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Biozide Schädlingsbekämpfungsmittel aus Sicht der Bewertungsstelle Arbeitsschutz 05.02.2020, 13:03 Uhr

Expositionsabschätzungen für den beruflichen Anwender

Zusammenfassung Schädlingsbekämpfungsmittel gehören zu den Bioziden und unterliegen in der Europäischen Union einem Zulassungsprozess gemäß der Verordnung (EU) Nr. 528/2012. Im Bereich der Biozide bilden sie auf dem deutschen Markt die drittgrößte Produktgruppe. Berufliche Verwender setzen Schädlingsbekämpfungsmittel vorwiegend zur Bekämpfung von Nagetieren (Rodentizide) und Insekten (Insektizide) ein. Die in dieser Veröffentlichung dargestellten Expositionsszenarien beschreiben den aktuellen Stand des behördlichen Vorgehens zur Expositionsabschätzung im Zulassungsverfahren. Sie können Antragstellern als Orientierungshilfe dienen, falls bei der Erstellung von Unterlagen für das Zulassungsverfahren keine produktspezifischen Expositionsmessdaten zur Verfügung stehen. Die Veröffentlichung beinhaltet einen Überblick über die häufigsten beantragten berufsbedingten Applikationsverfahren von Schädlingsbekämpfungsmitteln, die damit verbundenen Expositionspotenziale und ggf. zu ergreifende Risikominderungsmaßnahmen.

Landwirt

Landwirte sind beim Spritzen mit Chemikalien Bioziden ausgesetzt.

Foto: panthermedia.net/nd3000

1 Einleitung

Schädlingsbekämpfungsmittel dürfen zum Schutz für Verbraucher, Beschäftigte und die Umwelt nur dann auf dem Markt bereitgestellt und verwendet werden, wenn sie behördlich zugelassen sind. Rechtliche Grundlage hierfür ist die europäische Biozid-Verordnung (EU) Nr. 528/2012 [1]. Die Schädlingsbekämpfungsmittel sind gemäß An- hang V der Biozid-Verordnung [1] in der Hauptgruppe 3 zusammengefasst und umfassen folgende Produktarten (englisch: product type, PT):

Rodentizide (PT 14),

Avizide (PT 15),

Bekämpfungsmittel gegen Mollusken und Würmer und Produkte gegen andere Wirbellose (PT 16),

Fischbekämpfungsmittel (PT 17),

Insektizide, Akarizide und Produkte gegen andere Arthropoden (PT 18),

Repellentien und Lockmittel (PT 19) sowie

Produkte gegen sonstige Wirbeltiere durch andere Mittel als Fernhaltung oder Ködern (PT 20).

Im Bereich der Biozide bildet die Hauptgruppe 3 die drittgrößte Produktgruppe [2] auf dem deutschen Markt bezogen auf die Anzahl der gemeldeten Produkte. Allerdings ist gemäß § 4 der Biozid-Zulassungsverordnung (ChemBiozidZulV) [3] die Zulassung von Biozidprodukten der Produktarten 15 „Avizide“ (Vögel), 17 „Fischbekämpfungsmittel“ und 20 „Produkte gegen sonstige Wirbeltiere“ in Deutschland in der Regel nicht erlaubt, wenn damit eine Tötung oder Schädigung der Schadorganismen einhergeht. Eine berufsbedingte Exposition gegenüber Biozidprodukten der Produktarten 16 „Molluskizide“ und 19 „Repellentien und Lockmittel“ ist aufgrund der sehr überschaubaren Anwendungsgebiete zudem nicht in größerem Umfang zu erwarten. Somit gehört die überwiegende Anzahl der zuzulassenden und bereits zugelassenen und für den beruflichen Anwender relevanten Schädlingsbekämpfungsmittel zu den Produktarten 14 (Rodentizide) und 18 (Insektizide).

Zusätzlich zum europäischen Zulassungsverfahren sind bei berufsbedingten Anwendungen einiger Schädlingsbekämpfungsmittel (u. a. eingestuft mit Acute Tox. 1-4 und STOT RE 1-2) in Deutschland noch weitere gesetzliche Regelungen und insbesondere die Gefahrstoffverordnung (GefStoffV [4]) sowie die zugehörigen Technischen Regeln für Gefahrstoffe (z. B. TRGS 512 [5] und TRGS 523 [6]) zu beachten.

Eine Übersicht der gesundheitlichen Risiken durch Schädlingsbekämpfungsmittel kann der Publikation von Pieper et al. [7] entnommen werden. Beispielsweise verweisen die Autoren auf den Einsatz von Antikoagulanzien, also blutgerinnungshemmenden Wirkstoffen, in Rodentizidprodukten oder den Einsatz von pyrethroiden Wirkstoffen in Insektizidprodukten, die toxische und neurotoxische Eigenschaften besitzen. Ein Ziel der Risikobewertung im Rahmen der Biozid-Produktzulassung ist es deshalb, die sichere Verwendung von Schädlingsbekämpfungsmitteln zu überprüfen.

Die Grundlagen der Expositionsbewertung für den beruf­lichen Anwender im Rahmen des Zulassungsverfahrens für Biozidprodukte wurden bereits in der Veröffentlichung von Ludwig-Fischer et al. am Beispiel der Produktart 8 (Holzschutzmittel) [8] ausführlich dargelegt. Zwischenzeitlich wurden die dort beschriebenen, auf europäischer Ebene abgestimmten technischen Leitfäden (technical notes for guidance (TNsG) 2002 & 2007) aktualisiert und eine Neuausgabe als Methodologiepapier zur Expositionsabschätzung [9] (englisch: „Biocides Human Health Exposure Methodology Document Version 1 (October 2015)“) durch die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) veröffentlicht. Darüber hinaus stehen die Technischen Vereinbarungen für Biozide (Technical Agreements for Biocides, TAB) [10] sowie aktuelle Empfehlungen der auf europäischer Ebene agierenden Ad hoc Working Group on Human Exposure (HEAdhoc) und aktualisierte Empfehlungen des Vorgänger-Arbeitskreises, der Human Exposure Expert Group (HEEG), auf den Internetseiten der ECHA1 zur Verfügung. Wenn nicht explizit erwähnt, beziehen sich die im Folgenden genannten Modelle und Datensätze auf die neuen, aktualisierten Dokumente.

