Belastung mit aromatischen Kohlenwasserstoffen, ETBE und MTBE an Tankstellen
Zusammenfassung Bei dieser Untersuchung wurden die Konzentrationen verschiedener aromatischer Kohlenwasserstoffe (BTEX-Verbindungen), mit besonderem Augenmerk auf Benzol, sowie von Methyl-tert-butylether (MTBE) und Ethyl-tert-butylether (ETBE) in der Luft in Kassenräumen von Tankstellen und in der Umgebung von Tankstellen ermittelt. In den Kassenräumen wurde mittels passiver Probenahme über sieben Tage (jeweils im Winter und im Sommer) ein Median von 3,8 μg/m³ Benzol, 72,3 μg/m³ Toluol, 6,1 μg/m³ Ethylbenzol und 34,7 μg/m³ Summe-Xylole beobachtet. MTBE konnte nicht oberhalb der Bestimmungsgrenze von 0,05 μg/m³ gefunden werden, ETBE mit einem Median von 3,3 μg/m³. Die Konzentrationen waren im Sommer etwas höher als im Winter – statistisch allerdings nicht signifikant. Für die Aromaten gibt es Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen den Gehalten in den Kassenräumen und dem Abstand zur ersten Zapfsäule. Ungefähr 30 % der Messergebnisse in den Kassenräumen liegen oberhalb einer Konzentration von 5 μg/m³, die derzeit als Referenzwert angesehen werden könnte.
1 Einleitung
Aromatische Kohlenwasserstoffe finden in großem Umfang in technischen Prozessen und als Lösemittel Einsatz. Ein besonderer Vertreter ist Benzol, das natürlicherweise vor allem in Steinkohle und Erdöl vorkommt bzw. daraus gewonnen wird. Es tritt auch im Rahmen von unvollständigen Verbrennungen auf. Heute sind jedoch im Wesentlichen Emissionen aus Motorkraftstoffen von Bedeutung. Es handelt sich um eine sehr flüchtige Substanz, die insbesondere auf das Knochenmark wirkt. Zahlreiche tierexperimentellen Studien haben sowohl nach oraler als auch inhalativer Exposition Tumore induziert, z. B. Lymphome und Leukämien. Epidemiologische Studien an exponierten Arbeitern kommen zu vergleichbaren Ergebnissen. Benzol ist als eindeutiges Humankanzerogen eingestuft [1; 2].
Neben Benzol sind auch weitere aromatische Kohlenwasserstoffe und andere kraftstofftypische Substanzen relevant. So werden Sauerstoff abgebende Substanzen wie Methyl-tert-butylether (MTBE) und Ethyl-tert-butylether (ETBE) dem Kraftstoff gezielt zugemischt, um die Abgasemissionen zu vermindern, den Gehalt an Aromaten zu reduzieren und die Oktanzahl zu erhöhen. Nachdem im Rahmen der großflächigen MTBE-Anwendung Umweltprobleme aufgetreten waren, wurde der Einsatz in manchen Staaten untersagt bzw. es wurde auf andere Stoffe – wie ETBE – ausgewichen. ETBE hat gegenüber MTBE den Vorteil, dass es zu knapp 50 % aus Bioethanol hergestellt werden kann und so den NAWARO(nachwachsende Rohstoffe)-Anteil in den Kraftstoffprodukten erhöht. MTBE und ETBE zeigten im Tierexperiment in hohen Dosen Veränderungen in Leber und Nieren und in sehr hohen Dosen auch Effekte auf das Nervensystem [3; 4]. Beim MTBE gibt es Hinweise auf ein kanzerogenes Potenzial, allerdings wird es von der Krebsagentur der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bisher nicht entsprechend eingestuft [5].
