Mit Wind und Wasserstoff zur Energiewende
Ungenutzte Windenergie soll die Energiewende voranbringen. Alle Sektoren werden bedient. Selbst Jets sollen künftig ohne Belastung für das Klima fliegen.
Wenn mehr Windstrom erzeugt wird als verbraucht werden kann, wenn alle Pufferspeicher gefüllt und Exporte nicht mehr möglich sind, müssen ganze Windparks abgeschaltet werden, damit das Stromnetz nicht zusammenbricht. Die Mühlenbetreiber erhalten dann eine Entschädigung. Im Jahr 2019 waren das 719 Mio. €, die über das so genannte Netzentgelt abgedeckt werden. Das wiederum wird auf alle Verbraucher umgelegt.
Auch die Wärme lässt sich umweltneutral erzeugen
Das Geld lässt sich einsparen, etwa mit Projekten wie „Westküste 100“. Westküste deutet auf den Standort hin: Heide in Schleswig-Holstein, nahe der Nordseeküste. Die „100“ steht für eine 100-prozentige emissionsfreie Versorgung des Energiesektors, der ja weit mehr ist als die Stromversorgung. Dazu zählen der Verkehr, der heute noch weitgehend fossile Treibstoffe verbraucht, und die Wärmeerzeugung, bei der es ähnlich aussieht. „Westküste 100“ will sauberen Strom ins Netz einspeisen, Wasserstoff für den Einsatz in Brennstoffzellen erzeugen – diese könnten elektrisch betriebene Fahrzeuge, vor allem Lkw, Schiffe und Flugzeuge, und Kleinkraftwerke in Wohnhäusern nutzen. Da sie nicht nur Strom, sondern auch Wärme erzeugen, wäre auch das Heizproblem gelöst.
Großabnehmer könnte auch die Stahlindustrie sein. Wasserstoff könnte Koks ersetzen. Getestet wurde das Verfahren bereits bei ThyssenKrupp in Duisburg. Auch in Schweden läuft eine Versuchsanlage, die der Stahlkonzern SSAB, der Eisenerzproduzent LKAB und der Stromerzeuger Vattenfall aufgebaut haben. Weiterer Abnehmer wäre die Zementindustrie, die weltweit für bis zu acht Prozent der Kohlendioxid-Emissionen verantwortlich ist.
Grundlage für synthetischen Sprit
In Deutschland gibt es gut 58 Millionen Straßenfahrzeuge, die fast ausschließlich mit Diesel und Benzin betrieben werden. Dass sie innerhalb von wenigen Jahren gegen Elektroautos ausgetauscht werden, ist mehr als unwahrscheinlich, zumal der Staat wegen der Corona-Pandemie einen gigantischen Schuldenberg auftürmt. Da bleibt für einen finanziellen Anreiz zum Kauf von konventionellen oder fortschrittlichen Elektroautos kaum Luft.
„Westküste 100“ hat die Lösung: Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, Schiffe und Flugzeuge könnten statt Treibstoffe auf fossiler Basis synthetischen Sprit tanken, der aus Wasserstoff und Kohlendioxid hergestellt wird. Wasserstoff entsteht in Elektrolyseuren, die mit Ökostrom betrieben werden. Auf dem Gelände der Raffinerie Heide ist ein solches Gerät bereits in Betrieb. Er wird für die Entschwefelung von Treibstoffen genutzt. Für das sektorübergreifende Projekt wird ein weiterer Elektrolyseur mit einer Leistung von 30 Megawatt installiert. Er soll 2023 in Betrieb gehen.
Zwei Jahre später soll eine weitere Anlage mit einer Leistung von 700 Megawatt in Betrieb gehen. Ihren Strom beziehen die Elektrolyseure aus Windenergie, die in Schleswig-Holstein aus Onshore- und Offshore-Quellen reichlich zur Verfügung steht. Ein Teil des Wasserstoffs wird in das Erdgasnetz der Stadtwerke Heide eingespeist. Das ist problemlos möglich, wenn der Wasserstoffanteil zwei Prozent nicht übersteigt. Technisch möglich ist ein deutlich höherer Prozentsatz.
Um zu testen, wie sich Wasserstoff als Energierohstoff für vielfältige Zwecke speichern lässt, soll ein Teil davon in einer Kaverne, also einem unterirdischen Hohlraum, gespeichert werden. Das leichteste aller Gase im Periodensystem der Elemente stellt hier besondere Anforderungen an die Dichtheit der Wände.
Treibstoffe mit CO2 aus der Zementindustrie
Synthetische Treibstoffe, darunter Kerosin, das Flugzeuge mit der Umwelt weitgehend versöhnen kann, sollen mit Kohlendioxid hergestellt werden, das bei der Zementproduktion frei wird. „Für die perspektivische Treibstoffherstellung werden Wasserstoff aus der Elektrolyse und unvermeidbares CO2 aus der regionalen Zementproduktion im Holcim-Werk Lägerdorf für den Herstellungsprozess eingesetzt“, sagt Thorsten Hahn, CEO des Zementherstellers Holcim Deutschland. „Für uns als Baustoffproduzent ist Westküste 100 ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Dekarbonisierung der Zementproduktion.“ Das Kerosin soll am Flughafen Hamburg „ausgeschenkt“ werden.
Projektpartner sind neben der Raffinerie Heide, ThyssenKrupp, den Stadtwerken Heide und Holcin EDF Deutschland, die Fachhochschule Westküste in Heide, der Gasnetzbetreiber OGE, der Windparkbetreiber Oerstedt, die Entwicklungsagentur Region Heide und Thüga in München.
In der kommenden Woche stellen wir zwei weitere deutsche Großprojekte zur Herstellung von Wasserstoff sowie synthetischem Methan und Treibstoffen vor.
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