Die vorliegende Veröffentlichung ist der zweite Teil einer Reihe von Publikationen, die Expositionsabschätzungen für berufliche Anwendungen von Biozidprodukten (z. B. von Holzschutzmitteln (PT 8) [8]) aus Sicht der Bewertungsstelle für Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten, nachfolgend kurz Bewertungsstelle Arbeitsschutz genannt, umfassen. Der Text konzentriert sich auf die Darstellung und die kritische Überprüfung des aktuellen Stands der behördlichen Expositionsbewertung am Arbeitsplatz für Produkte der Produktarten 14 (Rodentizide, Abschn. 2.1) und 18 (Insektizide, Abschn. 2.2). Er gibt Einblick in mögliche Strategien zur Harmonisierung häufig beantragter Expositionsszenarien für Schädlingsbekämpfungsmittel und kann Antragstellern als Unterstützung bei der Erstellung der Zulassungsunterlagen dienen.

2 Expositionsbewertung

Grundlage der Expositionsabschätzungen können gemäß Ludwig-Fischer et al. [8] vom Antragsteller vorgelegte oder anderweitig veröffentlichte Messdaten oder Modellabschätzungen sein. Idealerweise basieren die zur Beurteilung der Exposition verwendeten Messdaten auf einem ausreichend großen und robusten Datenkollektiv einer möglichst ähnlichen Anwendung, sodass zur Expositionsabschätzung das 75-Perzentil der jeweiligen Verteilung herangezogen werden kann. Sind die Daten weniger valide, sollte die Bewertung ggf. ein höheres Perzentil einbeziehen.

Diese Veröffentlichung befasst sich ausschließlich mit Expositionssituationen gegenüber nicht-flüchtigen Stoffen. Für die Abschätzung der inhalativen Exposition gegenüber flüchtigen Stoffen (z. B. Begasungsmitteln, flüchtigen Lösungsmitteln) sind andere geeignete Modelle und Messdaten heranzuziehen (z. B. ConsExpo Web [11]).

Im Folgenden wird zudem ausschließlich die primäre Exposition des beruflichen Verwenders bei der Handhabung der Produkte abgeschätzt. Dabei werden sowohl die Anwendungsphase (Ausbringung des Schädlingsbekämpfungsmittels) als auch die Vorbereitungsphase (in der Regel Mischen und Umfüllen) und die Nachbereitungsphase (z. B. Reinigung des Equipments) einbezogen. Auf die Abschätzung einer möglichen Sekundärexposition – z. B. bei Kontakt mit behandelten Flächen oder Wiederbetreten behandelter Räume – wird im Folgenden nicht eingegangen.

Im Gegensatz zur Expositionsbewertung von Rodentiziden und Holzschutzmitteln sind die Expositionsszenarien für Insektizide sowie ein Großteil der dafür benötigten Expositionsparameter auf europäischer Ebene bisher nicht oder nur eingeschränkt abgestimmt. Folglich ist in Zukunft mit einer stärkeren Harmonisierung dieser Anwendungen und der dazu benötigten Zusatzinformationen zu rechnen. Neben der Anpassung einzelner hier vorgestellter Szenarien oder Parameter können weitere Szenarien für Insektizide, wie beispielsweise Schaumanwendungen oder die Anwendung von Wespensprays und -pulvern, in Zukunft im Zulassungsprozess relevant werden.

2.1 Produktart 14: Rodentizide

Nagetiere wie Mäuse und Ratten werden im beruflichen Umfeld für gewöhnlich in Gebäuden und in deren Umgebung, auf Freiflächen sowie in der Kanalisation und auf Mülldeponien durch die Ausbringung von gebrauchsfertigen Fraß- und Kontaktködern (z. B. Schaum) oder durch Begasung bekämpft. Der folgende Abschnitt beschränkt sich auf die Expositionsabschätzung bei der Ausbringung von Fraßködern, die den Hauptteil der im Zulassungsprozess beantragten Produkte der Produktart 14 ausmachen.

Fraßköder werden als gebrauchsfertige Köder in Form von Wachsblöcken, Pasten oder Granulaten entweder in Köderstationen oder an Köderpunkten ausgebracht. Bei der Köderausbringung steht für den beruflichen Anwender die dermale Exposition der Hände im Vordergrund. Für Granulatköder ist zusätzlich aufgrund des erhöhten Staubungspotenzials eine inhalative Exposition zu betrachten.

2.1.1 Wachsblockköder

Das in den HEEG-Empfehlungen 10 und 12 [12; 13] beschriebene und auf einer von Chambers und Snowdon durchgeführten Studie [14] basierende Szenario für Wachsblockköder umfasst die Beladung einer Köderstation mit je fünf komprimierten Wachsblöcken inklusive Fixierung der Wachsblöcke auf Drähten in der Köderstation. Nach dem Gebrauch werden die Köderreste aller in einer Köderstation enthaltenen Wachsblöcke zusammen aus der Köderstation in einen Eimer entsorgt. In der Kanalisation werden Köderreste in der Regel nicht eingesammelt. Die Exposition betrifft vorwiegend die Hände. Während der Nachbereitungsphase trägt sie im Vergleich zur Applikationsphase zu einem geringeren Teil zur Gesamtexposition bei.

Eine Übersicht über die gemäß den HEEG-Empfehlungen 10 und 12 [12; 13] verwendeten Parameter und Werte, die in die Expositionsbewertung eingehen, ist in Tabelle 1 dargestellt.

Tabelle 1. Wachsblockköder in Köderstationen (PT 14) – Parameter zur Exposi­tionsabschätzung [9; 12; 13].

2.1.2 Pastenköder

Pastenköder werden in drei verschiedenen Verpackungsformen vertrieben: in vordosierten Päckchen (z. B. Sachets, Aluminiumcups), in Eimern und in Kartuschen.

Die Handhabung von Pasten in vordosierten Päckchen (z. B. Sachets, Aluminiumcups) ist vergleichbar mit der Ausbringung von Wachsblockködern, sodass für die Abschätzung der Exposition die gleichen Parameter und Werte herangezogen werden können (siehe Tabelle 1).

Eine weitere Verpackungseinheit für Pastenköder ist der Vertrieb der Pasten in Eimern. Bei der Ausbringung wird die Paste mit einem Spatel aus dem Eimer entnommen. Insbesondere der Kontakt der Hände mit Köderresten an den Innenwänden des Eimers führt zu einem erhöhten Expositionspotenzial. Für diese Expositionssituation liegen keine spezifischen Messdaten vor. Allerdings wird für die Abschätzung des dermalen Handkontakts in den Abschnitten 3.2.1 und 7.2 des Methodologiepapiers zur Expositionsabschätzung [9] das in Tabelle 2 abgebildete generische Modell empfohlen.

Tabelle 2. Pastenköder in Köderstationen (PT 14) – Parameter zur Expositionsabschätzung [9; 12].

Dieses Modell kann für die Ausbringung von Pastenködern aus Eimern genutzt werden, solange keine weitergehenden Informationen oder Empfehlungen zur Verfügung stehen.

