Biomonitoring für die Zukunft
Am 12. Oktober 2023 trafen sich in Duisburg 70 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung, um gemeinsam Biomonitoring für die Zukunft zu gestalten. Die Ergebnisse aus den Schwerpunktdiskussionen „Biomonitoring von Luftschadstoffen“, „Effektbasiertes Gewässermonitoring“, „Klimafolgenmonitoring“ und „Biodiversitätsmonitoring“ werden in diesem und drei weiteren Beiträgen vorgestellt.
Die Auswirkungen des Klimawandels sind allgegenwärtig und schränken zunehmend die Lebensgrundlagen des Menschen ein. Eine wissenschaftlich fundierte Dokumentation solcher Wirkungen erfordert zum einen eine passende Auswahl von Klimafolgenindikatoren, zum anderen kann sie nur gelingen, wenn standardisierte Methoden bereitstehen. Im Themenworkshop „Klimafolgenmonitoring“ haben Teilnehmende aus Forschung, Planung und Administration den Stand des Klimafolgenmonitorings dargelegt und diskutiert, welche zukünftigen Herausforderungen gemeistert werden müssen.
Langfristige Zeitreihen von großem Wert
Landesweite Programme zum Klimafolgen- und Anpassungsmonitoring sind bereits etabliert [1]. Im Workshop wurden diese als Impulsvorträge beispielhaft für zwei Länder präsentiert. Für Baden-Württemberg stellte Dr. Sabrina Plegnière (Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg, Referat 23 – Medienübergreifende Umweltbeobachtung, Kompetenzzentrum Klimawandel, Karlsruhe) ein Set aus 57 Indikatoren für Klimawandelfolgen vor, die neun Handlungsfeldern zugeordnet sind, wie Wald, Forst- und Landwirtschaft, Boden, Naturschutz oder Biodiversität. An den Beispielen „Phänologie“, „Wärmeliebende Insektenarten“ und „Ambrosia-Erstfunde“ wurden Auswertungen von längerfristigen Zeitreihen dargestellt, die die Ausbreitung wärmeliebender Tier- und Pflanzenarten belegen. Darunter sind auch Arten, die als Vektoren oder Allergene Probleme mit sich bringen können. Ein wesentlicher Bestandteil der Analyse der Klimawandelindikatoren besteht darin, interferierende Wirkungen durch z. B. den Landschaftswandel oder den weltweiten Warentransport von lokalen Klimawandelwirkungen abzugrenzen. Es wurde betont, dass die Verstetigung von Monitoring-Programmen unerlässlich ist und weiter an den Bewertungsmethoden gearbeitet werden muss.
Klimaatlas Nordrhein-Westfalen
Dr. Tobias Kemper (LANUV NRW: Klimaschutz, Klimawandel Koordinierungsstelle, Essen) präsentierte das Klimafolgen- und Anpassungsmonitoring für Nordrhein-Westfalen und den 2022 durch das LANUV vorgelegten „Klimaatlas NRW“ (www.klimaatlas.nrw.de). Das Angebot führt die relevanten Fachinformationssysteme zusammen, es umfasst alle Handlungsfelder des Klimaschutzplans NRW und ermöglicht den Abruf aller Klimadaten über ein Downloadcenter. Bioindikatoren enthaltende Handlungsfelder (Boden, Biodiversität und Naturschutz, Wald- und Forstwirtschaft, usw.) werden genannt. Die Struktur und Darstellung der Daten wurden anhand der Beispiele „Länge der Vegetationsperiode“, „Klimasensitive Pflanzenarten“, „Klimawandelbegünstigte invasive Arten“, „Phänologie der Buche und Eiche“ sowie „Beginn der Apfelblüte“ erläutert. Einschränkungen bestehen derzeit darin, dass durch begrenzte Datenverfügbarkeit nicht alle relevanten Themen im jeweiligen Handlungsfeld gänzlich abgebildet sind. Häufig sind die Zeitreihen noch zu kurz, was die Interpretation vor dem Hintergrund des Klimawandels erschwert. Auch wurde betont, dass Daten oft nur für einzelne Messstationen vorliegen und landesweite Messnetze fehlen.