Wie Messungen der Immissionsschutzbehörden zeigen, haben die Benzolgehalte in der Außenluft im Verlauf der letzten Jahrzehnte kontinuierlich abgenommen. Die mittels Passivsammlern ermittelten Jahresmittelwerte lagen z. B. 2015 an 16 Messstationen in Bayern zwischen 0,4 (ländliches Gebiet) und 1,5 μg/m³ (städtisches Gebiet) [6]. Die Tagesmittelwerte der kontinuierlichen Messungen zeigen einen charakteristischen Verlauf, wonach in den Sommermonaten (Mai bis August) sehr niedrige Tagesmittelwerte von ca. 0,1 bis 0,5 μg/m³ gemessen werden. In den übrigen Monaten lagen die Konzentrationen bei ca. 0,5 bis 3 μg/m³. Auch die Tagesmittelwerte unterschreiten mittlerweile in der Regel den Grenzwert des Jahresmittels der Neununddreißigsten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (39. BImSchV) von 5 μg/m³ [7].
Ziel der Untersuchung war es, die Vorgehensweise beim Vollzug der Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz (§ 5 MuSchArbV) an Kassenarbeitsplätzen von Tankstellen auf der Basis neuer Messungen zu begründen. Bis September 2005 haben die Bundesländer den vom Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI) im Leitfaden Nr. 11 veröffentlichten Interventionswert von 25 μg/m³ Benzol als Grundlage für die Hintergrundbelastung der Allgemeinbevölkerung herangezogen. Dieser Wert wurde auf der Basis der 95. Perzentile von repräsentativen Messungen im Rahmen des Umweltsurveys 1985/86 und in Duisburg 1990 abgeleitet. Im September 2005 hat der LASI seine Veröffentlichung jedoch zurückgezogen. Vor diesem Hintergrund ist eine Neubewertung erforderlich. Nach den Leitlinien zur Gefahrstoffverordnung LV 45 A 1.6 [8] üben Tankstellenkassierer keine Tätigkeit mit Gefahrstoffen aus. Daher sind die Bestimmungen der GefStoffV nicht einschlägig, sondern es gelten die Regelungen des Arbeitsstättenrechts und des Mutterschutzrechts.
2 Methodik
2.1 Studienorte und -planung
Der Verband des Kraftfahrzeuggewerbes Bayern e. V. hat auf Anfrage unter seinen Mitgliedern eine Auswahl von 20 Tankstellen im Großraum München (günstig für die Durchführung der Untersuchung) benannt, die sich zur Teilnahme an der Untersuchung bereit erklärten.
Über einen im Rahmen des Projekts erarbeiteten Erhebungsbogen wurden tankstellenspezifische Gegebenheiten erfasst. Dazu gehörten z. B. Kraftstoffumsatz, Öffnungszeiten, Anzahl der Zapfsäulen und Abstand sowie Richtung zur Eingangstür, Standort der Abluftleitung mit Richtung und Abstand zur Eingangstür, Vorhandensein einer (Kfz-)Werkstatt, Lage (städtisch, ländlich, Autobahn/Schnellstraße), Verkaufsraumfläche/-volumen und Lüftung.
2.2 Probenahme
Die 20 Tankstellen wurden jeweils im Sommer und im Winter beprobt, wobei die Winterprobenahme vom 5. Februar 2016 bis 7. April 2016 und die Sommerprobenahme vom 21. Juni 2016 bis 9. August 2016 durchgeführt wurden. Zur Ermittlung eines Wochenmittelwerts umfasste jede Probenahme einen Zeitraum von sieben Tagen.
Bei der Probenahme im Winter wurde der Wochenmittelwert durch passive Probenahme nur im Verkaufsraum ermittelt, im Sommer zusätzlich auch vor dem Eingang bzw. in der Nähe der Zapfsäulen und in der Umgebung der Tankstellen. Die Probenahme im Verkaufsraum erfolgte mit einem Probenahmeset, bestehend aus einem Radialdiffu-sionssammler (Radiello® Typ „VOCs/BTEX thermally desorbed“ Sigma-Aldrich-Supelco RAD145S mit Carbotrap Z Adsorbens und „gelbem“ Diffusionskörper), bezeichnet als „RAD“, und zwei Thermodesorptionsröhrchen mit Diffusionskappe (ohne (Silikon)Membrane; Sigma-Aldrich-Supelco 28017-U), mit CarbopackTM X Sorbens (Sigma-Aldrich-Supelco 28686-U) und Tenax TA® Sorbens (Sigma-Aldrich-Supelco 20010-U), bezeichnet als „FLM“ (von Fence Line Monitoring). Die Probenahme im Sommer vor dem Verkaufsraum erfolgte mit einem RAD- und einem FLM (CarbopackTM X)-Sammler und in der Umgebung der Tankstelle nur mit einem RAD-Sammler. Die Klimadaten im Verkaufsraum wurden mit einem am Probenahmeset befestigten Datenlogger (MSR Electronics Typen MSR 145 oder MSR 145WD) aufgezeichnet. Als Klimadaten für die Außenmessungen wurden die stündlichen Daten der Station 3379 (München) des Deutschen Wetterdienstes herangezogen.