Pastenköder können auch gebrauchsfertig in Kartuschen verpackt verkauft werden. Die Köderausbringung erfolgt dann mit einem Applikator (Kartuschenpistole, Spritze o. Ä.). Vor der Anwendung wird lediglich die Verschlusskappe von der Verpackung entfernt, gegebenenfalls eine Spitze aufgesetzt und die Kartusche in den Applikator eingesetzt. Mithilfe des Applikators und abhängig vom Durchmesser der Spitze können dann definierte Mengen des Produkts platziert werden. Nach dem Gebrauch wird die Kartusche mit der Verschlusskappe verschlossen.

Beim Öffnen und Schließen der Kartuschen ist ein Transfer von Pastenresten von der Spitze auf die Hände des beruf­lichen Anwenders möglich. Die Expositionsabschätzung der Anwendungsphase umfasst daher, wie im Methodologiepapier zur Expositionsabschätzung [9] empfohlen, die Abschätzung der Produktmasse, die beim Öffnen und Schließen der Kartuschen auf die Hände gelangt, und zwar, indem das Pastentropfenvolumen mit der Dichte des Produkts und einer repräsentativen Anzahl an Öffnungs- und Schließvorgängen (genaue Formel siehe Tabelle 2) multipliziert wird. Im Einklang mit der HEEG-Empfehlung 10 [12] kann für die Ausbringung von PT-14-Pastenködern in Kartuschen von sieben gehandhabten Kartuschen, also 14 Kontakten pro Tag, ausgegangen werden.

Die Abschätzung der Exposition während des Entfernens der Pastenköderreste kann mit dem für das Szenario „Ausbringung eines Pastenköders aus einem Eimer“ beschriebene generische Modell (siehe auch Tabelle 2) erfolgen, wobei von einer Kontamination der Fingerspitzen [9] auszugehen ist.

2.1.3 Granulatköder

Gemäß den HEEG-Empfehlungen 10 und 12 [12; 13] und basierend auf einer von Chambers und Snowdon durchgeführten Studie [14] umfasst das Szenario die Ausbringung von losen Granulatködern mithilfe einer Plastikschaufel direkt aus der Verpackung. Für Verpackungsgrößen größer als 10 kg umfasst das in der HEEG-Empfehlung 12 [13] beschriebene Expositionsszenario zudem das Umfüllen von Granulat in ein kleineres Transportgefäß. Das Umfüllen größerer Mengen losen Granulats in kleinere Transportgefäße sowie das Beladen der Köderstationen führt zu einer Exposition der Hände, das Umfüllen zusätzlich zu einer inhalativen Exposition des beruflichen Anwenders durch Staub. Nach der Bekämpfung werden die Granulatköderreste im Regelfall eingesammelt. Eine Übersicht über die gemäß den HEEG-Empfehlungen [12; 13] verwendeten Parameter und Werte, die in die Expositionsbewertung eingehen, ist in Tabelle 3 dargestellt.

Tabelle 3. Granulatköder in Köderstationen (PT 14) – Parameter zur Expositionsabschätzung [9; 12; 13].

2.2 Produktart 18: Insektizide

Die Ausbringung von Insektiziden kann durch unterschiedlichste Anwendungsmethoden erfolgen. Dazu gehören:

Sprühen,

Vernebeln,

Verstäuben und Verstreuen,

Gießen,

Streichen,

die Ausbringung gebrauchsfertiger Köder

– mit der Kartuschenpistole und

– in Köderstationen.

Additiv zu bewerten sind ggf. Misch- und Umfüllprozesse. Die obige Liste der PT-18-Applikationsverfahren ist nicht abschließend (siehe z. B. [15]). Vielmehr wird sich die Vielfalt der beantragten Applikationsverfahren voraussichtlich mit steigender Anzahl an Zulassungsanträgen noch er­höhen.

2.2.1 Mischen und Umfüllen

Insektizidprodukte werden häufig in Form flüssiger, granulärer oder pulverartiger Konzentrate und in manuell handhabbaren Gebinden verkauft. Die Herstellung der Anwendungslösungen erfolgt vor Ort, wobei die Konzentrate (zum Teil stark) verdünnt werden. Diese Misch- und/oder (weitere) Umfüllvorgänge finden im Vorfeld vieler Anwendungen statt und stellen einen gewichtigen Teil der Expositionsabschätzungen für Produkte der Produktart 18 dar. Dabei kommen vorwiegend, aber nicht ausschließlich, die Hände mit dem Biozidprodukt in Kontakt. Bei festen, potenziell staubenden Formulierungen ist zusätzlich eine inhalative Exposition zu betrachten, während diese bei Flüssigkeiten für gewöhnlich nur in geringem Umfang zur Gesamtexposition beiträgt. Weitere Informationen zu berufsbedingten Tätigkeiten mit konzentrierten Biozidprodukten werden beispielsweise in der Veröffentlichung von Müller et al. [16] ausführlich dargelegt.

Einige Modelle, die bestimmte Tätigkeiten wie z. B. manuelles Sprühen in alle Richtungen beschreiben, enthalten bereits Misch- und Umfüllvorgänge. Für andere Anwendungen muss der Vorgang des Mischens und Umfüllens separat in der Expositionsabschätzung berücksichtigt werden.

Ist dies der Fall, so stehen in Anlehnung an die HEEG-Empfehlung 1 [17] und abhängig von der Formulierung des Produkts das „Mixing and loading model 4“ [18] auf Labormessungen basierend, bei der Handhabung von Flüssigkeiten bzw. das „Mixing and loading model 5“ [19] auf Messungen mit Pflanzenschutzmitteln basierend, bei der Handhabung von pulverartig und granulären Formulierungen zur Verfügung. Zwischenzeitlich sind u. a. mit dem Projektbericht „Joint development of a new Agricultural Operator Exposure Model“ (AOEM) [20] neuere Expositionsmessdaten für die Handhabung von flüssigen, granulären und pulverartigen Pflanzenschutzmitteln unter realen Bedingungen zugänglich, die nach den derzeit gültigen wissenschaft­lichen und technischen Standards erhoben wurden.

Zu erwähnen ist, dass für das Mischen und Umfüllen von losen Pulvern und Granulaten in portable Gefäße sowohl die etablierten als auch die neueren Modelle auf wenigen Messdaten basieren. Eine Übersicht über die bisher verwendeten Parameter und Werte der von HEEG empfohlenen Modelle sowie exemplarische Parameter und Werte für das Umfüllen von Granulat in portable Gefäße, abgeleitet aus dem AOEM [20], sind in Tabelle 4 dargestellt.

Tabelle 4. Mischen und Umfüllen (PT 18) – Parameter zur Expositionsabschätzung [9; 17; 20].