Flechten als Klimawandelzeiger
Einen detaillierten methodischen Einblick in ein durch eine Richtlinie des VDI e.V. beschriebenes Kartierungsverfahren (VDI 3957 Blatt 20)[2] vermittelte der Impulsvortrag zum Klimawandelbiomonitoring von Prof. Dr. Ute Windisch (Technische Hochschule Mittelhessen, Gießen). Sie erläuterte, wie speziell dafür ausgewählte, klimawandelzeigende Flechtenarten auf Bäumen standardisiert erfasst und die Wirkungen des Klimawandels auf Biota auch in großräumigen Untersuchungsgebieten im zeitlichen Verlauf dargestellt werden können. Die Zeigerorganismen, allesamt epiphytische Flechten, werden hier auf einem sehr genau definierten Substrat und somit unter exakt reproduzierbaren Wuchsbedingungen erfasst. Dies ermöglicht, selbst nach Jahrzehnten, durch die Auswahl eines entsprechenden Trägerbaums an einem Messpunkt eine Wiederholungsuntersuchung vorzunehmen.
Dr. Norbert Stapper (Ökologische Studien, Monheim am Rhein) veranschaulichte die Anwendung der vorgestellten Richtlinie in einem Klimafolgenmonitoring-Projekt in Düsseldorf über inzwischen zwei Jahrzehnte [3] . Viele der als Klimawandelzeiger ausgewiesenen Flechten – dies sind überwiegend Arten, die ihr Areal in Deutschland nach Osten und Norden hin ausweiten und früher, sofern sie hier überhaupt schon vorkamen, noch sehr selten waren – sind in Düsseldorf hochsignifikant häufiger geworden. Ein Vergleich der Ergebnisse von Messstationen innerhalb und außerhalb der Stadt zeigt aber auch, dass sich gleichzeitig die Wirkung des Stadtklimas auf die Flechten verstärkt hat, sich also die Folgen des Klimawandels für diese Organismen in der Innenstadt und in den Vororten zeitlich und räumlich unterscheiden. Inzwischen wurden bestimmte baumbewohnende Flechten und Moose identifiziert [4], die spezifisch auf Stadtklimawirkungen reagieren, sich somit als Zeigerarten für z. B. die urbane Wärmeinsel anbieten und Gegenstand eines aktuellen VDI-Richtlinienprojekts VDI 3957 Blatt 22 sind [5].
Am 13. Oktober hatten die Workshopteilnehmerinnen und -teilnehmer die Gelegenheit, sich davon selbst ein Bild zu machen: Bei einer Exkursion in Düsseldorf zeigte Dr. Stapper vor Ort, wie sich die Epiphyten auf den Bäumen in der Stadt entlang eines steilen stadtklimatischen Gradienten verändern (Bild 1).
Standardisierungsbedarf
Die Teilnehmenden des Workshops betonten, dass die Methoden des Klimafolgenmonitorings kontinuierlich weiter standardisiert, weiterentwickelt, regelmäßig überprüft und um zusätzliche Methoden erweitert werden müssen. Sollte ein Methodenwechsel unumgänglich sein, müssen Übergangszeiten eingeplant und dokumentiert werden. Klimawandelfragen sind langfristig anzugehen, daher ist ein kontinuierliches und stetiges fachbezogenes Monitoring erforderlich.
Drängendste Forschungsdefizite
Eine Herausforderung des Klimawandelmonitorings ist die Definition der zu erwartenden biologischen Norm für das jeweilige Untersuchungsgebiet. Auch die Festlegung von Schwellenwerten zur Bewertung der Klimawandelfolgen wurde im Workshop von den Teilnehmenden als Forschungsdefizit identifiziert. Bei Umweltuntersuchungen spielen neben dem Klimawandel auch andere Umweltfaktoren wie Landnutzung und Globalisierung/Transport eine dringend weiter zu erforschende Rolle bei der Interpretation der Ergebnisse. Nicht zuletzt wird es notwendig sein, weitere Indikatoren für die Zukunft zu finden. In Betracht gezogen wurden etwa das Vorkommen der Gottesanbeterin oder die Cyanobakterienbestände in Gewässern. Diskutiert wurden auch sektorenübergreifende Indikatoren.