Zusätzlich zu den Passivproben wurden jeweils am Auf- und am Abbautag aktiv Proben mit Thermodesorptionsröhrchen (CarbopackTM X oder Tenax TA® Adsorbens) mittels Probenahmepumpe (0,2 l/min, 20 min) gesammelt.
2.3 Analytik und Ergebnisberechnung
Alle passiv und aktiv auf Adsorbentien gesammelten Proben wurden mittels Thermodesorption (Shimadzu TD-20) desorbiert (Desorptionsfluss: 60 ml/min, -zeit: 10 min, -temperatur: 320 °C (Carbotrap Z und Carbopack X) bzw. 230 °C (Tenax TA)) und über eine fokussierende Kryo-Trap-Tube (gepackt mit Tenax TA (-20 °C/290 °C, 5 min Desorptionszeit)) auf die GC-Säule (Macherey-Nagel Optima 5 ms Accent Länge: 60 m, Innendurchmesser: 0,25 mm, Filmdicke: 1 μm) zur chromatographischen Trennung (Inj. Mode Split, Flow Control Linear Velocity 27,5 cm/s, Carrier-Gas Helium, Split-Ratio 40 (FLM, aktiv)/200 (RAD), Temperatur Programm (58 min): 5 min/35 °C, 5 K/min bis 285 °C, 3 min/285 °C) mit anschließender massenselektiver Detektion (Shimadzu GCMS QP-2010, Ionenquelle 230 °C, SCAN-Mode 0,5 s m/z 29 bis m/z 450) überführt.
Quantifiziert wurden die Verbindungen Benzol, Toluol, Ethylbenzol, m/p-Xylol, o-Xylol, ETBE und MTBE nach Kalibrierung durch Flüssigdotierung über Gasfluss (Argon) 100 ml/min von methanolischen Bezugslösungen, hergestellt aus methanolischen Standardlösungen (BTEX Supelco CRM47993, ETBE Restek 30628, MTBE Restek 30402), auf die jeweiligen Sorbentien und anschließender Thermodesorption. Die Korrektur der Detektorempfindlichkeit je Analysecharge erfolgte über Toluol-d8-Response (dotiert auf alle Probenröhrchen mit Adsorbens Tenax TA).
Die Ergebnisberechnung erfolgte mit der über die Kalibrierung ermittelten absoluten Stoffmasse auf der Probe, bei der passiven Probenahme über die Aufnahmerate und die Probenahmedauer, bei der aktiven Probenahme über das Probenvolumen. Die Aufnahmeraten der Analyten wurden den Datenblättern der Sammler entnommen (RAD und FLM Carbopack X) und hinsichtlich mittlerer Temperatur und mittlerem Absolutdruck während der Probenahme sowie relativer Luftfeuchtigkeit (nur FLM Carbopack X) korrigiert. Da für Tenax TA (Angaben entnommen aus DIN EN ISO 16017-2) keine Aufnahmeraten mit Temperatur- und Druckangabe sowie deren Abhängigkeit von der relativen Luftfeuchtigkeit bekannt war und auch keine Unsicherheitsangaben zur Verfügung standen, wurden die Ergebnisse dieser passiven Proben auf Tenax TA nicht in die Auswertung einbezogen. Da für MTBE und ETBE in den Datenblättern keine Aufnahmeraten genannt sind, wurden sie interpolativ anhand der Aufnahmeraten von Radiello® Typ „VOCs chemically desorbed with CS2“ für RAD bzw. anhand der Diffusionskoeffizienten in Luft über die Sammlerdimension für FLM berechnet.