2.2.2 Sprühen

Eine weit verbreitete Anwendungsmethode zur Bekämpfung fliegender und kriechender Schädlinge ist die Sprüh- oder Spritzanwendung. Der im beruflichen Umfeld typische Sprühvorgang ist dabei zumeist auf die zu behandelnde Fläche gerichtet. Für die Expositionsabschätzung von PT-18-Produkten werden verschiedene Arten von Sprühvorgängen unterschieden, aktuell das manuelle Sprühen in alle Richtungen und das nach unten gerichtete manuelle Sprühen in Gebäuden und in deren Umgebung sowie andere Sprühanwendungen auf Flächen im Außenbereich (z. B. vom Fahrzeug aus oder aus der Luft). Die vorgestellten Sprühanwendungen sind nicht abschließend, sodass die zukünftige Beantragung weiterer Sprühanwendungen – z. B. Ausbringung von Wespensprays [15] – für den beruf­lichen Anwender wahrscheinlich ist.

Bei manuellen Sprühanwendungen in alle Richtungen kommen innerhalb oder in der näheren Umgebung von Gebäuden in der Regel manuell betriebene tragbare Geräte (z. B. Rückenspritzen) mit Sprühlanzen zum Einsatz, die einen Sprühdruck unter 3 bar aufweisen. Für den eigentlichen Sprühvorgang trägt die inhalative Exposition sowie die dermale Exposition gegenüber dem Sprühnebel neben dem direkten Kontakt zum Produkt (Abtropfen von der Oberfläche, Berührung der Oberfläche u. Ä.) zur Gesamtexposition bei. Falls sowohl nach oben als auch nach unten gerichtete Sprühvorgänge bei der Verwendung des Produkts möglich sind, wird im Rahmen des Zulassungsverfahrens das im Methodologiepapier zur Expositionsabschätzung [9] abgebildete „Spraying Model 1“ gemäß den in Tabelle 5 angegebenen Werten und Parametern herangezogen. Die dem Modell zugrundeliegende Studie der britischen Health and Safety Executive (HSE) [21] basiert auf einer Vielzahl von Insektizid-Sprühapplika­tionen mit manuell betriebenen Drucksprühgeräten bis 3 bar auf vertikalen und horizontalen oder bodennahen Strukturen sowie Über-Kopf-Arbeiten im Innen- und Außenbereich. Das Szenario des manuellen Sprühens in alle Richtungen ist ein pauschalisiertes Szenario, unter dem sehr unterschiedliche Sprüh- und somit auch Expositionssituationen zusammengefasst wurden. Expositionsrelevante Parameter wie beispielsweise die Sprührichtung können mit den klassischen im Methodologiepapier zur Expositionsabschätzung [9] beschriebenen Sprühmodellen nicht berücksichtigt werden.

Für eine nach unten gerichtete Sprühanwendung mit manuell betriebenen tragbaren Sprühgeräten, bei der neben den Händen vor allem die untere Körperhälfte im Bereich der Beine und weniger der Oberkörper exponiert ist, empfiehlt die HEAdhoc [22] daher für die Bewertung der dermalen Exposition das Modell RISKOFDERM [23] und für die Bewertung der inhalativen Exposition das Modell ART [24]. Für die relevanten Sprühprozesse im Innenbereich mit Sprühdrücken zwischen 1 und 3 bar gibt die HEAdhoc [22] eine Entfernung von weniger als einem Meter zwischen Anwender und Quelle sowie Applikationsraten bis zu 3 l/min als Modellparameter vor. Falls die Applikationsrate vom Antragsteller nicht genauer eingegrenzt werden kann, gibt Tabelle 6 eine Übersicht über die aktuell im Zulassungsverfahren eingesetzten Parameter und Werte (Worst-case-Annahme: 3 l/min).

Tabelle 6. Manuelles Sprühen nach unten gerichtet in und um Gebäude (PT 18) – Parameter zur Expositionsabschätzung [22; 23; 24].

Die im Vergleich zum Sprühen in alle Richtungen (Tabelle 5) höhere dermale Körperexposition soll gemäß der HEAdhoc [22] die erhöhte Kontamination der Beine beim nach unten gerichteten Sprühprozess widerspiegeln.

Tabelle 5. Manuelles Sprühen in alle Richtungen in und um Gebäude (PT 18) – Parameter zur Expositionsabschätzung [9; 21; 27].

Bei bekann­ter Applikationsrate können die in Tabelle 6 dargestellten Modellwerte der Modelle RISKOFDERM [23] und ART [24] verfeinert werden.

Eine Alternative und weitere Verfeinerung zur Bestimmung der inhalativen Exposition gegenüber Aerosolen während des manuellen Sprühvorgangs stellt das mechanistische Modell SprayExpo [25] dar. Für die Simulation können verschiedene manuelle Sprühgeräte aus einer internen Datenbank ausgewählt werden. Zusätzlich werden nur wenige weitere Prozessparameter, wie beispielsweise der verwendete Sprühdruck, benötigt.

Für die Anwendungsdauer wird im Methodologiepapier zur Expositionsabschätzung [9] und basierend auf einer Umfrage durch die britische HSE für die allgemeine Verwendung von Insektiziden durch berufliche Verwender ein Default-Wert von 120 min pro Schicht für die Exposi­tions­abschät­zung empfohlen. Diese Anwendungsdauer wird nachfolgend für alle relevanten PT-18-Anwendungen ausgewiesen, wobei dieser Wert nach Ansicht der Bewertungsstelle Arbeitsschutz im Einzelfall und bei Vorliegen entsprechend belastbarer Informationen ggf. anzupassen ist.

Großflächige Sprühanwendungen im Außenbereich werden in der Regel mit handgetragenen Motorsprühgeräten vom Boden oder von Arbeitsbühnen aus oder mit an Fahrzeugen oder Flugzeugen befestigten Sprüheinrichtungen durchgeführt. Für die Abschätzung der Exposition (inklusive der relevanten Misch- und Umfüllvorgänge) stehen verschiedene für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln entwickelte Modelle (z. B. das AOEM [20]) sowie eine Studie von Schäferhenrich et al. [26] zur Verfügung. Äquivalent zu Sprühprozessen im Innenraum wird bei der Abschätzung der Exposition durch Sprühen im Außenbereich zwischen seitwärts, nach unten gerichtetem und nach oben gerichtetem Sprühen unterschieden. Bei Sprühanwendungen vom Flugzeug aus ist eine Exposition des Piloten während der Anwendungsphase nicht zu erwarten (wohl aber während des Mischens und Umfüllens und der abschließenden Reinigung des Equipments). Eine Bewertung von bioziden Sprühanwendungen im Außenbereich z. B. von Bäumen für den speziellen Fall der Bekämpfung des Eichen­prozessionsspinners wird im Kapitel 5 der Studie von Schäferhenrich et al. [26] ausführlich diskutiert.