Wie kann das Klimafolgenmonitoring in die behördliche Praxis eingehen?
Im Workshop wurde empfohlen, „best-practice“-Beispiele, z. B. aus anderen Bundesländern, zu nutzen. Der Benefit eines standardisierten Monitorings ist herauszuarbeiten. Zur Dokumentation lokaler Belastungen und um Anpassungsmaßnahmen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit zu überprüfen, muss Klimafolgenmonitoring in Klimaschutz- und Klimaanpassungsgesetzen verankert werden. Dabei ist auch die behördliche Zuständigkeit und die Finanzierung eines Monitorings zu klären. Die Expertinnen und Experten im Workshop wünschten sich einen verbesserten Zugriff auf Daten (open data). Hervorgehoben wurde, dass die Kommunikation zum Klimafolgenmonitoring seitens der Behörden einfach und allgemein verständlich sein muss. Wenn Menschen die konkreten Auswirkungen des Klimawandels sehen können, sind sie eher bereit, Veränderungen in ihrem Verhalten vorzunehmen und sich für Lösungen einzusetzen.
Visionen für die nächsten fünf bis zehn Jahre
Als wünschenswert erachteten die Workshop-Teilnehmenden eine vergleichbare bundesweite integrative Betrachtung der Projekte aus den Ländern. Auf Landesebene wiederum sollen flächendeckende Messnetze eingerichtet sein, in die die lokalen Projekte eingebettet sind. Die nächsten Jahre müssen genutzt werden, um Regelwerke (Normen und Richtlinien) zum Thema bereit zu stellen. Beispielsweise sollen Kommunen ein standardisiertes Biomonitoring für städtische Wärmeinseln nutzen können. Nicht zuletzt soll eine breite Bereitschaft zur Unterstützung von Klimaprojekten vorhanden sein.
Literatur
- Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg 2021: Monitoringbericht 2020 zur Anpassungsstrategie an den Klimawandel in Baden-Württemberg. https://pd.lubw.de/10182
- VDI 3957 Blatt 20 (2017): Biologische Messverfahren zur Ermittlung und Beurteilung der Wirkung von Luftverunreinigungen (Biomonitoring). Kartierung von Flechten zur Ermittlung der Wirkung von lokalen Klimaveränderungen. In: VDI/DIN Handbuch Reinhaltung der Luft.
- Stapper, N.J.: Flechten. – In: Schmitz, U.; Stapper, N.; Stevens, M.; Wirooks, L.; Diestelhorst, O.; Busch,J. : Klimafolgenmonitoring Landeshauptstadt Düsseldorf 2022 – Untersuchungen der Auswirkungen des Klimawandels auf ausgewählte Gruppen der Tier- und Pflanzenwelt.- S. 18 – 53. – Gutachten der Biologischen Station Haus Bürgel im Auftrag des Umweltamtes der Landeshauptstadt Düsseldorf in Kooperation mit der Unteren Landschaftsbehörde, Garten-, Friedhofs- und Forstamt. (2023) 290 S.
- Stapper, N.J.: Bioindikation von Wirkungen des Stadtklimas und stadttypischen Immissionen mit epiphytischen Flechten und Moosen in Düsseldorf 2019. – Pilotstudie im Auftrag der Landeshauptstadt Düsseldorf. (2019) 26 S.
- VDI 3957 Blatt 22 (in Vorbereitung): Biologische Messverfahren zur Ermittlung und Beurteilung der Wirkung von Umweltveränderungen (Biomonitoring); Kartierung von Epiphyten zur Erfassung der Wirkungen von Stadtklima.
Prof. Dr. Ute Windisch,
Technische Hochschule Mittelhessen, Gießen.
Dr. Norbert Stapper,
Technische Hochschule Mittelhessen, Gießen.