Die erweiterte Messunsicherheit (Erweiterungsfaktor k = 2), geschätzt als geometrischer Mittelwert relativer Messunsicherheiten der wesentlichen bekannten Einzelbeiträge (Aufnahmerate, Analysensystem, Kalibrierung) beträgt für Radiello® und aktive Probenahme 30 %, für FLM-Sammler Carbopack X 45 %. Für MTBE und ETBE gilt diese Messunsicherheitsschätzung nicht.
3 Ergebnisse
3.1 Ergebnisse in den Verkaufsräumen
In Tabelle 1 sind die statistischen Kennwerte der Messungen in den Verkaufsräumen angegeben.
In Bild 1 sind die Ergebnisse der Benzolkonzentrationen in Verkaufsräumen für die Messungen mit RAD- und FLM-Sammlern in den beiden Jahreszeiten für jede Tankstelle dargestellt.
Die medianen Gehalte waren im Sommer für alle Analyten höher als im Winter, die Unterschiede waren aber nicht statistisch signifikant. Mit Ausnahme von ETBE ergab sich für alle Aromaten eine signifikante Korrelation zwischen den Gehalten in den Verkaufsräumen und dem Abstand zu den Zapfsäulen (r: 0,43 bis 0,57; p < 0,01). Weitere, anfangs signifikante Korrelationen bildeten in nachfolgend aufgestellten linearen Regressionsmodellen keine signifikanten Einflussfaktoren aus. Der Regressionskoeffizient des Einflussfaktors „Abstand zwischen Eingang zum Verkaufsraum und den Zapfsäulen“ beträgt je nach Regressionsmodell ca. – 0,25 μg m-3 m-1 mit 95 %VI [- 0,4; – 0,08] für RAD, – 0,4 μg m-3 m-1 mit 95 %VI [- 0,7; – 0,1] für FLM.
Benzol wurde mittels RAD- und FLM-Sammlern gemessen, deren Ergebnisse gut miteinander korrelieren (r: 0,767, p < 0,001). Es zeigt sich aber, dass der Radiello®-BTEX-TDS-Sammler mit gelbem Diffusionskörper, vermutlich aufgrund einer hohen Zeitkonstante durch die starke Diffusionsbarriere des gelben Diffusionskörpers, kurzzeitige Konzentrationsschwankungen nicht vollständig in den 7-Tage-Mittelwert integriert, während die Charakteristik des FLM-Sammlers derartige Spitzenbelastungen besser erfassen kann.
Die Benzolkonzentration aller Probenahmen in den Verkaufsräumen (passive und aktive Probenahmen) der 20 Tankstellen und zusätzlich die Konzentration vor der Eingangstür/bei den Zapfsäulen sowie in der Umgebung der Tankstelle (Probenahme nur im Sommer) sind in Bild 2 zusammengefasst.
Die Tankstelle, in der sowohl bei der Winter- als auch der Sommermessung die geringsten Benzolkonzentrationen gemessen wurde, war mit einer mechanischen Zu- und Abluftanlage ausgestattet. Es war allerdings die einzige Tankstelle dieser Art in der Untersuchung und bei dieser Tankstelle hatte auch noch der Abstand zwischen Zapfsäulen und Eingangstür zum Verkaufsraum mit ca. 20 m den Maximalwert.
3.2 Ergebnisse an den Zapfsäulen und in der Außenluft der Umgebung
In Tabelle 2 sind die statistischen Kennwerte der Ergebnisse der Passivsammler im Bereich der jeweiligen Zapfsäulen und in der Außenluft der Umgebung der Tankstelle für die Sommermessungen zusammengestellt.
Für alle Aromaten, außer Ethylbenzol, ergab sich eine signifikante Korrelation der Werte an den Zapfsäulen mit denen in Verkaufsräumen.