Neben der Anwendungsphase umfasst die Bewertung der Exposition bei einem Sprühvorgang auch die Reinigung des Sprühgeräts. Für manuell betriebenes tragbares Sprüh­equipment kann die Exposition gemäß der HEAdhoc-Empfehlung 4 [27] abgeschätzt werden. Dieser Reinigungsvorgang trägt in der Regel zu einem geringen Umfang zur Gesamtexposition des manuellen Sprühvorgangs bei. Die Studie von Schäferhenrich et al. [26] stellt zudem drei Messdaten zur Reinigung von an Fahrzeugen befestigten Sprüheinrichtungen und Behältern mit einem Hochdruckreiniger zur Verfügung. Neben dem direkten Kontakt zu kontaminierten Oberflächen (z. B. Tankoberflächen) werden beim Einsatz von Hochdruckreinigern zusätzlich eingetrocknete Produktreste abgelöst, die als Aerosol zur Gesamtexposition des Arbeitnehmers beitragen können. Die Reinigung von z. B. handgetragenen Motorsprühgeräten im Außenbereich oder von an Fahrzeugen befestigten Sprüheinrichtungen und Tanks erfolgt erfahrungsgemäß erst am Ende einer Sprühkampagne.

Eine Übersicht über die in die Expositionsbewertung eingehenden Parameter und Werte für manuelle Sprühvorgänge in alle Richtungen bzw. für explizit nach unten gerichtete manuelle Sprühvorgänge in und um Gebäude sind in den Tabellen 5 und 6 dargestellt.

2.2.3 Vernebeln

Eine weitere Möglichkeit, Insektizide großflächig auszubringen, ist die Vernebelung. Zur Ausbringung der Nebelpräparate werden manuelle oder automatische thermische Vernebelungsmaschinen, Kaltnebelgeräte und Drehzerstäuber oder Nebelautomaten (Selbstvernebler) eingesetzt. Bei der thermischen Vernebelung entsteht meist eine größere Anzahl feinerer Tröpfchen als beim Einsatz von Kaltnebelgeräten oder Drehzerstäubern.

Während der Anwendung tragen die inhalative und dermale Exposition gegenüber dem feinen Nebel sowie der direkte dermale Kontakt zum Produkt zur Gesamtexposition bei. Aufgrund der vorliegenden Datenlage und Informationen wird für die Expositionsabschätzung der manuellen Applikation, sowohl für die thermische als auch für die Kaltvernebelung, nach dem aktuellen Stand der Bewertung eine Kombination aus den Modellen „Fogging and Misting Model 2 and 3“ zur Bewertung herangezogen. Diese sind im Methodologiepapier zur Expositionsabschätzung [9] beschrieben.

Die Modelle beziehen sich auf Messdaten zur Vernebelung mit unterschiedlichen Vernebelungsmaschinen, die auf mittlerer Körperhöhe gehalten wurden. Eine Übersicht über die in der Expositionsabschätzung zu verwendenden Parameter und ihre Werte sind in Tabelle 7 dargestellt.

Tabelle 7. Manuelles Vernebeln (PT 18) – Parameter zur Expositionsabschätzung [9].

Als Alternative und weitere Verfeinerung zur Bestimmung der inhalativen Exposition gegenüber dem Nebel kann, wie schon im Abschn. 2.2.2 dargestellt, das Modell SprayExpo [25] verwendet werden. Die durchschnittliche Dauer einer Vernebelungsanwendung wird in Übereinstimmung mit dem Methodologiepapier zur Expositionsabschätzung [9] geringer als bei Sprühanwendungen eingeschätzt, jedoch mit mindestens 60 min pro Tag.

Am Ende der Arbeiten erfolgt die Reinigung der Ausrüstung; diese kann gemäß der Empfehlung 4 der HEAdhoc „Reinigung von Sprühequipment“ [27] berechnet werden.

Die vorgestellten Expositionsszenarien zum Vernebeln sind nicht abschließend, sodass die Beantragung weiterer Rauch- und Vernebelungsanwendungen (z. B. Ausbringung von Nebelautomaten oder Nebeldosen oder automatisches Vernebeln) für den beruflichen Anwender sowie eine Verfeinerung der präsentierten Anwendungen im weiteren Verlauf des Zulassungsverfahrens wahrscheinlich ist. Zur Verbesserung der Daten- und Informationslage für diese Anwendungen sind ggf. weitere Studien zur Ermittlung der Exposition notwendig.

2.2.4 Verstäuben und Verstreuen

Eine weitere Methode zur Bekämpfung von Schadorganismen auch in unzugänglichen Bereichen ist das gezielte und lokale Verstäuben von pulverartigen oder das Verstreuen von granulären gebrauchsfertigen Produkten.

Wird das Produkt direkt aus der Verpackung, z. B. aus einer Streudose, verstäubt oder verstreut, so ist sowohl eine inhalative Exposition als auch eine dermale Exposition der Hände und Unterarme und bei nach unten gerichteten Tätigkeiten zusätzlich der Beine und Füße zu erwarten. Gemäß dem Methodologiepapier zur Expositionsabschätzung [9] kann die Exposition beim Verstäuben oder Verstreuen direkt aus der Verpackung mit dem dort beschriebenen Modell „Hand-held flexible Duster (consumer)“ abgeschätzt werden. Das Modell beschreibt das Verstäuben von Pulver aus flexiblen Plastikstreudosen in Ritzen und Spalten in der Küche sowie das Verstreuen von Granulat aus Hartschalen-Streudosen auf Mobiliar und Teppiche durch Verbraucher. Die in Tabelle 8 dargestellten Werte basieren auf wenigen Messungen mit Talk und Kalk (Partikel < 75 µm) sowie Granulat (Partikel > 180 µm) und sind auf die Bewertung der beruflichen Exposition übertragbar.

Tabelle 8. Verstäuben oder Verstreuen direkt aus der Verpackung (PT 18) – Parameter zur Expositions­abschätzung [9].

Grundsätzlich wird angenommen, dass das Staubungspotenzial von Pulvern und Granulaten unterschiedlich ist. Allerdings weisen die verfügbaren Messdaten für diese beiden Formulierungstypen keine signifikant unterschiedlichen Expositionshöhen aus, daher erfolgt keine Unterscheidung zwischen der Exposition gegenüber Pulver oder Granulat auf der Grundlage des Modells.

Das Verstreuen von Granulaten direkt aus dem Eimer mithilfe eines Löffels oder Messbechers wird zurzeit wie in Tabelle 8 dargestellt abgeschätzt. Die obige Auflistung der Expositionsszenarien zum Verstäuben und Verstreuen ist nicht abschließend. Die Beantragung weiterer Methoden im Rahmen des Zulassungsverfahrens, wie beispielsweise die Ausbringung von Stäubepräparaten mittels Puderbalg oder komplexeren Geräten [15], ist wahrscheinlich.

