromversorgung sei gerade für im internationalen Wettbewerb stehende Industrieunternehmen „ein entscheidender Standortfaktor“, betonte er.
Zahl der Noteinsätze erhöht sich
Der Stromversorger Wien Energie ist mit Verweis auf den österreichischen Übertragungsnetzbetreiber Austrian Power Grid (APG) der Überzeugung, dass Europa nur knapp einem Blackout entgangen ist. Der vermehrte Ausbau von erneuerbaren Energien und die damit verbundene volatile Erzeugung von Wind- und Sonnenstrom führe dazu, dass die Stromnetze immer stärkeren Schwankungen ausgesetzt sind. So habe sich die Zahl von Noteinsätzen in den letzten Jahren von rund 15 auf bis zu 240 pro Jahr erhöht, erklärte Wien Energie.
Auch in der Politik rief die plötzliche Frequenzabweichung besorgte Reaktionen hervor. Der energiepolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Martin Neumann, sagte, der Vorfall zeige, dass die europäische Versorgungssicherheit auf wackligen Beinen stehe.
Wind- und Solarstrom sind stark wetterabhängig. Bei einer installierten Leistung von nahezu 100 GW in Deutschland kann die Stromproduktion extrem schwanken. Bei einem aufziehenden Sturm etwa pumpen die Windgeneratoren mehr Strom ins Netz als es verkraften kann. Ähnlich brenzlig wird es, wenn plötzlich Wolken aufziehen und die Solaranlagen schwächeln lassen.
Kohle- und Kernkraftwerke gleichen Netzschwankungen selbstständig aus, wenn sie nicht zu groß sind. Die Generatoren stemmen sich mit ihren gewaltigen Massen gegen Schwankungen. Wird zu viel Strom ins Netz eingespeist drehen sie sich ein bisschen langsamer, produzieren also weniger Strom. Das reduziert auch die Frequenz ein wenig. Bei Strommangel ist der umgekehrte Effekt zu beobachten. Der Absturz am 8. Januar war allerdings so heftig, dass die Selbstheilungskräfte der Wärmekraftwerke bei weitem nicht ausreichten.
Netzstabilisierer fallen zunehmend weg
Mit der langsamen Abkehr von der Kohle und der schnellen bei der Kernenergie fallen diese Regulierer nach und nach weg. Die Netzbetreiber brauchen Alternativen, also riesige Stromspeicher. Derzeit sind das lediglich Batterien sowie Pumpspeicher- und Erdgaskraftwerke, die schnell reagieren können. Deren Kapazität ist allerdings bei weitem nicht ausreichend, auch wenn gerade NordLink dazugekommen ist. Dieses Seekabel transportiert im Notfall bis zu 1 400 MW norwegischen Stroms, der aus der Wasserkraft stammt, nach Deutschland. Umgekehrt fließt ebenso viel Windstrom nach Norwegen, wenn es hierzulande stürmt.