4 Diskussion
In der Literatur sind verschiedentlich Messergebnisse aus Verkaufsräumen an Tankstellen veröffentlicht worden. In Sachsen-Anhalt wurden 2007 an zehn Tankstellen Benzolgehalte in Innenräumen zwischen 3,7 und 22,6 μg/m³ und in Niedersachsen in 25 Verkaufsräumen zwischen 0,6 und 9,2 μg/m³ gefunden [9; 10], wobei jeweils Passivsammler über sieben Tagen exponiert wurden. Breuer et al. [11] untersuchten 17 Tankstellenbereiche mittels aktiver Probenahme (zweimal hintereinander, jeweils über eine Stunde) in den Jahren 2013/14. Sie fanden im Innenraum mit unseren Messungen vergleichbare Benzolkonzentrationen von < 2,0 bis 8,5 μg/m³ (Median: 4 μg/m³). Im Außenbereich bewegten sich die Gehalte in dieser Studie zwischen 2,2 und 88 μg/m³.
Ein Vergleich unserer Messergebnisse in Kassenräumen mit Ergebnissen einer repräsentativen Untersuchung von 555 Kinderzimmern in Deutschland, dem sogenannten Kinder-Umweltsurvey [12], ergibt ähnliche 95. Perzentile für Benzol in der allgemeinen Wohninnenraumluft im Vergleich zu den untersuchten Kassenräumen. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass die Proben des Umweltsurveys bereits zwischen 2003 und 2006 gesammelt wurden. Man kann annehmen, dass die Belastung seither, analog der Verringerung der Benzolbelastung in der Außenluft, weiter abgenommen hat. So haben wir in einer Untersuchung in 63 Kindertagesstätten 2011/2012 nur noch mediane Benzolgehalte von 2,0 μg/m³ und ein 95. Perzentil von 4,3 μg/m³ beobachtet [13]. Die Arbeitsgemeinschaft ökologischer Forschungsinstitute e. V. (AGÖF) hat im Rahmen eines Forschungsprojekts deutschlandweite Daten zu flüchtigen organischen Substanzen in Innenräumen der Jahre 2010 bis 2012 zusammengestellt [14]. Eine aktuelle Auswertung von Messungen in insgesamt ca. 600 Wohnungen ergab in diesem Zeitraum die in Tabelle 3 zusammengestellten Verteilungsparameter [15].
5 Bewertung der Messergebnisse
Eine Bewertung der Belastung mit Aromaten und insbesondere Benzol nach dem risikobezogenen Maßnahmenkonzept für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen (TRGS 910) kann hier nicht herangezogen werden. Daher muss eine andere Bewertungsgrundlage gefunden werden.
Der Ausschuss für Innenraumrichtwerte (AIR) hat 2015 ein erstes Konzept zur gesundheitlichen Bewertung von krebserzeugenden Stoffen in der Innenraumluft vorgelegt [16]. Als Grundvoraussetzung müssen belastbare Angaben zum üblichen Vorkommen in der Innenraumluft in Form des 95. Perzentils (Referenzwert) sowie zur Expositions-Risiko-Beziehung vorliegen. Mittels dieser Expositions-Risiko-Beziehung soll diejenige Konzentration des krebserzeugenden Stoffes in der Innenraumluft ermittelt werden, die nach lebenslanger Exposition mit einem theoretischen Krebsrisiko von 10-6 (ein Fall pro 1 000 000 Exponierter) verbunden ist. Dies ist eine gängige Herangehensweise. So empfiehlt die Europäische Chemikalienagentur, bei Risikoabschätzungen für die Allgemeinbevölkerung ein sogenanntes „indikatives Risiko“ von 10-6 anzusetzen [17]. Die so ermittelte Konzentration wird mit dem entsprechenden, möglichst aktuellen Referenzwert verglichen. Liegt die aus der Expositions-Risiko-Beziehung abgeleitete Konzentration oberhalb des Referenzwertes, wird sie als „risikobezogener Leitwert“ für die Bewertung verwendet, liegt diese darunter, wird ein „vorläufiger Leitwert“ anhand des Referenzwertes festgelegt.