2.2.5 Gießen

Das Gießverfahren wird zur flächigen Behandlung von Böden oder bodennahen Strukturen eingesetzt. Die Ausbringung erfolgt mit handelsüblichen Gießkannen oder größeren Dosierwagen.

Während der Ausbringung durch Gießen ist neben der Exposition der Hände aufgrund der nach unten gerichteten Tätigkeit vor allem von einer dermalen Exposition der unteren Körperhälfte im Bereich der Beine und Füße auszugehen. Inhalativ erwarten wir eine im Vergleich mit manuellen und nach unten gerichteten Sprühprozessen geringere Exposition. Die Bewertung der Anwendungsphase basiert gemäß TAB [10] auf dem „Subsoil Treatment Model 2“ [9], das neben der Behandlung des Bodens mit einer Gießkanne durch berufliche Anwender zusätzlich lediglich das Anschließen von Fässern an eine automatische Dosiereinheit abdeckt. Die dem Modell zugrunde liegende Studie von Cattani et al. [28] basiert auf wenigen Datenpunkten, beschreibt aber von allen gängigen Modellen und Datensätzen die Tätigkeiten bei der Ausbringung der Anwendungslösung durch Gießen am ehesten.

Aufgrund des starken Verdünnungseffekts durch Ausspülen der Gießkanne mit Wasser ist während der Reinigungsphase eine im Vergleich zur Anwendungsphase vernachlässigbare Exposition des beruflichen Anwenders zu erwarten. Eine Übersicht über die verwendeten Parameter und ihre Werte, die in die Expositionsbewertung eingehen, ist in Tabelle 9 dargestellt.

Tabelle 9. Gießen (PT 18) – Parameter zur Expositionsabschätzung [9; 10; 28].

2.2.6 Streichen

Insektizide können mit Pinseln oder Rollen gezielt auf Flächen, z. B. an bevorzugten Aufenthaltsorten der Schädlinge oder auf Ködertafeln aus Holz oder Pappe, aufgebracht werden.

Während der Anwendungsphase ergibt sich die dermale Exposition durch direkten Kontakt zum Produkt oder zu bereits behandelten Flächen sowie durch Spritzer während des Streichvorgangs. Für die Abschätzung der inhalativen und dermalen Exposition beim Streichen von Insektiziden empfiehlt die aktuelle Version des Methodologiepapier zur Expositionsabschätzung [9], die Werte des „Consumer Product Painting Model 3“ zu verwenden. Das Modell basiert auf Messdaten einer Studie von Garrod et al. [29] und enthält Messdaten zu Streichanwendungen von Holzschutzmitteln u. a. auf Zäune mithilfe eines Pinsels durch Verbraucher. Für die berufliche Verwendung werden Streichgeschwindigkeiten von 7,6 min/m2 [29] angenommen, sodass sich für das Szenario des beruflichen Anwenders bei einer durchschnittlichen Streichdauer von 120 min eine behandelte Fläche von ca. 16 m2 ergibt.

Die Nachbereitungsphase umfasst die Reinigung der benutzten Pinsel und Rollen, und entsprechend eine Exposition der Hände. Sie kann mit dem „General Exposure Calculator For Wa­shing Out Of Brushes“ (HEEG-Empfehlung 11 [30]) abgeschätzt werden. Eine Übersicht über die verwendeten Parameter und ihre Werte, die in die Expositionsbewertung eingehen, ist in Tabelle 10 dargestellt.

Tabelle 10. Streichen (PT 18) – Parameter zur Expositionsabschätzung [9; 29].

2.2.7 Ausbringung gebrauchsfertiger Köder

Einige gebrauchsfertige Insektizide sind so verpackt, dass sie direkt aus der Verpackung entweder in Köderstationen oder an Köderpunkten ausgebracht werden können. Beispiele sind die Ausbringung gebrauchsfertiger Gelköder mit der Kartuschenpistole, die direkte Platzierung gebrauchsfertiger Köderstationen oder die Befüllung von nachfüllbaren Köderstationen (Bild).

Bild. Ausbringung gebrauchsfertiger Köder (PT 18). Grafik links: © Susanne Graul (BAuA), 2018, Grafik rechts: © Martina Brandau-Pollack (BAuA), 2013. Quelle: BAuA

Die Handhabung von Gelködern in Kartuschen ist vergleichbar mit der bereits im Abschn. 2.1.2 diskutierten Ausbringung von Pasten aus Kartuschen, sodass die Abschätzung der Exposition mit demselben generischen Modell durchgeführt werden kann (siehe Tabelle 2). Allerdings sind die für die Exposition heranzuziehenden Parameter, also z. B. der Durchmesser der Kartuschenspitze, die Länge des Gelstreifens auf der Haut oder die Anzahl der gehandhabten Kartuschen, entsprechend den Produktspezifikationen der Gelköder anzupassen. Während der Reinigung kann es zu einem Kontakt des beruflichen Anwenders mit den Gelresten kommen. Aufgrund der im Vergleich zu Pastenködern geringeren Dimension der Produktstreifen und der geringeren Wahrscheinlichkeit der Entfernung der Köderreste kann die Exposition in der Nachbereitungsphase als vergleichbar mit dem einmaligen Öffnen einer Kartusche angesehen werden.

Eine weitere Form der Insektenbekämpfung erfolgt mit gebrauchsfertigen Köderdosen. Die auf dem Markt angebotenen Köderdosen unterscheiden sich sowohl im äußeren Design als auch in der Art der Formulierung im Inneren der Dose. Möglich sind zum Beispiel geschlossene Metalldosen oder Plastikbehälter, in denen das Biozidprodukt in fester oder viskoser Form enthalten ist oder in einer festen Phase immobilisiert wird. Die Köderdosen sind in der Regel so gestaltet, dass ein direkter Kontakt mit dem Insektizid minimiert wird. Vor Gebrauch müssen in der Regel die Zugänge ins Innere der Dose für die Schädlinge freigelegt werden, z. B. durch Eindrücken von Metalllaschen oder Entfernen von Abdeckungen (z. B. Klebestreifen oder Folie). Während der Ausbringung ist somit durch das Öffnen der Köderstationen und abhängig vom Design der Köderstation ein Kontakt der Hände mit dem Biozidprodukt und somit eine dermale Exposition der Hände möglich, sofern dies nicht durch zusätzliche Barrieren oder andere technische Sicherheitsmechanismen komplett verhindert wird. Die Exposi­tionsabschätzung ist daher den jeweiligen Gegebenheiten anzupassen und kann nicht generalisiert werden.

