Helgoland wird zum Wasserstoff-Giganten
Bis 2035 sollen zusätzliche Windparks mit einer Leistung von 10,3 Gigawatt in der Nordsee gebaut werden. Der Strom wird auf hoher See zur Herstellung von Wasserstoff genutzt.
Ein europäisches Konsortium, angeführt vom Essener Energiekonzern RWE, will bis 2035 in der Nordsee sechs Windparks mit einer Gesamtleistung von 10,3 Gigawatt bauen. Der dort erzeugte Strom soll allerdings nicht an Land transportiert werden, sondern auf hoher See Elektrolyseure zur Herstellung von Wasserstoff durch Wasserspaltung versorgen. Dieser wird per Pipeline nach Helgoland transportiert, dessen Hafen bereits eine logistische Zentrale für den Bau von Offshore-Windenergieanlagen ist. Hier wird der Wasserstoff verflüssigt und für den Eigenbedarf genutzt. Die Helgoländer denken daran, eine Großtankstelle für Schiffe zu bauen, die von Elektromotoren angetrieben werden und ihren Strom aus Brennstoffzellen an Bord beziehen. Die müssten allerdings noch gebaut werden. Denkbar ist auch die Versorgung von Inselfahrzeugen. Die Überschüsse sollen per Tankschiff zum Festland gebracht werden.
Pipeline von Helgoland zum Festland
Wenn die Mengen größer werden soll Helgoland per Pipeline mit dem Festland verbunden werden, um den Wasserstoff an Endkunden verteilen zu können. Das sind Tankstellen, die chemische Industrie und Stahlwerke, die damit Koks und Kohle ersetzen wollen. Aber auch Raffinerien und Produktionsanlagen, die synthetische Treibstoffe aus Wasserstoff und Kohlendioxid herstellen. Das Klimagas wird dazu direkt der Luft entnommen oder von Biogasanlagen zugeliefert, in denen es als Abfallprodukt anfällt.
Der Start der AquaVentus genannten Initiative sieht wie folgt aus: Vor der einzigen deutschen Hochseeinsel werden zunächst zwei Windgeneratoren mit einer Leistung von voraussichtlich jeweils 14 Megawatt errichtet. Das sind derzeit die größten der Welt. Siemens, das dem Konsortium angehört, könnte sie liefern. An jede soll im unteren Bereich des Turms ein Elektrolyseur mit der gleichen Leistung angeflanscht werden. Für die Pipelines dürfte der niederländische Betreiber Gasunie zuständig sein, der ebenfalls Mitglied ist.
Elf Milliarden Kubikmeter grüner Wasserstoff
Um die gigantischen Mengen an Windstrom umzuwandeln werden später ganze Batterien von Elektrolyseuren installiert, entweder an den Türmen der Windgeneratoren oder, was wahrscheinlicher ist, auf Plattformen, die denen zur Gasförderung ähneln und am Meeresgrund verankert sind. Im Endausbau werden sie pro Jahr eine Million Tonnen Wasserstoff produzieren. Das entspricht rund 11 Milliarden Normkubikmetern, das ist gut die Hälfte der 20 Milliarden Kubikmeter, die Deutschland heute verbraucht. Allerdings wird dieser Wasserstoff noch fast ausschließlich aus fossilen Quellen wie Erdgas und Naphta produziert. Da künftig weitere Verbraucher hinzukommen werden, ist AquaVentus trotz seiner gigantischen Dimensionen nur eine Teillösung für das Gelingen der Dekarbonisierung, also den Verzicht auf die Nutzung von Kohle, Erdöl und Erdgas.
Jörg Singer, Bürgermeister von Helgoland und Vorsitzender des Fördervereins AquaVentus, glaubt, dass der auf hoher See produzierte Wasserstoff konkurrenzfähig wird. Da der Strom nicht transportiert wird – dazu wäre der Neubau von fünf Hochspannung-Gleichstrom-Übertragungsleitungen nötig –, sondern der erzeugte Wasserstoff über eine einzige Pipeline transportiert wird, gebe es hier schon eine hohe Kosteneinsparung. Wenn Öl und Gas teurer werden und die Kohlendioxid-Steuer deutlich steigt, wird Wind-Wasserstoff im Verhältnis noch billiger.
Platz für 1000 Gigawatt?
10,3 Gigawatt müssen nicht das Ende sein. Die Gemeinde Helgoland ist der Meinung, dass die Nordsee im deutschen Bereich Platz für 1000 Gigawatt Windstrom hat. Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Bernd Buchholz – Helgoland gehört politisch zum Bundesland zwischen den Meeren – ist optimistisch, was die Realisierung von AquaVentus angeht: „Ich bin sicher, dass dieses Vorhaben gelingen und Strahlkraft für das ganze Land entfalten wird.“
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