Die WHO hat aus einer Studie an Industriearbeitern abgeschätzt, dass im geometrischen Mittel bei einer lebenslangen Exposition gegenüber 1 μg/m³ Benzol ein zusätzliches Krebsrisiko von 6 x 10-6 anzunehmen ist [18]. Dies bedeutet, dass eine lebenslange Exposition gegenüber 0,17 μg/m³ mit einem theoretischen Krebsrisiko von 10-6 verknüpft ist. Im Kinder-Umwelt-Survey von 2003 bis 2006 ergab sich ein Referenzwert für Benzol in der Luft von Wohnräumen (überwiegend Kinderzimmern) von 8 μg/m³. Die Ergebnisse des Kinder-Umwelt-Surveys stellen die aktuelle Belastungssituation und damit die Risikohöhe der allgemeinen Bevölkerung nicht mehr adäquat dar. Als „vorläufiger Leitwert“ von Benzol könnte man sich am 95. Perzentil der AGÖF-Untersuchung orientieren und käme zu 4 μg/m³. 20 von 40 unserer Messergebnisse in den Verkaufsräumen würden diesen Wert überschreiten, wenn die für kurzzeitige Schwankungen empfindlichere Messmethode mittels FLM-Sammler (Röhrchen-Sammler mit axialer Diffusion in Luft) zugrunde gelegt wird, was wir auch empfehlen. Da es sich bei den AGÖF-Daten nicht um Ergebnisse einer repräsentativen Untersuchung handelt, empfiehlt es sich, bis zum Vorliegen derartiger Daten für allgemeine Innenräume hilfsweise den Wert der 39. BImSchV von 5 μg/m³ als Bewertungsgrundlage heranzuziehen [7]. Bei unseren Messungen würden 12 von 40 Messergebnissen in den Verkaufsräumen diesen Wert überschreiten (FLM-Sammler, d. h. Röhrchen-Sammler mit kurzer Zeitkonstante bei axialer Diffusion in Luft).
6 Resümee
Die Ergebnisse unserer Untersuchung deuten darauf hin, dass in Tankstellenverkaufsräumen teilweise mit höheren Gehalten als dem Referenzwert für allgemeine Wohninnenräume gerechnet werden muss. Daher kann eine Weiterbeschäftigung schwangerer oder stillender Mütter aufgrund dieses Aspekts nicht als in der Regel zulässig angenommen werden. Es besteht daher kein Anlass dafür, das bisherige Vorgehen zu ändern, wonach der Tankstellenbetreiber vor einer Weiterbeschäftigung durch Messung zeigen muss, dass die Belastung mit Benzol im Kassenraum mit der der Allgemeinbevölkerung vergleichbar ist. Als Vergleichsmaßstab wird in Bayern bis zum Vorliegen aktueller Referenzwerte der Immissionsschutzgrenzwerte von 5 μg/m³ herangezogen. Messungen sind als Wochenmittelwerte mit Passivsammlern durchzuführen, deren Zeitkonstante in der Größenordnung von Röhrchensammlern mit Diffusion in Luft liegt.
Literatur
- MAK- und BAT-Werte-Liste 2016: Maximale Arbeitsplatzkonzentrationen und Biologische Arbeitsstofftoleranzwerte. Hrsg.: Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Weinheim: Wiley VCH 2016.
- Chemical agents and related occupations. IARC Monographs on the Evaluation of Carcinogenic Risks of Chemical to Humans. Vol. 100 F. Hrsg.: International Agency for Research on Cancer (IARC). Lyon, Frankreich 2009.
- McGregor, D.: Methyl tertiary-butyl ether: studies for potential human health hazards. Crit. Rev. Toxicol. 36 (2006) Nr. 4, S. 319-358.
- McGregor, D.: Ethyl tertiary-butyl ether: a toxicological review. Crit. Rev. Toxicol. 47 (2007) Nr. 4, S. 287-312.
- Some chemicals that cause tumours of the kidney or urinary bladder in rodents and some other substances. IARC Monographs on the Evaluation of Carcinogenic Risks to Humans. Vol. 73. Hrsg.: International Agency for Research on Cancer (IARC). Lyon, Frankreich 1999.