Bei der Anwendung von Insektiziden in nachfüllbaren Köderstationen wird das Produkt gebrauchsfertig in Flaschen, Päckchen oder größeren Verpackungen, aber separiert von der Köderstation, bereitgestellt. Für nachfüllbare Köderstationen kommen sowohl flüssige als auch feste (meist grobkörnige/granuläre) Insektizide in Betracht. Die nachfüllbaren Köderstationen besitzen meist eine Vertiefung (z. B. eine Schale), in die das Insektizid geschüttet wird. Bei der Ausbringung wird üblicherweise eine große Anzahl von Umfüllvorgängen durchgeführt, wobei die gehandhabte Produktmenge je Köderstation relativ klein ist. Beim Einsammeln und Entsorgen der Köder erfolgt dann eine Umfüllung des überschüssigen und nicht verbrauchten Insektizids von der Köderstation zurück in einen größeren Behälter. Die Expositionsabschätzung kann durch die Bewertung von Umfüllvorgängen, die bereits im Abschn. 2.2.1 (einschließlich Tabelle 4) ausführlich beschrieben wurde, erfolgen.

3 Spezifische Schutzmaßnahmen bei der Verwendung von Schädlingsbekämpfungsmitteln

Im Rahmen einer Expositionsabschätzung kann die Expositionshöhe in der zweiten Stufe (Tier 2) entweder durch Verfeinerung der berücksichtigten Daten und Modelle oder durch die Einbeziehung und Festlegung von spezifischen Arbeitsschutzmaßnahmen verringert werden. Die Einbeziehung von Schutzmaßnahmen in die Expositionsabschätzung erfolgt gewöhnlich bei der Identifizierung eines Risikos für den beruflichen Anwender. Eine ausführ­liche Erläuterung des gestuften Vorgehens zur Abschätzung der Exposition (Tiered approach) ist in der Veröffentlichung von Ludwig-Fischer et al. [8] dargestellt. Ein grundlegendes Konzept bei der Betrachtung von Arbeitsschutzmaßnahmen ist das STOP-Prinzip nach GefStoffV [4]. Demnach müssen zur Minimierung der Arbeitnehmerexposition technische und organisatorische Schutzmaßnahmen bevorzugt eingesetzt werden (Substitution > technische Arbeitsschutzmaßnahmen > organisatorische Arbeitsschutzmaßnahmen > Persönliche Schutzausrüstung). Im Folgenden werden häufig eingesetzte Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der Beschäftigten beim Einsatz bzw. bei der Ausbringung von Schädlingsbekämpfungsmitteln kurz dargestellt:

Sachkunde:

Eine in der Produktbewertung qualitativ ableitbare, organisatorische Maßnahme kann die Einschränkung der Verwendung auf speziell geschulte Personen, wie z. B. ausgebildete Schädlingsbekämpfer mit Sachkundenachweis nach GefStoffV [4], Anhang I Nr. 3, sein. Berufliche Anwender verfügen häufig durch Ausbildung und Berufserfahrung sowie Teilnahme an spezifischen Fortbildungsmaßnahmen über Fachkunde, nicht aber über Sachkunde. Mehr Informationen hierzu können den Technischen Regeln für Gefahrstoffe (insbesondere TRGS 512 [5] und TRGS 523 [6]) entnommen werden.

Einsatz expositionsarmer Anwendungen und Formulierungen:

Generell wird die Expositionshöhe sowohl von der Art der Verwendung als auch von der Formulierung des Biozidprodukts maßgeblich beeinflusst. Eine im Expositionsszenario quantitativ belegbare Schutzmaßnahme könnte folglich sein, expositionsärmere Anwendungen und Formulierungen bevorzugt einzusetzen, um den Kontakt mit dem Produkt z. B. während des Mischens, Portionierens und ähnlicher Vorgänge zu mindern oder zu vermeiden. Gravierende Änderungen des Produkts und der Produktbeschreibung können allerdings im Zulassungsprozess dazu führen, dass ein Antrag neu gestellt werden muss. Es ist daher ratsam, das Biozidprodukt im Vorhinein so auszulegen, dass im Rahmen der Produktzulassung keine weiteren Änderungen und Ergänzungen in Bezug auf Verpackung oder Formulierung notwendig werden.

Optimierung der Verpackung (u. a. [7]):

Eine Verkleinerung der Verpackungsgröße, eine Unterverpackung des Produkts in kleinere bzw. kleinste Einheiten oder die Festlegung einer Höchstmenge pro Verpackungseinheit können bewirken, dass die kleineren Verpackungseinheiten vom beruflichen Anwender direkt handhabbar und transportierbar sind. Damit wird das Umfüllen in kleinere Transportbehälter unnötig oder es wird durch geeignetes Verpackungsmaterial eine Barriere zu den Händen geschaffen. Somit könnten expositionsrelevante Tätigkeiten vermieden oder das Expositionspotenzial verringert werden. Diese Maßnahmen können durch entsprechendes Weglassen eines Misch- und Umfüllvorgangs bzw. im Expositionsszenario durch entsprechende Reduktionsfaktoren im Vergleich zur offenen Ausbringung abgebildet werden.

Beispiele der technischen Optimierung des Equipments zur Minimierung des dermalen Kontakts (siehe Standardformulierungen für die Produktzulassung [31]):

Beim Einsatz einer Dosierhilfe kann der direkte Kontakt vor allem der Hände zum Produkt und damit auch die dermale Exposition vermindert werden. Zudem können spezielle Applikationsgeräte, die den Abstand zwischen dem beruflichen Anwender und dem Biozidprodukt erhöhen, sinnvoll sein. Ein Beispiel ist die Benutzung und Mitvermarktung von Spateln mit langen Stielen bei der Handhabung von zähflüssigen oder streichfesten Formulierungen (Gele, Pasten und Ähnliches) aus größeren Verpackungen, sodass die Hände nicht in die Verpackung eingeführt werden müssen und nicht mit den kontaminierten Innenwänden der Verpackungseinheit in Berührung kommen. In einigen Situationen können zusätzliche mechanische Barrieren, z. B. in Köderdosen, den Kontakt zwischen den Händen und dem Biozidprodukt verhindern. Für derlei technische Schutzmaßnahmen liegen häufig keine entsprechenden Arbeitsplatzmessungen vor; sie können aber im Rahmen einer qualitativen Bewertung berücksichtigt werden.