- Lufthygienische Jahresberichte 2005 bis 2015. Hrsg.: Bayerisches Landesamt für Umwelt (LfU). www.lfu.bayern.de/luft/immissionsmessungen/lufthygienische_berichte/index.htm
- Neununddreißigste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes Verordnung über Luftqualitätsstandards und Emissionshöchstmengen vom 2. August 2010. BGBl. I, S. 1065, zul. geänd. durch Art. 1 der Verordnung vom 10. Oktober 2016. BGBl. I, S. 2244.
- Leitlinien zur Gefahrstoffverordnung. LASI-Veröffentlichung LV 45. Hrsg.: Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI). Hamburg 2005.
- Mutterschutz – Benzolbelastung an Kassiererinnenarbeitsplätzen in Tankstellen. Messbericht Nr: 43-08-04. Hrsg.: Staatliches Gewerbeaufsichtsamt Hildesheim.
- Messbericht zur Benzolbelastung in Tankstellenverkaufsräumen. Hrsg.: Landesamt für Verbraucherschutz Sachsen-Anhalt. Dessau 2008.
- Breuer, D.; Ngazi, R.; Van Gelder, R.; Gabriel, S.; Pflaumbaum, W.; Meyer, G.; Schmidt, I.; Fröhlich, H. P.; Fendler, D.; Tigler, A.; Lewin-Kretzschmar, U.; Hohenberger, L.; Riethmüller, A.: Benzol – Messungen in verschiedenen Arbeitsbereichen mit Bezug zu Toleranz- und Akzeptanzkonzentrationen nach TRGS 910. Gefahrstoffe – Reinhalt. Luft 75 (2015) Nr. 7/8, S. 259-263.
- Vergleichswerte für flüchtige organische Verbindungen (VOC und Aldehyde) in der Innenraumluft von Haushalten in Deutschland – Ergebnisse des repräsentativen Kinder-Umwelt-Surveys (KUS) des Umweltbundesamtes. Bundesgesundheitsbl. Gesundheitsforsch. Gesundheitsschutz 51 (2008), S. 109-112.
- Fromme, H.; Lahrz, T.; Burkhardt, R.; Fembacher, L.; Kraft, M.; Sievering, S.; Kadler, D.; Dietrich, S.: Luftqualität in Kindertagesstätten – Belastung mit Kohlendioxid (CO2), flüchtigen organischen Verbindungen (VOC) und Feinstäuben – LUPE 3. Gefahrstoffe – Reinhalt. Luft 74 (2016) Nr. 3, S. 55-61.
- Hofmann, H.; Erdmann, G.; Müller, A.: Zielkonflikt energieeffiziente Bauweise und gute Raumluftqualität – Datenerhebung für flüchtige organische Verbindungen in der Innenraumluft von Wohn- und Bürogebäuden (Lösungswege). Forschungsbericht der Arbeitsgemeinschaft ökologischer Forschungsinstitute e. V. (AGÖF). Springe 2014.
- Hofmann, H.: Aromatische Kohlenwasserstoffe in der Innenraumluft 2010-2013. Arbeitsgemeinschaft ökologischer Forschungsinstitute e. V. (AGÖF). Persönliche Mitteilung 2016.
- Gesundheitliche Bewertung krebserzeugender Verunreinigungen der Innenraumluft – erste Ergänzung zum Basisschema. Ausschuss für Innenraumrichtwerte (AIR). Bundesgesundheitsbl. Gesundheitsforsch. Gesundheitsschutz 58 (2015), S. 769-773.
- Guidance on information requirements and chemical safety assessment. Chapter R.8: Characterisation of dose [concentration]-response for human health. Version: 2. Hrsg.: Europäische Chemikalienagentur (ECHA). Helsinki, Finnland 2010.
- WHO guidelines for indoor air quality: selected pollutants. Hrsg.: WHO European Centre for Environment and Health. Bonn 2010. www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/ 0009/128169/e94535.pdf
Ludwig Fembacher, Wolfgang Völkel und Hermann Fromme - Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Sachgebiet Chemikaliensicherheit und Toxikologie, München.
Martin Horn - Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration, München.