Optimierung des Tätigkeitsablaufs:

Auch kleine Änderungen im Tätigkeitsablauf können zu einer Verringerung der Exposition führen. Beim Aufwischen gel- und schaumartiger Rückstände von Schädlingsbekämpfungsmitteln beispielsweise kann die Handexposition durch die einseitige Benutzung trockener Einmaltücher verringert oder verzögert werden. Weicht das Tuch durch die Benutzung auf, so wird dies vom Anwender früher erkannt und das gebrauchte Tuch wird schneller durch ein Neues ersetzt. Ein weiteres Beispiel gemäß GefStoffV [4] ist, dass das Reinigen des Arbeitsbereichs (z. B. bei der Beseitigung von granulären Köderresten) durch Kehren ohne staubbindende Maßnahmen grundsätzlich nicht zulässig ist. Die Berücksichtigung entsprechender Maßnahmen im Expositionsszenario erfolgt dabei auf qualitativer Basis, da meist keine geeigneten Arbeitsplatzmessungen vorliegen.

Schutzwirkung von Persönlicher Schutzausrüstung (PSA):

Schutzwirkungen für Chemikalienschutzhandschuhe und -anzüge können der HEEG-Empfehlung 9 ([32], siehe dazu auch [33]) entnommen werden (z. B. Chemikalienschutzhandschuhe für die allgemeine Handhabung von Schädlingsbekämpfungsmitteln 90 % bzw. bei der Handhabung von Feststoffen 95 % Schutzwirkung; Chemikalienschutzanzüge bei allgemeiner Handhabung von Schädlingsbekämpfungsmitten 90 % bzw. für Sprühanwendungen mit geringer Belastung 80 %). Bei nach unten gerichteten Anwendungen mit Flüssigkeiten ist zusätzlich auf geeignetes Schuhwerk zu achten.

Schutzleitfäden:

Weitere Informationen zur ordnungsgemäßen Verwendung und insbesondere zur Minimierung der Arbeitnehmerexposition können dem Forschungsbericht „Entwicklung von spezifischen Schutzleitfäden für Tätigkeiten mit Biozidprodukten (Holzschutzmittel, Rodentizide, Insektizide)“ [34] und den daraus resultierenden Schutzleitfäden [35] entnommen werden.

4 Fazit

Im Bereich der Biozidprodukte umfasst die Hauptgruppe der Schädlingsbekämpfungsmittel eine Vielzahl an Produkten und Anwendungen. Im beruflichen Umfeld werden davon vorwiegend Produkte zur Bekämpfung von Nagetieren (Rodentizide) und Insekten (Insektizide) eingesetzt. Die bisher gesammelten Erfahrungen zur Expositionsabschätzung im Rahmen des Zulassungsverfahrens von Rodentizid- und Insektizidprodukten zeigen, dass

im Gegensatz zu anderen Biozidproduktgruppen die Anzahl der möglichen Formulierungstypen bei Schädlingsbekämpfungsmitteln sehr vielfältig ist. Gerade im Bereich der Schädlingsbekämpfungsmittel sind in Zukunft weitere neuartige, innovative Formulierungen wie beispielsweise die Mikroverkapselung von Wirkstoffen zu erwarten,

es für Schädlingsbekämpfungsmittel im beruflichen Umfeld eine große Anzahl an kleinskaligen Anwendungen gibt, die eher händisch oder mit kleinen handgetragenen Geräten durchgeführt werden,

Schädlingsbekämpfungsmittel zur flüssigen Anwendung häufig als Konzentrate auf dem Markt bereitgestellt werden und die Wirkstoffkonzentration in der letztendlich ausgebrachten Anwendungslösung gewöhnlich gering ist.

Dies hat Auswirkungen auf die Expositionsabschätzung:

Umfüll- und Mischvorgänge tragen im Vergleich zu anderen Produktgruppen stärker zur Gesamtexposition bei.

Einige Produkte werden gebrauchsfertig als feste Formulierung vertrieben, sodass bei der Ausbringung die dermale Exposition aufgrund der direkten Berührung mit den Händen und/oder die inhalative Exposition aufgrund des Staubungspotenzials bei der Expositionsabschätzung von Bedeutung sind.

Aufgrund der vergleichsweise häufigen direkten Handhabung einiger Produkte rücken im Zulassungsprozess einfache Maßnahmen, z. B. die Art der Verpackung oder der Einsatz und das Design von Dosierhilfen, in den Fokus, sodass zum einen Umfüllvorgänge, zum anderen aber auch der direkte dermale Kontakt zum Biozidprodukt verhindert bzw. gemindert werden.

Nach jetzigem Stand der Expositionsabschätzung ist anzumerken, dass einige der Expositionsabschätzungen für Schädlingsbekämpfungsmittel auf Messdaten mit erhöhter Unsicherheit beruhen. Beispielsweise basieren die Expositionsabschätzungen zum Gießen, Vernebeln oder dem Mischen und Umfüllen von Granulat und Pulver in portable Gefäße auf verhältnismäßig wenigen Messungen und/oder wenigen kontextualen Informationen. Vor der Erstellung der Expositionsszenarien ist zu prüfen, ob – wie beispielsweise in Tabelle 4 für das Mischen und Umfüllen von Granulat dargestellt – ggf. neuere Messdaten verfügbar sind.

Um die Datenlage, Qualität und Aussagekraft der Expositionsannahmen zu verbessern, sind weitere Studien und die Einbeziehung neuerer Daten erforderlich. Die Bewertungsstelle Arbeitsschutz bietet hierzu Antragstellern Unterstützung bei der Planung systematischer Expositionsstudien an. Zusätzlich wird es aufgrund der Diversität der Zielorganismen und Anwendungspotenziale bei der Schädlingsbekämpfung im weiteren Verlauf des Zulassungsprozesses der PT 14 und PT 18 Biozidprodukte zu einer Weiterentwicklung und Verfeinerung der hier vorgestellten Exposi­tionsszenarien kommen.

Danksagung

Die Autoren bedanken sich herzlich bei Susanne Graul für die zeitnahe Erstellung der Abbildungen sowie der Erlaubnis, diese als Teil dieser Veröffentlichung verwenden zu dürfen. Ein Teil der Abbildungen basiert zudem auf Zeichnungen von Martina Brandau-Pollak, die diese im Rahmen des Forschungsberichts „Entwicklung von spezifischen Schutzleitfäden für Tätigkeiten mit Biozidprodukten (Holzschutzmittel, Rodentizide, Insektizide)“ [35] erstellt hat.

Literatur

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1https://echa.europa.eu/about-us/who-we-are/biocidal-products-committee/ working-groups/human-exposure

Von J. Meyer, M. Krug, U. Poppek, M. Roitzsch, U. SchlüterDr. rer. nat. Jessica Meyer, Dr. rer. nat. Monika Krug, Ulrich Poppek, Dr. rer. nat. Michael Roitzsch, Dr. rer. nat. Urs Schlüter, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Dortmund.